"Bitte ... bitte was?!", schrie mein Vater plötzlich auf und ich starrte Kai an, der jetzt einen verwunderten Gesichtsausdruck auflegte. Schauspielen konnte er. Ein verschwendetes Talent. Er sollte dringend in die Theater-AG. Verärgert über meine Gedanken, schüttelte ich meinen Kopf und horchte entsetzt, bei Kais nächsten Worten, auf.
"Hat er es ihnen etwa nicht erzählt? Also, dass er schwul ist?"
Ich konnte sehen wie mein Vater, vermutlich vor Wut, rot anlief und sich dann auf dem Absatz zu mir umdrehte.
"Mein Sohn ist schwul? Mein Sohn! Michael du enttäuscht mich!", schrie er. Ich starrte immernoch erstarrt zu ihnen runter.Zu Kai, der triumphierend grinsend, nach draußen in die Dunkelheit verschwand.
Zu meinem Vater, der mich wütend, enttäuscht und leider auch abwertend ansah - was mir Tränen in die Augen trieb.
Zu meiner Mutter, die aus der Küche kam und versuchte ihren Mann zu beruhigen.
"Hör auf wie ein Mädchen zu heulen und stell dich gefälligst wie ein Mann!"
Und da wurde es mir zufiel.
Weinend rannte ich in mein Zimmer, schmiss die Tür hinter mit zu, schloss ab und schnappte mir meinen Rucksack.
Das trampeln auf der Treppe und das kurz darauf ertönende Klopfen an meiner Tür ignorierte ich. Stattdessen schnappte ich mir mein Portmonee und mein Handy vom Schreibtisch und lief auf das Fenster zu.
Ich öffnete es und sprang raus auf das Garagendach, das direkt darunter an die Hauswand anschloss. Dann sprang ich runter auf unsere Auffahrt und lief im Schutz der Dunkelheit Richtung Bahnhof. Unbewusst, fing ich an zu zittern. Ich hasste die Dunkelheit.
Auf halbem Weg wurde mir erst klar was ich - oder besser gesagt Kai - da gerade angestellt hatte. Und ich war einfach wieder wie ein feiges Huhn weggerannt.
Ich war so armselig.Am Bahnhof war es voll. Ich machte mich noch kleiner als ich eh schon war und schlüpfte zwischen den Leuten durch zu einem Fahrkartenautomat.
Aber wo sollte ich eigentlich hin?
Mein erster Gedanke war Pepe. Nur hatte ich mich erst für morgen angekündigt. Ich sah auf die große Uhr, die am Ende der Halle an der Wand hing. Sieben Uhr war es erst. Zu Pepe würde ich circa eine Stunde fahren.
"Kannst du dich mal entscheiden? Andere müssen da auch noch dran!", schnauzte mich eine Person hinter mir an und ich merkte wie ich rot wurde.Kurze Zeit später stand ich am richtigen Gleis und starrte auf mein Ticket. Ich würde tatsächlich zu Pepe fahren. Hoffentlich würde ich bei ihm ankommen. Bei meinem Orientierungssinn konnte man nie wissen. Seufzend zog ich mein Handy aus der Hosentasche, da es erneut anfing zu klingeln.
Natürlich leuchtete der Name meiner Mutter auf. Ich drückte sie weg und stellte mein Handy auf lautlos, nur um es dann wieder in meiner Tasche verschwinden zu lassen, da der Zug einfuhr. Mit einem Schwall anderer Menschen stieg ich ein und suchte mir einen Platz. Ich bekam oben einen zweier Sitz mit Steckdose. Dann fiel mir jedoch auf, dass ich mein Ladekabel vergessen hatte. Also lieber keine Musik hören. Sonst hätte ich nachher vermutlich zu wenig Akku.Die Zugfahrt zog sich unendlich lang. Draußen ging die Sonne nur langsam auf und mittlerweile hatte es auch noch angefangen zu regnen.
Als der Zug endlich zum stehen kam, schnappte ich mir meinen Rucksack und sprang nach draußen auf das Gleis. Wenigstens hatten wir keine Verspätung.
Erneut zog ich mein Handy aus der Tasche, ignorierte die entgangenen Anrufe und öffnete Skype um Pepes Adresse rauszusuchen. Ich kopierte sie in Google-Maps und lief dann den mir angezeigten weg nach.
Würde er überhaupt da sein?
Oder noch schlimmer: Er wäre da, würde mich aber wegschicken.
Alle möglichen Szenarien die ich mir ausmalte, endeten nicht gut. Gar nicht gut.
Ich blieb stehen, als mein Bauch plötzlich anfing zu grummeln. Ich hatte ja auch noch nichts gegessen. Also müsste ich mir wohl erst etwas zu essen besorgen.
Erst jetzt sah ich auf und bemerkte, dass ich auf einer kleinen Brücke stand. Mein grauer Pullover den ich nur trug, war mittlerweile vollkommen durchnässt, ebenso meine Hose und Schuhe. Jetzt müsste ich nur noch einen Bäcker finden. Google zeigte soetwas doch auch an. Oder? Ich machte meinen Bildschirm wieder an, sah ihn aber nur noch einmal kurz aufleuchten, bevor mein Handy sich ausschaltete.
Wie viel Pech konnte ein Mensch eigentlich haben?
Seufzend steckte ich es weg und kramte stattdessen mein Portmonee hervor.
Es kam wie es kommen musste. Das kleine Ledertäschchen rutschte aus meinen nassen Händen und flog zwischen dem Brückengeländer durch. Panisch blickte ich über dieses und entdeckte das schwarze verfluchte Ding auf einem Brückenpfeiler liegen.
Vielleicht könnte ich rüber klettern und es greifen?
Ohne groß darüber nachzudenken, schwang ich mich auf das Geländer.
Als ich jedoch nach unten sah, änderte sich meine Meinung schlagartig.'Viel zu hoch, viel zu hoch, viel zu hoch.'
Dachte ich panisch und klammerte mich panisch an das Geländer.
Ich brauchte unbedingt dieses Portmonee!
Grade überwunden, wollte ich nach unten klettern. Nur machte mir jemand einen Strich durch die Rechnung, als ich an den Schultern gepackt wurde und zurück auf den Bordstein flog. Meine Kapuze flog mir aus dem Gesicht und entsetzt starrte ich auf meinen Gegenüber.
Pepe.
"Michael?!"
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Na, wer von euch hat nach dem Prolog gedacht Selfie würde springen wollen? :D