Das Mittagessen war besser als ich es von einem Feriencamp erwartet hätte. Will hatte die geniale Idee, den Jugendlichen auch beim Essen nichts vorzuschreiben, und so gab es immer Essen vom Buffet. Jeder konnte genau das essen was er wollte. Wir Mädels - mit Ausnahme von Tina - aßen mehr Gemüse und Salat, während die Jungs hauptsächlich über das Fleisch herfielen. Außer Raphael. Als ich erstaunt in seinen Teller blickte, meinte er nur, dass seine Mutter bei ihren Söhnen immer auf eine gesunde Ernährung geachtet habe und das sei wohl irgendwie hängengeblieben.
Allerdings schien er eine andere Art von Fleischeslust entdeckt zu haben, denn seit er Leslie im bauchfreien Top gesehen hatte, ließ er sie nicht mehr aus den Augen. Und er hatte dauernd Anspielungen auf unser leeres Zimmer gemacht, und Les hatte lachend gemeint er könne ja dort einziehen, wenn es ihn so stört, dass das Zimmer leer steht.
Während wir Mädels alle in unsere Zimmer gingen, um unsere Badesachen anzuziehen, machte sich Raph auf den Weg zu Will. Als wir ihn fragten, was er dort will, sagte er nur er müsse noch etwas abklären.
"Sag mal Les, kann es sein, dass Raph in dich verknallt ist?" fragte ich beiläufig.
"Glaub ich eher nicht. Der will bloß spielen."
"Wenn du dich da mal nicht täuschst... So wie er dich die ganze Zeit beim Essen angestiert hat, hätte man meinen können er will dich fressen."
Leslie brach in schallendes Gelächter aus.
"Vielleicht hat er ja schon zu lange auf Fleisch verzichtet. Aber im Ernst jetzt: Ich glaube du reimst dir da was zusammen."
Ich seufzte. Leslie und ihr Dickschädel. Man hätte Beweisfotos von einer roten Ampel vorlegen können und sie hätte behauptet die Kamera sei farbenblind. Also ließ ich von dem Thema ab.
Und dann kam Raphael mit einer Reisetasche in der Hand und wir beide starrten ihn mindestens so dämlich an wie er Leslie beim Tischtennis.
"Was wird das, Raph?" fragte ich ihn entgeistert. Leslie hatte noch immer auf Stummfilm geschaltet.
"Na, wonach sieht's denn aus? Ich ziehe in euer leeres Zimmer ein."
"Das kann nicht dein Ernst sein!"
"Seh ich so aus als ob ich scherze? Leslie hat mir heute beim Essen ein Zimmer angeboten - und hier bin ich!"
"Das habe ich nicht getan!!" schrie Leslie empört. Raphael zuckte gelassen mit den Schultern.
"Jedenfalls ist es jetzt beschlossene Sache. Will weiß Bescheid und er ist einverstanden." Und damit ging Raphael an uns vorbei und marschierte schnurstracks in >sein< Zimmer.
"Ich glaub' ich spinne!" Leslie wollte ihm nach, aber ich hielt sie am Arm fest.
"Jetzt wart doch mal Les. Ich glaub so schlecht ist es gar nicht, wenn Raph bei uns einzieht. Immerhin ist er ganz nett. Und wenn nächste Woche die Neuen kommen, wäre womöglich jemand bei uns eingezogen, den wir nicht leiden können. Und jetzt lass uns zu ihm gehen und ihn willkommen heißen. Ich habe keine Lust, dass hier vier Wochen lang der Haussegen schiefhängt."
"Wie du meinst. Aber er muss anklopfen, bevor er ins Bad oder unser Zimmer kommt. Und er muss unsere Privatsphäre respektieren."
Also gingen wir zu Raphaels Zimmer und hießen ihn willkommen. Als Leslie ihm die Anstandsregeln erklärte, musste er grinsen. Ich auch. Er strahlte übers ganze Gesicht, als er merkte, dass er jetzt zu uns gehörte. Auch Tina und Sally hatten ihn freundlich aufgenommen und als wir ihn einluden mit uns zum Baden mitzukommen, sagte er sofort begeistert zu.
"Klar komme ich mit. Jemand muss doch dafür sorgen, dass ihr nicht belästigt werdet." Ich verdrehte die Augen. Eigentlich war ich der Ansicht, dass wir ganz gut auf uns allein aufpassen konnten. Aber war ja klar, dass von Raphael so ein Beschützer-Spruch kommen würde.
