Let's dance

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Es war noch ganz früh, als ich unter der Dusche stand. Meine schwarzen Haare waren unter einem Schaumberg begraben und über den Rest meines Körpers hatte ich eine extragroße Portion meines Acerola-Duschgels verteilt.
Dieses Duschgel hatte die wundervolle Eigenschaft einen frisch aussehen zu lassen, auch wenn man nicht gut geschlafen hatte - und genau das brauchte ich jetzt.
Heute würden Leslie und ich am Tanz-Workshop teilnehmen. Und da wollte ich nicht mit einem übernächtigten Gesicht antreten. Leslie hatte ja bereits ihren Tanzpartner, denn Raphael hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, sich an ihre Fersen zu heften. Und für mich hatte er auch schon jemanden organisiert, aber er wollte mir den Namen nicht verraten. Eigentlich konnte ich es ja nicht wirklich leiden, wenn man mir einfach ohne mich zu fragen irgendeinen Tanzpartner vor die Nase setzte. Was, wenn er mir nicht gefiel - und schlimmer noch: was, wenn er kein guter Tänzer war?
Nachdem ich mit dem heißen Wasser unsere Dusche in eine orientalische Dampfsauna verwandelt hatte, wickelte ich mir das Handtuch um und ging in unser Zimmer. Da die anderen noch schliefen, holte ich mir möglichst leise meine Unterwäsche und das kurze rote Sommerkleid, das ich mir mitgenommen hatte, weil Onkel Falk mir das mit dem Tanzworkshop bereits verraten hatte als er mir den Anmeldebogen gab. Er wusste, wie sehr ich das Tanzen liebte.
Das Kleid hatte einen etwas gewagten Ausschnitt, eine schmal anliegende Taille und einen schräg geschnittenen, nach unten leicht ausgestellten Rock, der nicht weiter als bis zur Mitte meiner Oberschenkel reichte. Der weiche, luftige Mikrofaserstoff fühlte sich richtig gut auf der Haut an. Die Unterwäsche hatte den gleichen blutroten Farbton. Meine Haare band ich zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen und zupfte mir an der Seite je eine Strähne heraus, damit ich nicht zu streng aussah. Dann umrahmte ich meine Augen noch mit etwas Eyeliner und Mascara und betrachtete mein Werk im Spiegel.
Da ich ein etwas skeptischer Mensch bin, was mein Erscheinungsbild betrifft, dachte ich nur >das wird dann wohl reichen müssen<.
Dann ging ich raus. Vor dem Bad stand schon Leslie, die wohl aufs Klo musste. Als sie mich sah weiteten sich ihre Augen.
"Wow, Gwenny! Du siehst unglaublich toll aus."
"Wirklich?"
"Ja, wirklich."
"Ähm... danke..." Ich weiß nie so recht wie ich auf ein Kompliment reagieren soll. Im Mittelpunkt zu stehen bin ich nicht gewohnt.
"Wann geht der Workshop los?"
"Um zehn. Und endet um eins."
"Drei Stunden tanzen? Dann hoffe ich nur, dass Raph mir einen guten Tanzpartner besorgt hat."
Leslie schmunzelte.
"Das wird sich ja nachher herausstellen... Woher hast du eigentlich dieses absolut phantastische Kleid? Es sitzt an dir wie ein zweite Haut."
"Mum hat es mir vor den Ferien genäht. Aber ich glaube sie hat den Ausschnitt etwas zu tief angesetzt."
"Unsinn! Es ist absolut perfekt. Deinem Tanzpartner werden die Augen rausfallen."
"Wie du meinst. Willst du dich nicht umziehen?"
"Klar. Aber ich geh erst noch duschen."
Les verschwand im Bad und ich in unserem Zimmer. Tina und Jo nahmen auch am Tanzworkshop teil, und noch drei andere Paare. Grace hatte dafür gesorgt, dass die Anzahl der Jungs und Mädchen in der Gruppe gleich war. Eine gute Idee wie ich fand, denn nichts ist ungünstiger, als zwei Mädels die sich einen Jungen teilen müssen.
Bei meinem Tanzkurs in der Schule letztes Jahr hatten wir zu wenig Jungs, und es macht wirklich keinen Spaß sich mit Charlotte um einen Tanzpartner zu streiten.
Eigentlich hatte ich ja damals gedacht, dass sie mit Gideon aufkreuzen würde, doch überraschender Weise hatte sie zerknirscht zugegeben, dass er ihr eine Abfuhr erteilt hatte. Überhaupt hatte ich Gideon schon mindestens ein Jahr nicht mehr mit einem Mädchen rummachen oder auch nur flirten sehen. Nur bei mir schien er leider eine Ausnahme zu machen.
Doch jetzt, wo er endlich damit aufgehört hatte, kam es mir beinahe so vor, als würde ich seine unverschämten Annäherungsversuche vermissen... Entsetzt über diesen Gedanken schüttelte ich mich.
Nun konnte ich mir selbst gegenüber ja leider nicht mehr so tun, als würde er mich völlig kalt lassen. Aber das hatte nicht zu bedeuten, dass er für mich das Gleiche empfand. Und ich würde ihm nicht mein Herz vor die Füße legen, damit er darauf herum trampeln konnte. Ich würde ihn weiterhin in dem Glauben lassen, dass die einzige Wirkung die er auf mich hatte war meine Nerven zu strapazieren.
Wenn ich ihm gegenüber zugeben würde, dass ich mich in ihn verliebt hatte, konnte ich mir auch gleich eine Kugel in den Kopf schießen. Er würde dieses Wissen gegen mich verwenden, so wie er es immer getan hatte. Er würde gemein zu mir sein und versuchen mich lächerlich zu machen. Und das würde ich zu verhindern wissen...
"Du musst mich unbedingt beraten, was ich anziehen soll!" riss Leslie mich aus meinen Gedanken.
"Was steht denn zur Auswahl?" Sie zeigte auf die zwei Kleider, die sie schon auf ihrem Bett ausgebreitet hatte. Nach einem kurzen Blick darauf riet ich ihr zu dem hellblauen Satinkleid mit dem Spaghetti-Nekholder und dem tiefen Rückenausschnitt. Es war wie für sie gemacht und Raph würde ausflippen. Sie zog sich um. Zum Glück hatte das Kleid eingearbeitete Cups, da man wohl kaum einen dazu passenden BH hätte finden können.
"Du solltest öfter hellblau tragen. Du siehst darin aus wie ein Engel." Les grinste schelmisch.
"Ja, das wäre die perfekte Tarnung..."
Nun musste auch ich grinsen, denn ich weiß nur zu gut, dass Les manchmal eben auch ein richtiges kleines Teufelchen sein kann. Ich machte mich daran ihr die blonden Löckchen hochzustecken und ein dezentes Make-up zu verpassen. Dann zogen wir uns noch schwarze Riemchen-Sandaletten an und gingen frühstücken.
Sally wollte ausschlafen während Tina (die gemeint hatte sie wollte heute nicht frühstücken) gerade im Bad verschwand. Raphael war irgendwann in der Frühe weg und schien nicht mehr auffindbar.
Aus irgendeinem Grund war ich etwas nervös, da ich nicht wusste, was mich gleich erwarten würde. Daher brachte ich kaum etwas runter.
Schließlich schlenderten wir zwanzig Minuten zu früh zum Workshop-Raum 2 im Haupthaus. Die anderen standen bereits bei der Musikanlage. Auch Tina und Jo waren schon da, sowie drei andere Paare. Von Raphael fehlte noch immer jede Spur. Und wenn ich mich nicht verrechnet hatte, fehlte da noch jemand.
Jo machte sich an der Musikanlage zu schaffen und förderte nach einigen Sekunden heiße Salsa-Rhythmen zu Tage. Wir anderen ließen uns mitreißen und begannen uns im Takt der Musik leicht hin und her zu wiegen.
Dann ging die Tür auf, und als ich mich umdrehte, wäre ich am liebsten ganz schnell geflüchtet. Raphael kam herein und mit ihm Gideon. Was zum Teufel hatte Gideon hier zu suchen? Ich erstarrte. Das letzte was ich wollte war, dass Gideon de Villiers mir beim tanzen zusah.
Er blieb vor mir stehen und musterte mich so genau, als ob er gerade ein Röntgenbild von mir machen wollte. Raphael erlöste uns schließlich von dem peinlichen Schweigen.
"Darf ich vorstellen, dein Tanzpartner." Es dauerte einen Moment bis ich begriff, was Raph mir angetan hatte. Er hatte Gideon als meinen Tanzpartner engagiert. Wer dämliche Freunde hat, braucht keine Feinde...
Wie von einem Blasrohr abgeschossen ließ ich mich von Gideon abführen. Er nahm seine Beute an die Hand und zog mich ein paar Meter davon. Währenddessen flüsterte er mir mit belegter Stimme zu:
"Du siehst heute unglaublich heiß und sexy aus! Wenn du so ein sündhaftes Kleid trägst treibst du mich in den Wahnsinn, Gwenny." Ich schluckte und das Blut schoss mir in den Kopf. Er trieb mich ebenfalls in den Wahnsinn. Am liebsten wäre ich im Boden versunken.
"Nenn mich bitte einfach nur Gwen. Und wir sind heute nur zum tanzen hier. Also halte dich bitte etwas zurück." Er beugte sich etwas vor so dass seine Lippen fast mein Ohr berührten.
"Das wird mir aber nicht leicht fallen..." Sein Blick wanderte über meinen Körper. Zum Glück waren wir nicht allein hier. Doch das hielt ihn keinesfalls davon ab ungeniert meinen Ausschnitt zu betrachten. Ich seufzte.
"Wenn ich gewusst hätte, dass DU kommst, hätte ich mir was anderes angezogen." Er grinste.
"Dann muss ich mich wohl bei Raph bedanken, dass er dicht gehalten hat, denn diesen Anblick hätte ich mir um nichts auf der Welt entgehen lassen wollen."
Dann kam unser Tanztrainer. Zu meiner Überraschung war es Will. Woher er dafür wohl die Zeit nahm? Dass er ein guter Tänzer war, verriet seine Körperhaltung und beinahe automatisch warf ich einige verstohlene Blicke auf Gid, der demzufolge bestimmt ebenfalls ein begnadeter Tänzer sein musste.
Er trug eine schwarze Jeans und ein kurzärmeliges anthrazitgraues Hemd, das seine schöne Figur betonte und oben aufgeknöpft war, wodurch es die Sicht auf seinen unbehaarten Brustansatz freigab. Seine Figur war makellos; ein geiler Knackarsch , ein Waschbrettbauch und muskulöse Schultern, die dennoch schlank und nicht übertrainiert wirkten.
Und als hätte das noch nicht gereicht, thronte darüber Gideons wunderschönes, jungenhaftes Gesicht mit diesen einmalig zauberhaften, großen grünen Raubkatzenaugen, die wie tausend kleine Sterne funkelten und seine wild zerzausten, braunen Locken, was ihm einen kleinen weiblichen Touch gab und ihn genau dadurch unheimlich verführerisch wirken ließ. Dieses I-Tüpfelchen, das den meisten Männern fehlte.
Es kostete mich alle Mühe, meinen Blick wieder abzuwenden. Aber leider roch er heute wieder so gut, dass mein Gehirn trotzdem wie benebelt war.
Dann zeigte Will uns die Schrittfolge. Wie befürchtet hatte er sich für Tango entschieden, was mit viel Körperkontakt und aufreizenden Bewegungen verbunden sein würde. Wenigstens kannte ich die Schrittfolge bereits aus dem Tanzkurs. Gid kannte sie auch, und als er begann, mich über die Tanzfläche zu führen, vergaß ich alles andere. Es war als hätten wir nie etwas anderes getan als das.
Plötzlich führte er mich in eine halbe Drehung und ließ meinen Oberkörper über seinen Arm nach hinten herunter gleiten, so dass sich reflexartig mein eines Bein anhob. Bevor er mich zurückholte, glitten seine Fingerspitzen in einer hauchzarten Berührung von meinem Hals über mein Dekolleté bis zu meinem Bauchnabel.
Dann zog er mich abrupt hoch und so eng an sich, dass mir der Atem stockte.
Eigentlich hätte ich protestieren sollen oder ihm eine Ohrfeige verpassen. Aber mein Körper, der gerade von heißen Schauern durchjagt wurde, verweigerte mir jegliche Kooperation.
Bevor ich mich von ihm lösen konnte, bemerkte ich, dass sein Herz genauso schnell und heftig schlug wie mein eigenes. Ich drehte mich zu Will um und musste leider feststellen, dass er und die anderen uns ungläubig anstarrten. Die hatte ich völlig ausgeblendet.
"In drei Wochen tretet ihr alle beim Tanzwettbewerb gegeneinander an. Aber Gwen und Gid will ich auf jeden Fall bei der Aufführung an der Abschlussparty tanzen sehen." Wie bitte? Er wollte was?
Heute war anscheinend der Tag der Hinrichtungen.
"Außerdem werdet ihr alle jeden Tag eine Stunde von 10 bis 11 oder von 5 bis 6 Uhr in diesem Raum euer Programm einstudieren. Die Zeiten stehen schon in eurem Plan. Und ich werde alle drei Tage dabei sein und jedem Paar Tipps geben." Na wunderbar!
" Jeder von euch nimmt an zwei Wettbewerben teil und die vier mit den höchsten Bewertungen gewinnen drei Nächte in unserem Schloss."
Damit war die Stunde zu Ende. Und ich trat die Flucht in mein Zimmer an. Das musste erst mal verdaut werden. Aber vor der Tür holte mich Gid ein und packte mein Handgelenk.
"Nicht so schnell, mein Herz!"
"Was denn?" fragte ich genervt.
"Mir ist eine Revanche für die Rettungsaktion am See eingefallen." Ich hätte es wissen müssen. Andere konnten ständig Mist bauen, aber wenn ich einmal etwas Dummes gesagt hatte, musste Gideon mich sofort darauf festnageln und es gegen mich verwenden.
"Und was wäre das?"
"Wahrheit oder Pflicht. Morgen Abend nach der Party für eine Stunde in meinem Zimmer. "
"Was genau verstehst du unter Wahrheit oder Pflicht?"
"Du musst eine Stunde lang meine Fragen wahrheitsgetreu beantworten oder meine Anweisungen befolgen. Wenn die Stunde um ist, darfst du gehen. Einverstanden?"
Ich überlegte kurz. Zu kurz. Waren ein paar Gefälligkeiten oder ein paar Antworten zu viel verlangt für ein gerettetes Leben? Wohl kaum. Und wie schlimm konnte es schon werden? Vielleicht würde er ein paar peinliche Geschichten über meine Familie oder meine Vergangenheit zu Tage fördern. Oder er würde sich die Füße massieren lassen...
"Von mir aus. Aber dann sind wir quitt." Sein Gesicht erhellte sich und er nickte lächelnd. Wenn ich sein Lächeln richtig interpretierte, hatte ich soeben mein Todesurteil unterschrieben.

Und einmal Ferienlager...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt