Die Beach Party

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Heute war ein heißer Tag und die Vorhersage hatte eine tropische Nacht gemeldet. Also würden wir keine Zudecke brauchen.
Beim Frühstück hatte Les nun endlich zugegeben, dass Raph und sie sich näher gekommen waren. Beim Küchendienst hatten sie angefangen herumzuknutschen - und danach nicht mehr damit aufgehört. Deshalb hatte ich mich auch so unbemerkt ins Zimmer schleichen können. Leslie war nämlich nicht da gewesen! Sie hatte bei Raph übernachtet.
Da drängte sich mir natürlich die Frage auf, ob die beiden schon Sex miteinander gehabt hatten. Leslie hatte verneint. Aber so lange wie sie dabei überlegt hatte, musste nicht mehr viel dazu gefehlt haben.
Jedenfalls war sie nun offiziell mit ihm zusammen und ich freute mich sehr darüber.
Leslie hatte schon zwei unglückliche Beziehungen hinter sich. Aber Raphael schien genau der Richtige. Ich mochte ihn. Er war ein guter Kerl, lustig und nett, und er wusste Leslies Intelligenz zu schätzen. Außerdem konnte man deutlich sehen, wie verknallt er in sie war. Und auch auf Leslies Gesicht schlich sich dieses Dauergrinsen ein, wenn er in der Nähe war.

Wegen der anstehenden Beach-Party heute Abend fand das Tanztraining heute Morgen statt. Will war auch da, und er gab jedem einzelnen ein paar gute Tipps und eine individuelle Choreographie. Bei der Dance-Challenge in drei Wochen sollte jedes Paar einzeln vortanzen und da wollte er nicht sechs Mal nacheinander die exakt gleichen Schrittfolgen sehen.
Er ermunterte uns auch dazu ruhig etwas mutiger zu sein, mal von der Norm abzuweichen und uns sogar neue Figuren und Elemente auszudenken. Es begann richtig Spaß zu machen. Gid's Nähe bereitete mir zwar noch immer Herzklopfen, aber im Rahmen des Tanzunterrichts lernte ich damit umzugehen.
Will war ein einzigartiger Mensch und ein hochbegabter Tanzlehrer. Wenn er nicht die grauen Strähnen an den Schläfen gehabt hätte, wäre man auf den Gedanken gekommen er sei noch in der Schule oder Ausbildung. Das, was die Leute so den Zahn der Zeit nennen, hatte ihm nicht das Geringste anhaben können.
Als ich zur Schlussverbeugung ansetzte zog mich Gid in eine Einwärtsdrehung, so dass ich mit dem Rücken zu ihm stand. Er hob mich an den Hüften hoch und wirbelte mich ein paar Mal im Kreis bis mir ganz schwindlig war und ich lachen musste. Dann ließ er mich langsam an sich herunter und sagte mir leise ins Ohr:
"Vergiss nicht unsere Abmachung heute Abend nach der Party." Mist! Ich dachte er hätte es vergessen.
"Und es wäre vielleicht besser, wenn du nicht so viel Alkohol trinkst auf der Party." Seine Lippen berührten nochmal kurz mein Ohr und er verschwand. Ich wollte jetzt lieber nicht darüber nachdenken, was er mich alles fragen oder tun lassen könnte.

Nach dem Mittagessen gingen alle daran, die Party vorzubereiten. Nach vier Stunden Chaos war es dann geschafft und wir gingen uns umziehen.
Angesichts der Hitze entschieden Leslie und ich uns für kurze Kleider. Tina und Sally hatten Hot Pants und Oberteile mit Spaghetti-Trägern angezogen. Tinas war natürlich bauchfrei. Ich trug nochmal das von meiner Mum genähte Rote, während Leslie sich für ein türkisblaues Satinkleid entschied, in dem sie zum Anbeißen aussah. Sie war eine der wenigen, der diese Farbe wirklich gut stand, und mit den spitz zulaufenden Rockabschlüssen aus verschiedenen Lagen Stoff, Tüll und Spitze wirkte das Kleid wie ein Feenkostüm. Auch Leslies hochgesteckte Goldlöckchen passten in dieses Bild.
"Sag mal Les, hast du heute Nacht noch was größeres vor?" Les schmunzelte. Also ja.
"Das wird sich noch rausstellen..."
"Und bist du jetzt doch froh, dass Raph das leere Zimmer genommen hat?" Das Schmunzeln wurde breiter.
"Ja, das hat auf jeden Fall seine Vorteile. Sag mal: wo warst du eigentlich gestern Nacht noch? " Also hatte sie es doch gemerkt.
"Beim Schloss. " Les fiel die Kinnlade runter. Sie wollte schon wieder ansetzen, doch ich schnitt ihr das Wort ab.
"Ist 'ne längere Geschichte. Ich erzähl sie dir morgen. Versprochen."
"Na gut. Aber du weißt schon, wie mich sowas foltert, oder?" Ich zuckte mit den Schultern. Sie erzählte mir ja auch nicht immer alles sofort.
Das Abendessen war ausgefallen, da es auf der Party was zu essen gab. Als wir ankamen, war schon alles in vollem Gange. Reggea und Beachparty-Musik klang aus den Boxen. An den Bars tummelten sich die Leute und auf der Tanzfläche war es auch nicht mehr ganz unbelebt.
Les hatte sich einen Pina Colada machen lassen. Ich ebenfalls, aber meiner war ohne Alkohol. Wir stießen kurz an auf die geile Party. Dann stellten wir die Drinks an ein sicheres Plätzchen und fingen an uns zu amüsieren. Wir tanzten uns die Seele aus dem Leib und zwischendurch quatschten wir mit Raph, Tina, Sally, Tom und Jo.
Dann ging der Karaoke-Wettbewerb los. Tina war die erste. Ihre Interpretation von Madonnas >like a prayer< war nicht übel, aber meine Favoritin war sie nicht. Sally sang >All this time< von Maria Mena. Und es war wirklich gut. Die Leute klatschten begeistert. Die nächsten zwei waren so grässlich und konnten sowas von gar nicht singen, dass ich sie komplett aus meinem Gedächtnis verbannt habe. Dann kam ein Junge, der sehr schmächtig und unscheinbar wirkte. Aber als er zu singen begann, war ich total baff. Diese tiefe und sichere Stimme hätte man ihm niemals zugetraut. Sein Beifall übertraf noch den von Sally.
Auf der Anzeigentafel war noch ein Überraschungsauftritt angekündigt... - Moment mal! Als mir klar wurde was meine Überraschung heute Abend sein würde, war es schon zu spät und ich war auf die Bühne geholt.
Nun muss man wissen, dass Charlotte und ich kurz nachdem ich nach London gezogen war einmal am Geburtstag von Onkel Falk jede etwas singen sollten. Und weil Charlotte es nicht haben konnte, dass Onkel Falk meine Stimme schön fand, hat sie heimlich Erdnüsse in meinen Schokopudding gemixt. Ich habe eine Erdnussallergie, daher schwoll mein Hals an und das mit dem Singen ging so richtig in die Hose für mich. Charlotte hatte dann natürlich noch den perfekten Auftritt. Und seither habe ich nie wieder in der Öffentlichkeit gesungen.
Will nahm mich auf die Seite und erklärte mir, dass Onkel Falk ihm von meiner schönen Stimme erzählt hatte. Er sah mich eindringlich an und erklärte mir, dass er sich wirklich sehr auf meinen Auftritt gefreut hätte. Er bat mich sein Lieblingslied >Hero< von Mariah Carey zu singen.
Wie hätte ich ihm das abschlagen können? Nun - ich kannte den Text und die Einsätze auswendig, weil ich es schon oft mitgesungen hatte, wenn ich es bei mir zu Hause in meinem Zimmer angehört hatte. Also hielt ich mir das Mikro an den Mund, schloss die Augen und sang.
Als es vorbei war öffnete ich die Augen und sah Gid, der vor die Bühne getreten war und der mich ungläubig anlächelte, als hätte er gerade wichtige Entdeckung gemacht.
Wie soll ich sagen - ich habe den Wettbewerb gewonnen und musste noch eine Zugabe drauflegen. Und damit war meine Phobie gegen öffentliche Gesangsauftritte geheilt.

Und einmal Ferienlager...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt