2. Kapitel

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Germán lief. Immer und immer weiter. Ließ seine sich sorgende Tochter und seine mitleidvoll dreinblickende Schwägerin hinter sich. Er wollte die Hochzeit, das ganze Desaster, seinen Kummer und das Leid zu gerne ebenfalls hinter sich lassen. Es mit jedem weiteren Schritt, den er tat, immer weiter von sich schieben. Das war jedoch ein unmögliches Vorhaben, das wusste er.

Germán versuchte an nichts zu denken, seinen Kopf frei von jeglichen Gedanken zu halten, doch auch das gelang ihm nicht. Warum hatte Esmeralda so etwas getan? Warum hatte sie so sehr mit ihm, mit seinen Gefühlen gespielt? Was sollte das alles? Hatte sie das Geld so nötig, um sich die ganzen letzten Wochen, Monate als eine andere Person auszugeben, allen um sich herum etwas vorzuspielen? Das glaubte Germán eigentlich nicht, jedoch war er sich aktuell nicht sicher, was und wem er überhaupt noch glauben konnte.

"Papá?" Eine ihm allzu vertraute Stimme holte ihn aus seinen trübseligen Gedanken. Germán drehte sich um und Violetta lief die letzten Schritte auf ihren Vater zu. "Was willst du?" Seine Stimme klang monoton, abweisend. So wollte er sich gegenüber seiner Tochter eigentlich nicht verhalten, aber in diesem Moment konnte er einfach nicht anders. Er wollte alleine sein, in Ruhe gelassen werden und er hatte auch gedacht, dass dies bei den anderen angekommen war. Anscheinend nicht.

Violetta sah ihn mit großen, mitfühlenden Augen an. Eine kurze Zeit erwiderte Germán es, dann sah er woanders hin. Er ertrug das ganze Mitleid und die geteilte Trauer nicht. Er wollte nicht, dass sich alle um ihn sorgten. Er wollte das ganze Geschehen der letzten Stunde einfach nicht wahrhaben, es aus seinem Gehirn verbannen. Germán schloss die Augen. Wenn er sie jetzt wieder öffnete, wünschte er sich, in seinem Bett neben Esmeralda aufzuwachen und erleichtert zu merken, dass das alles nur ein schrecklicher Albtraum war. Das war es jedoch nicht. Es war die schreckliche Realität...

Germán setzte sich wieder in Bewegung und lief den von Bäumen begrenzten Weg entlang, auf einen kleinen, menschenleeren Park zu. Mit einer Handbewegung winkte er seine Tochter zu sich, welche augenblicklich neben ihm war. "Ich will eigentlich gar nichts sagen und kann mir gut vorstellen, dass du jetzt lieber alleine wärst.", meinte Violetta, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergelaufen waren. "Ach ja?" Germán hob fragend eine Augenbraue. Wenn sie es wusste, warum war sie dann überhaupt hier?

Violetta schien sich seine stumme Frage denken zu können, denn sie ergänzte sofort: "Als du von uns weggegangen bist, wollte Jade dir hinterherlaufen." Germán seufzte genervt auf. Diese Frau würde wohl niemals verstehen, dass er sie nicht liebte und auch nie lieben würde. Außerdem kannte sie ihn offenbar nicht so gut, wie sie dachte. Sonst würde sie sich denken können, dass er lieber seine Ruhe hatte. Aber mit Denken hatte Jade ja sowieso nicht viel am Hut. Oder seine Gefühlslage kümmerte sie einfach nicht im geringsten und sie wollte die Situation schamlos ausnutzen und ihm nahe kommen... Einer der vielen Gründe, warum sie nicht die Frau fürs Leben war, warum die beiden einfach nicht zusammenpassten.

"Angie hat schnell genug reagiert und Jade von ihrem Vorhaben abgehalten. Sie hat mich an Jades Stelle zu dir geschickt.", erklärte Violetta weiter und begann plötzlich zu kichern. "Du hättest Jades Gesicht sehen sollen, als sich Angie ihr in den Weg gestellt hat und ich es dann war, die dir nachgelaufen ist." Germáns Mundwinkel hoben sich minimal. Ja, das wütende Gesicht konnte er sich gut vorstellen. "Du solltest dich dafür bei Gelegenheit bei Angie bedanken." Seine Tochter zwinkerte ihm lächelnd zu. Da hatte sie recht. Jade hätte er aktuell wirklich nicht ertragen. "Das sollte ich wohl.", antwortete Germán nachdenklich, denn ihm war bei Vilus Worten noch ein anderer Gedanke gekommen. 

Angie wusste, ganz im Gegenteil zu Jade, was er brauchte, was sie machen musste, damit es ihm gut ging. Sie handelte immer zum Wohle ihrer Mitmenschen. Sie hätte auch selbst kommen können, doch sie wusste, dass ihm seine Tochter in dieser Situation am liebsten war. Obwohl... das stimmte nicht ganz. Gegen Angies Erscheinung hätte Germán auch nichts gehabt. Doch nach dem ganzen Streit, den ganzen Vorkommnissen zwischen den beiden, wunderte es ihn nicht, wenn die blonde Frau nicht selbst kommen wollte. Sie waren im Moment wirklich nicht gut aufeinander zu sprechen. Germán hatte seine Schwägerin ja nicht mal zu dieser Hochzeit einladen wollen...

"Papá?", seine Tochter strich ihm zaghaft über den Arm und holte ihn aus seinen immer verzwickter werdenden Überlegungen. "Ist alles in Ordnung?" Germán sah Violetta einen Moment nachdenklich an, dann entschied er sich dafür, Vilu anzuvertrauen, was ihn beschäftigte. "Ich hab Angie Unrecht getan, nicht wahr?" Die Braunhaarige sah ihren Vater verwirrt an. "Was meinst du?" Er holte tief Luft. Ja, wie genau meinte er es eigentlich? "Angie will doch immer nur das beste für mich, für uns?" "Ja?" "Wie gerade eben, als sie Jade netterweise von mir ferngehalten hat." Violetta nickte zustimmend, wartend, woraufhin er genau hinauswollte. Das wusste Germán selbst noch nicht so genau. "Wie kam es, dass wir uns so voneinander entfernt haben?" Violetta runzelte die Stirn. "Das willst du von mir wissen?" Diesmal war es an Germán zu nicken.

Seine Tochter überlegte einige Momente. "Naja, ihr wart euch nie einig, habt euch immerzu gestritten." Violetta spielte nachdenklich mit einer Haarsträhne. "So viel ich mitbekommen habe, hat deine Beziehung mit Esmeralda sie ziemlich fertig gemacht. Sie hat Esmeralda nie gemocht, hat sich in ihrer Nähe unwohl gefühlt. Das war, denke ich, ein großer Punkt, der euch auseinander gebracht hat." Germán dachte über ihre Worte nach. Ab dem Zeitpunkt als Esmeralda aufgetaucht war, war sein Verhältnis mit Angie tatsächlich immer schlechter geworden.

"Angie hatte als einzige von allen recht.", kam es plötzlich von Violetta. "Wir haben Esmeralda sofort in unser Leben gelassen, während Angie ihr nie getraut hat. Sie hat sich dadurch ausgeschlossen, ersetzt gefühlt." Vilu schaute ihren Vater ernst an. "Jetzt sieh dir die Lage an. Angie lag mit ihrem Misstrauen richtig."

Germán fühle sich, wie vor den Kopf gestoßen. Er hatte sich wegen Esmeralda mit seiner Schwägerin gestritten und sich von ihr entfernt. Nun war Esmeralda weg und er hatte es sich bei Angie verscherzt. Dabei konnte sich der große Mann in diesem Moment nichts schöneres vorstellen, als jetzt von seiner Schwägerin tröstend in den Arm genommen zu werden.

"Violetta." Seine Stimme klang rau, er fühlte sich in diesem Augenblick schrecklicher, als bereits die ganze Zeit davor. "Ja?" Vilu griff nach seiner Hand und drückte sie leicht. "Ka-kannst du wieder zurück gehen und Angie in meinem Namen bitten, zu kommen. Wenn sie nicht will, ist das okay. Du musst sie zu nichts zwingen." Angie war die einzige Person, die Germán jetzt sehen wollte. Er wollte mit ihr sprechen, sich bei ihr entschuldigen, wollte, dass sie ihm Trost und Aufmunterung spendete und wollte vor allem endlich wieder in ihrer Nähe sein. Er wusste nicht, warum dieses Verlangen so plötzlich kam, aber es war da. Ob Angie überhaupt erscheinen würde, war eine andere Frage, aber darüber wollte Germán jetzt nicht nachdenken.

Anders als gewohnt, grinste seine Tochter nicht verschwörerisch und machte auch keinerlei stichelnde Bemerkungen. "Klar, das mache ich." Mehr sagte sie gar nicht. Sie nahm ihren Vater kurz in den Arm, drehte sich anschließend stumm um und lief schnellen Schrittes den Weg zu ihrer Tante zurück.

Germangie - This Ain't GoodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt