Kapitel 2

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Ich habe meine Familie schon immer gehasst. Wirklich gehasst. 

Allein jetzt gerade: Ich meine, es ist ja normal, wenn die Familie abends zusammen sitzt, Abendbrot isst und dabei über irgendwelche abwechslungsreiche Themen redet. Bei meiner Familie ist das etwas ganz anderes: Das einzige Thema das angesprochen wird ist mein großer Bruder Alec."Oh, Alec das war ja eine großartige Idee!", "Alec, du bist unser ganzer Stolz!", "Alec, du wirst ein grandioser Planer!", "Alec, Alec, Alec,..."

"Evelyn, räumst du den Tisch ab?",  fragt meine Mutter auffordernd und reißt mich somit aus meinen düsteren Gedanken. "Klar", murmle ich missmutig. Ich darf immer den Tisch abräumen und irgendwelche andere Aufgaben erledigen, während Alec in seinem Zimmer mit seinem besten Freund hockt und Videospiele spielt oder sich mit seinen ach so tollen anderen Freunden trifft. 

Ich stehe von meinem Stuhl auf und fange an die Teller einzusammeln. Alec steht ebenfalls auf und geht an mir vorbei. Unterwegs meint er leise, sodass nur ich es hören kann: "Viel Spaß noch, Schwesterchen." Ich verdrehe die Augen und stelle die Teller wütend etwas zu laut auf die Arbeitsfläche, womit ich mir einen warnenden Blick von meinem Vater einkassiere, während meine Mutter sich nur genervt abwendet.

Plötzlich piept etwas in meiner Hosentasche, weshalb ich einen kleinen Computer aus ihr ziehe. Der kleine Computer ist ein paar Zentimeter groß und besitzt einen gräulichen Schimmer. Es gibt eine kleine Tastatur, mit der man bei Gelegenheit etwas nachfragen kann. Auf dem Display des Computers steht was man machen soll. Bei mir steht nun:

Entschuldige dich bei deinen Eltern

Ich atme tief durch und drehe mich zu meinen Eltern um. "Es tut mir leid", sage ich. Wie ich es doch hasse.


Nachdem ich den Tisch abgeräumt habe, gehe ich die große weiße Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Ich öffne meine Tür und trete in den kleinen Raum.

Die Wände sind weiß gestrichen und auch die Möbel bestehen aus weißem Holz. Auf meinem großen Bett, welches in der Ecke steht, liegt eine hellgraue Tagesdecke. Direkt an dem kleinen Fenster steht mein Schreibtisch, auf dem mehrere Mappen und Zettel ordentlich sortiert sind. Mein Zimmer ist ziemlich unpersönlich. Keine Fotos, keine Kuscheltiere, nichts was darauf hindeutet, dass hier wirklich jemand lebt. Das einzig kunstvolle ist ein altes schwarz-weiß Gemälde mit einer dunklen Rose. Mein gesamtes Zimmer besteht nur aus den Farben weiß, grau und schwarz. Die einzigen Farbkleckse sind meine Schulsachen.

Ich gehe zu meinem Kleiderschrank, welcher gegenüber des Bettes steht, und öffne die Tür, in der sich ein Spiegel befindet. Nachdenklich betrachte ich mich im Spiegel. Meine orange-roten Haare sind streng zu einem Zopf zurück gebunden. Meine grünen Augen wirken matt und erschöpft. Ich besitze ziemlich blasse Haut, da meine Eltern mich viele Aufgaben im Haus erledigen lassen, und ich so kaum an die frische Luft komme um mich von der Sonne bräunen zu lassen. Man würde mich nicht als sonderlich schlank bezeichnen, sondern eher normal. Zusätzlich bin ich recht groß.

Aus dem Kleiderschrank ziehe ich mir einen dunkelblau-weiß gestreiften Schlafanzug. Es ist halb elf. Zeit schlafen zu gehen, wie mir mein Computer bestätigt. Ich seufze und ziehe mich um. Was bleibt mir auch anderes übrig? Ich kann mich ja schlecht widersetzen. Wir haben oft genug in der Schule gesagt bekommen, dass das nicht möglich ist.

Nachdem ich mich umgezogen und meine Zähne gründlich geputzt habe, gehe ich wieder nach unten. In der Rolle meines Lebens muss ich meinen Eltern jeden Abend einen Gutenachtkuss geben, und dies tue ich nun auch. Dann lege ich mich schlafen.


Frag das SystemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt