Ich saß gerade mit den Jungs vor dem Fernseher und sah mir irgendeine komische Serie an, als mein Handy aufleuchtete und damit mein ganzes Leben einfach so auf den Kopf stellte. Nichts ahnend entsperrte ich mein altes iPhone und sah dass ich eine Nachricht von meinem Vater bekommen hatte, in der er mich bat ihn mal wieder besuchen zu kommen. Verwundert runzelte ich die Stirn. Das letzte Mal als ich ihn besucht hatte, war zwei Jahre her und nicht besonders spaßig gewesen. Ich hatte nämlich das Grab meiner Großmutter besucht. Nicht gerade ein Familientreffen wie es im Bilderbuch stand. Unschlüssig was ich antworten sollte, ließ ich das Handy von einer Hand zur anderen fallen.
"Könntest du aufhören mit dem nervösen Getue?", fragte Louis und bewies damit einmal mehr wie direkt er war. Ich stoppte und das Handy plumpste mir in den Schoss. Eine Weile starrte ich ratlos auf den Fernseher, dann sagte ich:
"Hey Louis, kann ich dich mal was fragen?"
"Kommt drauf an. Worum geht's?" Interessierte Blicke von allen Seiten.
"Mein Vater will dass ich ihn besuchen komme."
"Und du willst nicht?", riet Louis und ich nickte. "Was habe ich jetzt damit zu tun?"
"Naja, du bist direkt und kriegst es doch hin dass man dir nicht böse ist." Zufrieden grinste er.
"Ich soll dir Nachhilfe geben?"
"So ähnlich."
Louis tat als müsse er überlegen, dann willigte er ein.
"Okay. Wir finden schon was."
Dank Louis konnte ich den Besuch bei meinem Vater etwas aufschieben, aber ich hatte nicht damit gerechnet dass er so hartnäckig sein würde. Nur zwei Stunden nachdem ich ihm mitgeteilt hatte dass ich ihn nicht besuchen würde, rief er mich an. Stirnrunzelnd legte ich den Löffel, mit dem ich gerade mein Joghurt aß weg und ging ran.
"Lu?" Ich schwieg, die raue Stimme meines Vaters hatte sich kein bisschen verändert.
"Schätzchen?"
"Hey Dad", meldete ich mich zögernd. "Was gibt's?"
Es wäre schlauer gewesen, aufzulegen, mein Handy mit einem Bulldozer zu Matsch zu verarbeiten und anschließend zu Arielle der Meerjungfrau abzuhauen. Dann hätte ich einen Deal mit Ursula der Meerhexe aushandeln können und mich mit einem Fischschwanz singend und tanzend meinem restlichen Leben unter Wasser gewidmet. Denn hätte ich gewusst was mit dieser simplen Frage auf mich zukommen würde, hätte ich sie wohl nie gestellt.
***
Seit Luz dieses Telefonat mit ihrem Vater geführt hatte, war sie ganz schön bedrückt und sauer. Ich weiß nicht worum es ging, sie wollte es mir nicht erzählen und wich meinen Fragen immerzu aus. Egal wie ich es anging, sie ließ mich abblitzen, darum habe ich beschlossen es gut sein zu lassen. Ich wollte sie nicht drängen, das wäre nicht richtig. Zwar haben wir in der kurzen Zeit eine gute Beziehung, wenn nicht sogar Freundschaft aufgebaut, aber es steht mir nicht zu, sie zu zwingen. Wenn sie bereit dazu war, würde sie es mir erzählen. Sie wusste dass ich immer ein offenes Ohr für sie hatte. Was sie nicht wusste, war das ich mehr für sie empfand als Freundschaft. All die Nachmittage, die wir gammelnd im Tourbus verbracht haben, die unsinnigen Gespräche die wir führten und das ganze Drama mit ihrem Freund, den ich so sehr beneide und der sie nicht verdient hatte. Er hatte sie nicht verdient und auch nicht die ganzen Tränen die sie seinetwegen vergossen hatte. Ich wollte damit nicht behaupten ich hätte sie verdient. Aber ich würde sie besser behandeln. Sie mehr schätzen, ihr mehr Zugeständnisse an ihre verrückte, manchmal kindische Seite lassen und sie zum Lachen bringen, damit ich die kleine Falte in ihrer Oberlippe sehen konnte. Ich würde ihr mehr Vertrauen schenken. Ich hoffte nur dass die Beiden das lösen konnten. Klar würde ich es gerne sehen dass sie sich trennen, dann hätte ich vielleicht eine Chance. Aber auf der anderen Seite konnte ich das dann doch nicht wollen, weil Luz dann bestimmt ziemlich unglücklich wäre und das wollte ich nicht. Ich wollte dass sie glücklich war und wenn ich nicht ihr Glück sein konnte, dann konnte ich daran nichts ändern. Und obwohl ich wusste, dass ich vermutlich nie eine Chance bekommen würde, konnte ich nicht anders als weiter zu hoffen und sie immer mehr zu mögen. Okay. Ich sollte mir selbst nichts vormachen. Ich war ihr verfallen und auf gutem Wege mich in sie zu verlieben.
***
Eine Woche nachdem ich mit meinem Vater Telefoniert hatte, stand ich an einem Flughafen und versuchte mein Terminal auszumachen. Die Tour durch den Asiatischen Raum war abgeschlossen und wir würden eine zwei Monatige Pause machen, bis es dann wieder losging. Irgendwie fehlten mir die Jungs und ihr Chaos jetzt schon. Unser Abschied war mit einer riesen Gruppenumarmung von statten gegangen und ich hatte doch tatsächlich Tränen in den Augen gehabt. Diese paar Wochen hatten mich emotional zu einem rohen Ei werden lassen.
Mit Anna hatte ich ausgemacht dass ich sie in London besuchen kam, bevor ich zu meinem Vater reiste. Der hatte es doch tatsächlich ganz dreist geschafft mich zu überreden: Ich sollte ihn und Micaela besuchen kommen – mit Jose – auf ihrer Hochzeit. Als Dad mir eröffnet hatte, das er dieses hirnlose Stück Schminke auch noch heiraten wollte, hatte ich all meine Selbstbeherrschung gebraucht um nicht auszurasten. Jedoch hatte er beinahe im selben Satz noch einen drauf gesetzt und mir überglücklich erklärt das Micaela und er ein Kind erwarteten. Nach dieser Eröffnung hatte sich meine ganze Wut ins nichts aufgelöst. Mein Vater war glücklich, mit seiner neuen Frau und dem neuen Kind, das er nicht verlassen würde. Ein Kind das mit einem Vater aufwuchs, das ihn mehr als nur alle zwei Jahre zu Gesicht bekam. Die Erkenntnis das Mom und ich dafür nicht ausgereicht hatten, verletzte mich.
Niall, der Gute, hatte zwar immerzu versucht mich aufzumuntern und etwas aus mir heraus zu kriegen, aber ich konnte es ihm nicht erzählen. Es ging nicht. Denn es laut auszusprechen hätte bedeutet dass es real war. Und ich wollte mir so lange es ging noch etwas vormachen. Als meine Augen auf der Anzeigetafel endlich meinen Flug und das zugehörige Terminal entdeckten, war ich erleichtert. Ich schulterte meine Gitarre und machte mich auf den Weg. Paul hatte mein Gepäck bereits am Abend vorher aufgegeben, so dass ich mir das sparen konnte, dafür war ich ihm sehr dankbar. Allgemein verstand ich mich mit Paul besser, seit ich herausgefunden hatte, warum er ab und an so mürrisch drauf war. Ich konnte gut verstehen wie schwer es für ihn war, seine Frau und sein Kind zuhause zu lassen und sie so gut wie nie zu sehen. Schade nur dass mein Vater dieses Gefühl nie verspürt hatte. Sonst sähe mein Leben nun vermutlich anders aus und ich würde nicht demnächst eine Kopie von Barbie in der Familie willkommen heißen.
Beim Security check kam ich überraschenderweise schnell durch und musste mich ausnahmsweise mal nicht befummeln lassen. Im Flugzeug wurde ich höfflich gebeten einer Hostess zu folgen, die mich dann immer weiter nach vorne, in die erste Klasse brachte. Verdutzt ließ ich mir einen Platz zuweisen, auf den ich doppelt gepasst hätte. Ich fragte die Hostess warum ich hier vorne saß und sie sagte mir dass ich ein Upgrade bekommen hatte. Dümmlich grinsend bedankte ich mich bei ihr und zog mein Handy vor, um herauszufinden wer für dieses Upgrade verantwortlich war.
Doch weder Lou noch einer der Jungs wollten sich für schuldig erklären und wünschten mir einfach einen guten Flug, den ich genießen sollte. Und das tat ich dann auch. Mir wurde Sekt gereicht, das Essen schmeckte ungewohnt gut und der Sitz war so bequem das ich darin sogar Schlafen konnte ohne mir den Rücken zu verrenken. Oh ja, so ließ es sich fliegen.Meine Vorfreude wuchs ins unermessliche als ich in Australien aus dem Flugzeug stieg. Am Gepäckband machte ich die Leute um mich herum wahnsinnig mit meinem Gezappel, aber es kümmerte mich herzlich wenig. Mom hatte geschrieben, sie würden mich abholen kommen und ich konnte es nicht erwarten zu sehen ob Jose auch dabei war. Als meine Koffer endlich kamen, wuchtete ich sie auf einen Gepäckwagen und schob ihn zum Ausgang. Schon von weitem sah ich das kleine Grüppchen, das mich erwartete. Mom, Beth und hinter den beiden – Jose. Ich schritt auf sie zu, stellte den Gepäckwagen hin und warf mich in die Arme meiner Familie. Mom drückte mich als sei ich schon ein Jahr weg gewesen und nicht bloß einen Monat, Beth labberte ungemein viel Zeug und war total aufgedreht. Lachend begrüßte ich sie und wandte mich dann an Jose. Mein breites Lachen verblasste und wurde schüchtern, unsicher. Alles was ich wollte war ihn berühren, ihn umarmen, küssen. Aber ich wusste nicht ob er das auch wollte, also hielt ich mich zurück.
"Hey", sagte ich einfallslos.
"Hi", sagte er mit einem Lächeln.
"Hast du mich vermisst?", fragte ich und meinte die Frage eher als Einladung, mir das auch zu zeigen.
"Vielleicht ein bisschen." Er schloss mich zwinkernd in die Arme und ich versank in seiner Umarmung. Ich hatte mir nichts sehnlicher gewünscht als ihn zu berühren, ich hatte ihn vermisst. Aber jetzt, wo ich in seinen Armen lag, war irgendetwas anders. Es fühlte sich nicht mehr so an wie noch vor einem Monat. Etwas hatte sich zwischen uns verändert, ich hatte mich verändert._______________________________________________
Ich habe beschlossen kein zweites Buch zu schreiben, die Geschichte wird hier ihr Ende finden. Aber keine Sorge, wenn alles nach Plan läuft (tut es irgendwie nie!) dann ist das noch nicht sofort.
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A Child, 5 Idiots & Me
FanfictionLucia ist zwar nicht gerade groß, aber Napoleon war das auch nicht und der hat trotzdem große Schlachten geschlagen. Obwohl sich ihre Kriege eher in einem kleineren Rahmen bewegen. Als Nanny für ein kleines Mädchen geht sie mit einer weltbekannten...