"Außerdem kann ich mir doch den Anblick von euch vier in Badeklamotten nicht entgehen lassen."
Das brachte alle zum Lachen.
Raphael war wirklich ein netter und lustiger Mitbewohner. Er war bei weitem nicht so aufdringlich und unerträglich wie andere Jungs in seinem Alter. Wenn ich ihn mit Gideon verglich... Wenn er hier eingezogen wäre, hätte ich sofort die Flucht ergriffen. Wie ich jetzt auf Gideon kam und auf die Schnapsidee, er hätte bei uns einziehen können, weiß ich auch nicht. Dabei hatte ich ihn doch ganz nach hinten in die Abstellkammer meines Gehirns verbannt. Aber es war wohl wie mit schlechten Gewohnheiten: Sie kommen immer wieder hervor und vermiesen dir das Leben...
Ich schüttelte die Gedanken ab und konzentrierte mich auf die Unterhaltung der anderen.
Tina wollte vor unserem Badenachmittag unbedingt noch duschen, da sie etwas verschwitzt war. Das gab mir die Gelegenheit, Sally nach der Geschichte mit dem Schloss zu fragen.
Sie deutete meinen fragenden Blick auf Anhieb richtig.
"Ich weiß, was du fragen willst, Gwen. Aber ich kann dir nicht die ganze Geschichte erzählen, weil ich auch nicht alles weiß. Nur so viel..." Und dann erzählte uns Sally eine haarsträubende Geschichte, bei deren Wiederholung sich mir auch jetzt noch die Nackenhaare aufstellen...
Sie und Tina hatten letztes Jahr die Ferien hier verbracht. Es waren die besten Ferien, die sie je erlebt hatten. Und dann kam der vorletzte Abend. Tina hatte sich mit einem Jungen angefreundet. Er war zwei Jahre älter, und da sie sich ineinander verknallt hatten, wollten sie verbotener Weise eine Nacht im Schloss verbringen. Sie hatten sich im Wald Schlafsäcke, Taschenlampen, Kerzen, eine Flasche Wein, eine Packung Kekse und zwei Kissen in einer Reisetasche deponiert. Nachdem die anderen schlafen gegangen waren, schlichen sie sich raus. Als sie mitten in der Nacht wiederkamen, waren sie völlig verstört. Tina war kreidebleich gewesen und faselte irgendwas von Geistern, einem Labyrinth und einem schrecklichen Erlebnis. Was das für ein Erlebnis war, kam nie ans Tageslicht, denn am nächsten Tag wusste Tina nichts mehr davon. Es war, als hätte sie die Nacht vollkommen aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Es war als hätte sie einen Filmriss. Der Junge war am Morgen sehr früh abgereist und hatte sich nie mehr gemeldet...
Wir fuhren alle zusammen als wir die Tür von der Dusche hörten, und ohne dass es einer sagen musste, war klar dass wir sofort das Thema wechseln würden.
"Am Samstagabend steigt hier übrigens eine Beach-Party. Will hat mir das vorhin erzählt." meinte Raph gelassen. Er war Meister im Thema-Wechseln.
"Und bei schlechtem Wetter?"fragte Les.
"Verlagern sie die Fete ins Hauptgebäude."
"Deshalb stand also ein Ausgeh-Outfit auf der Packliste."
"Ja genau. Will war sich sicher, dass sonst alle gleich am ersten Tag panisch zum Shoppen gerannt wären."
"Ja, das könnte schon stimmen." warf ich ein.
"Aber sag mal, wie kann es sein, dass bei mir genau zur Partyzeit eine Überraschung auf dem Plan steht?" Raph zuckte mit den Schultern.
"Das musst du schon Will fragen. Aber ich glaub kaum, dass er es dir sagen wird, denn dann wär's ja keine Überraschung mehr." Raphaels Grinsen verriet ihn. Er wusste mehr. Vielleicht würde er sich ja noch verraten.
DU LIEST GERADE
Und einmal Ferienlager...
FanfictionEndlich Ferien! Gwen und Leslie haben sich im Feriencamp von Gwens Onkel Falk angemeldet. Als sie dort ankommen, stellt Gwen fest, dass ihr persönlicher Albtraum - Gideon, der Kotzbrocken - sie bis in die Ferien verfolgt. Er hat sich im Camp als San...