Kapitel 1

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An einem Samstagabend war es ziemlich ruhig auf den Straßen von Doncaster. Es fuhren keine Autos auf den Straßen. Draußen wehte nur der Wind durch die Bäume und brachte die Blätter zum rascheln. Alle Menschen befanden sich in ihren Häusern und wahrscheinlich waren viele von den schon am Schlafen. So war es üblich in Doncaster, doch in einem Viertel fuhr gerade ein Polizeiauto vorbei. Die Polizei wurde gerufen, als sich zwei Mädchen auf einer Party geprügelt hatten. Der Grund dafür war irrelevant. Die ganze Sache eskalierte nur noch mehr. Sie wurden beide aufs Polizeirevier gefahren und ihre Eltern mussten sie anschließend abholen. Beide Mädchen kamen ungeschoren davon, aber trotzdem wusste ich es schon. Wenn ich erstmal wieder zu Hause war, würde es ziemlichen Krach mit meiner Mutter geben. Darauf konnte ich mich verlassen!

•-•

„Grace! Du hörst mir zu, wenn ich mit dir rede!", schimpfte meine Mutter, als ich an ihr vorbei lief und ihr keine Beachtung schenkte.

Wir traten ins Haus ein und sie schlug hinter sich die Haustür zu. Ich ließ meine Tasche durch das ganze Flur fliegen und wollte soeben die Treppen hoch steigen, um meiner Mutter aus dem Weg zu gehen. Als ich dann auf die Treppe zu lief und auf mein Zimmer gehen wollte, musste meine Mutter ja mir hinterher laufen und mich von der Seite anmeckern und anschreien. Genervt rollte ich mit den Augen und stand auf 180.

„Halt deine Fresse!", platzte es aus mir heraus und meine Mutter sah mich fassungslos an, doch ich kehrte ihr den Rücken zu. Mir war es total egal, wie ich mit meiner Mutter umging. Sie benahm sich nicht wie eine Mutter. Also benahm ich mich nicht wie ihre Tochter. Die Tür zu meinem Zimmer stand ganz weit offen. Als ich durch den Türrahmen schlüpfte, knallte ich hinter mir die Tür zu und schloss sie sofort ab. Wie ich meine Mutter kannte, wäre sie direkt in mein Zimmer herein geplatzt und hätte mich endgültig auf die Palme gebracht, doch sie kam nicht rein. Sie versuchte es aber und riss die Türklinke herunter. Die Tür ließ sich nicht öffnen.

„Fräulein! Du machst sofort die Tür auf und lässt mich rein!", hörte ich ihre wütende Stimme, die mir ziemliche Kopfschmerzen bereitete. Dazu konnte ich nur sagen:„Nerv doch nicht! Lass mich in Ruhe!"

Im Zimmer angekommen, ließ ich mich erst auf mein Bett fallen, hielt beide Hände vor meinen Augen und rieb an ihnen. Meine Mutter brüllte mich immer noch von der anderen Seite der Tür an, aber mir war das wie gesagt egal. Um ihr Gekreische nicht mehr hören zu müssen, holte ich mein Handy mit den Kopfhörern aus meiner Hosentasche heraus und hörte Musik. Ich musste es auf die höchste Lautstärke stellen, um das Gebrülle meiner Mutter überspielen zu können, aber da hörte ich sie immer noch.

Die Olle machte mich echt irre! In weniger als einem Monat, würde ich 18 werden und das hieß für mich, dass ich mein Leben anfangen konnte wirklich zu leben. Auf meiner „Wenn-Ich-Erst-18-Bin-Werde-Ich-Liste" stand an erster Stelle: Ausziehen!

Ich wollte nur noch weg von hier. Weg von meiner Mutter! Weg von dieser Stadt! Und wieso wollte ich das?
Es ist so. Meine Mutter war eine an sich denkende Hure, die sich nicht um ihr Kind kümmerte außer wenn sie Mist baute. Dann labberte sie mich mit irgendwelchen Sachen voll, wie zum Beispiel:„So habe ich dich garantiert nicht erzogen."
Darüber konnte ich nur lachen. Das stimmte! So hatte sie mich wirklich nicht erzogen und das lag daran, weil sie mich gar nicht erzogen hatte. Ich war ihr immer relativ egal. In diesem Moment, wo sie an meiner Tür war und mit mir schimpfte, dachte sie genauso nur wieder mal an sich selbst. Ihr war es eigentlich egal, was mit mir los war, nur sie hatte Angst um ihren Ruf. Ihr war einfach alles wichtiger, als ich. Ihre Tochter.

Jetzt zur nächsten Sache. Der Grund, wieso ich diese Stadt verlassen wollte, war, dass ich hier nicht Willkommen war. In der Schule war ich nicht beliebt, aber auch kein Außenseiter. Ich hatte sogenannte „Freunde" auf der Schule mit denen ich meine Zeit tot schlug, jedoch waren sie nicht wirklich meine Freunde. Durch ihren ganzen Streichen, die wirklich zu weit gingen, wurde ich sehr unbeliebt bei den Lehrern, und das lag keineswegs an meinen Noten. Wahrscheinlich zerbrachen sich die Lehrer die Köpfe, weshalb ich mit solchen Leuten abhing, die einen schlechten Einfluss auf mich haben müssten, jedoch in der Schule die letzen drei Jahre Jahrgangsbeste war. Um eines klar zu stellen, ein Streber war ich nicht. Das lag wahrscheinlich nur an meinen Genen.
Durch die vielen Aktionen meiner Freunde kam ich sehr oft in Schwierigkeiten. Nicht nur in der Schule, sondern in ganz Doncaster. Ich habe ungelogen in fünf Imbissen Hausverbot und in zwei Geschäften. Und das alles war noch nicht mal auf meinen Mist gewachsen, sondern auf den meiner Freunde. Jeder denkt nur schlechtes über mich, weshalb ich in meinem schlechten Ich lebe.

Um es kurz zu sagen. Solche Freunde wie sie brauchte ich. Da könnte ich genauso gut keine haben. Überall auf der Welt würde es mir besser gehen, als hier in Doncaster bei meiner Mutter. Mein Leben hier war einfach scheiße! Ein besseres Wort dafür gab es nicht.

Ich hielt es nicht mehr aus. Immer noch stand meine Mutter vor meiner Tür und schrie die ganze Zeit herum. Hatte sie einen totalen Dachschaden? Als sie kein Ton mehr von sich gab, dachte ich, dass es endlich aufgehört hatte, aber das war erst der Anfang. Es reichte ihr ebenfalls und dann kam sie zu dem Entschluss.

„Grace! Ich habe keine Nerven mehr mit dir! Ich fahre dich morgen zu deinem Vater und ich will das du auch da bleibst!"

Das war alles, was sie noch von sich gab und zuletzt hörte ich sie die Treppen runter gehen. Gott sei Dank hielt sie wenigstens ihren Mund und verschwand.

Immer noch stand ich unter Schock, als meine Mutter mir mitteilte, dass ich bei meinem Vater bleiben würde. Meinen Vater hatte ich fünf Jahre lang nicht mehr gesehen und ich war auch nicht gerade glücklich darüber ihn wieder zu sehen, geschweige bei ihm zu wohnen. Er lebte nicht in Doncaster, sondern in Bristol. Das sind ungefähr 300 Kilometer von hier nach Bristol und drei Stunden Autofahrt.

Die Olle wollte mich doch jetzt nicht ernsthaft dorthin fahren, oder? Bestimmt würde ich von ihr nur bis zum Bahnhof gefahren werden und von da aus zu meinem Vater. Ein Traum ging jetzt schon in Erfüllung, bevor ich 18 Jahre alt wurde. Ich würde bei meiner Mutter ausziehen und würde nicht mehr in Doncaster leben. Gab es was schöneres?

Noch am gleichen Abend kroch ich unter meinem Bett und holte mein Koffer von da unten heraus. Staub befand sich auf der Unterseite des Koffern, die ich dann einfach wegstrich. Er war verdammt groß und ich hoffte, dass da all meine Sachen rein passen würden. Ich schleppte ihn auf mein Kleiderschrank zu und öffnete ihn. Gefaltet legte ich all meine Klamotten herein, damit ich so viel wie möglich mitnehmen konnte. All meine Kleidung aus dem Schrank passte in den Koffer. Meine Schuhe auch. Von Sommer bis Winter! Ich ging wieder auf meine Tür zu und drehte ganz vorsichtig den Schlüssel um und spickte kurz in den Flur, um nach meiner Mutter Ausschau zu halten, aber sie war wahrscheinlich immer noch unten.

Schnell eilte ich ins Badezimmer, was sich rechts von meinem Zimmer befand. Dort holte ich all meine Duschsachen bis hin zu meiner Schminke. Ich hatte alles eingepackt und lief damit wieder auf mein Zimmer. Die Tür schloss ich erneut ab, um sicher zu gehen, dass meine Mutter doch nicht nochmal versuchen sollte, reinzuplatzen und mehr Terror zu veranstalten. Alles war eingepackt.

Obwohl ...

Da war noch etwas! Meine Schulsachen! Ich brauchte sie jedoch nicht, wenn ich zu meinem Vater zog, müsste ich auch die Schule wechseln. Also keine Schulbücher.

Ich war bereit! Ich konnte auch jetzt schon los fahren! Mir war das egal!

Umso schneller. Umso besser.

Dark HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt