Die Wanderung

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Für heute Nachmittag stand eine Wanderung zum benachbarten Wildreservat auf dem Programm. Und wieder einmal hatten wir Glück mit dem Wetter. Was heute Morgen noch an Nebelschwaden vorhanden gewesen war, hatte sich längst über alle Berge verzogen.
Diese Wanderung kam mir sehr gelegen. Ich liebte die Natur und hier würde ich einen klaren Kopf bekommen und in Ruhe über alles nachdenken können.
Und gerade als ich das dachte, gesellte sich unser Sanitäter zu uns und bereite meinen Plänen mein Gefühlschaos in Ordnung zu bringen ein jähes Ende. Warum musste er mir ständig über den Weg laufen? Wie sollte ich es denn so schaffen ihn aus meinem dummen Herz auszusperren in das er sich so leichtfüßig hineingestohlen hatte? Es war zum Verzweifeln.
"Hey Gwenny!" rief er mir hocherfreut entgegen. Ich seufzte. Scheinbar hatte er sich an dem Spitznamen festgefressen.
"Hey. Verfolgst du mich etwa?" Er grinste.
"Keine schlechte Idee... Aber: nein. Will hat mich beauftragt, die Wanderung zu begleiten, da der Senior-Sani Plattfüße hat und nicht so weit laufen möchte." Jetzt grinste ich auch. Die Vorstellung von dem Plattfuß-Indianer war zu komisch.
Dann trat Gid etwas näher und sagte leise zu mir:
"Ich wollte dir noch sagen, dass ich noch nie so eine talentierte und wunderschöne Tanzpartnerin hatte wie dich." Dabei sah er mir fataler Weise tief in die Augen und bevor ich wusste wie mir geschah, hatte er die Hand in meinen Nacken gelegt und mir einen sanften, süßen Kuss auf die Wange gehaucht. Ob er wohl wusste, wie kurz er davor war mich weich zu kochen?
Und wie sollte ich jetzt bitte mit weichen Knien die Wanderung machen? Zu allem Übel hatte er scheinbar beschlossen neben mir zu bleiben. Eigentlich hätte das Leslie tun sollen, aber die war ja mit Raph beschäftigt.
Die beiden schienen sich ja bestens zu verstehen. Aber dass sie zusammen waren, hatte sie mir noch nicht bestätigt. Heute Abend hatte Raph meinen Küchendienst >gewonnen<. Also würde er mit Les dort allein sein.
Und ich musste mir überlegen was ich mit der Stunde anfangen würde. Vielleicht würde ich mal ins Schloss gehen. Mir war klar dass das eigentlich verboten und nicht ganz ungefährlich war. Aber ein kleines Abenteuer brauchte ich noch für meine Ferien.
"Woran denkst du gerade?" holte Gideon mich aus meinen Gedanken zurück. Ich zuckte mit den Schultern.
"Ich dachte gerade daran, dass Raphael heute Abend meinen Küchendienst übernimmt."
"Wie praktisch. Gehst du dann mit mir ins Kino? Nach dem Essen läuft ein Film." Mist! Ich wollte doch ins Schloss. Aber wenn ich Gid jetzt sagte, dass ich was anderes vorhatte, würde er nachhaken, es womöglich rauskriegen und mich verpetzen oder mich daran hindern.
Andererseits wäre Kino keine so schlechte Alternative. So viele Gelegenheiten zum Filme gucken würden wir hier bestimmt nicht mehr bekommen. Also willigte ich ein.
"Meinetwegen. Was läuft denn?"
"Ted. Das mit dem Kerl, der einen lebenden Teddy als Freund hat." Ich überlegte.
"Ja, ich hab gehört, der ist lustig." Er begann wieder zu lächeln.
"Gut. Dann treffen wir uns nach dem Essen beim Kino." Ich nickte. Das mit meiner heimlichen Schlossbesichtigung musste warten. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben...
Die Wanderung zum Tierpark, der eigentlich mehr ein Wildgehege war und folglich keinen Eintritt kostete, nahm etwa eine Stunde in Anspruch und verlief so ziemlich ohne Worte. Ich konzentrierte mich darauf, Gideon so wenig wie möglich anzusehen und mich durch seine Nähe nicht irritieren zu lassen. Wenn er mich doch nicht die ganze Zeit von der Seite gemustert und mit seinem verführerischen Rasierwasser mein Hirn vernebelt hätte.
Wir trotteten als letzte den breiten, geschotterten Weg zwischen den Gehegen entlang. Auf einmal schnappte er meine Hand und zog mich zur Seite.
"Komm wir gehen zur Pferdekoppel!"
Ich liebe Pferde. Sie üben eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Daher leistete ich keinen großen Widerstand. Woher Gid das aber nun schon wieder wusste, war mir schleierhaft. Die Pferde wussten es auch, denn sie kamen gleich auf uns zu. Es waren eine fuchsbraune Stute mit einem herrlich glänzenden Fell, ein Apfelschimmel (wie bei Pippi Langstrumpf) und ein schwarzer Hengst.
Der Apfelschimmel senkte mir seinen Kopf entgegen. Vorsichtig legte ich ihm die Hand auf die Stirn und begann seinen Kopf zu kraulen. Gid grinste zufrieden.
"Dachte ich's mir doch."
"Woher wusstest du..."
"Falk war mal bei meinem Dad zu Besuch und hat erwähnt, dass seine Nichte gerade seinen Bruder bearbeitet, damit er ihr ein Pferd kauft."
"Ja das stimmt. Hat aber leider nicht geklappt. Ist auch schon sehr lange her. Es wundert mich, dass du das noch weißt." Er zuckte nur mit den Schultern.
Schließlich gingen wir weiter und schlossen uns den anderen wieder an.
Dann sah ich Leslie Raph etwas zuflüstern, bevor sie sich losmachte und sich bei mir unterhakte. Gid schloss zu Raph auf, und die beiden begannen eine lebhafte Unterhaltung, während der Raph grinsend etwas zu Gid sagte, das ihm einen Klaps auf den Hinterkopf einbrachte. Leslie bremste mich etwas aus, so dass wir außer Hörweite der Jungs waren.
"Was läuft eigentlich zwischen dir und Gid?"
"Gar nichts." Bis jetzt hielt ich das noch für die Wahrheit.
"Und hättest du gern, dass etwas zwischen euch läuft?" Ich kam mir vor wie beim Gynäkologen. Les hatte manchmal eine Art einen auszufragen, dass man sich richtig entblößt fühlte.
"Vergiss es Les. Das wird eh nicht passieren."
"Aber was empfindest du für ihn?" Verdammt! Sie ließ einfach nicht locker.
"Na ja,..." begann ich meine abgehackte Beichte. "Irgendwie bringt er mich total durcheinander. Wenn er in meine Nähe kommt, schlägt mein Herz schneller und meine Knie werden weich. Und ich glaube ich bin irgendwie süchtig nach seinen Berührungen..."
Leslies durchdringender, fragender Blick verwandelte sich in ein Strahlen.
"Du liebst ihn. Ich wusste es!" Es hatte keinen Sinn es länger zu leugnen.
"Ja." gab ich zerknirscht zu, so leise dass es kaum hörbar war.
"Und wenn du es jemand sagst, werde ich dich höchstpersönlich umbringen, Les. Damit das klar ist: weder Raph noch Gid dürfen das wissen. Ganz besonders nicht Gid."
"Schon gut. Ich werde es niemandem sagen. Aber was machst du wenn Gid es selbst rausfindet?"
"Das wird er nicht. Aber wenn doch bin ich voll am Arsch! Dann kann er mich nämlich das ganze kommende Schuljahr mit verletzenden Bemerkungen foltern und mich öffentlich blamieren."
"Traust du ihm das wirklich zu, oder hast du nur Angst dass dir ein Zacken aus der Krone fällt, wenn du zu deinen Gefühlen stehst?" So hatte ich das noch gar nicht betrachtet...
"Ich weiß es nicht, Les. Vermutlich vertraue ich ihm einfach nicht, wieso auch immer..." Und mir selber auch nicht. Die Vorstellung in Gideons Händen zu Wachs zu werden widerstrebte mir noch immer.

Und einmal Ferienlager...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt