Die Umarmung der beiden war nun einige Minuten her. In der Zwischenzeit war Violetta wieder gekommen, um sich von ihnen zu verabschieden. Sie musste ins Studio, während Angie erst später Unterricht hatte.
Entgegen Germáns Vorhaben schnellstmöglich in seinem Büro zu verschwinden und Angies Plan auf Abstand zu gehen, saßen sie nun zusammen am Tisch und redeten miteinander.
Germán erkundigte sich zunächst darüber, um welche Dinge sich Olga, Ramallo und Angie am Vortag genau gekümmert hatten. Den Moment im Park ließ er dabei vollkommen außer Acht. Natürlich, schließlich hatte es für ihn auch keinerlei Bedeutung. Die blonde Frau war mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass Germán keine Gefühle für sie hegen konnte. Nicht, seit er wusste, wer sie war. Der Kuss musste für ihren Schwager ein Fehler gewesen sein, ein hilfloser Versuch, sein gebrochenes Herz zu heilen und den Schmerz zu vergessen...
Die ganze Nacht hatte Angie darüber nachgedacht. Sie war mehrere Stunden wach neben Germán gelegen, war zwischendurch vielleicht auch mal kurz eingenickt. Um vier Uhr -oder war es schon fünf gewesen?- hatte sie sich zum Gehen durchringen können und hatte daheim wenigstens noch ein bisschen Schlaf gefunden.
Die ganze Nach hatte Angie nachgedacht. Auch über ihre eigenen Gefühle. Sie hatte Gefühle für Germán, das konnte sie nicht leugnen. Vor allem jetzt, da er keine andere Frau mehr um sich herum hatte, hoffte ihr verräterisches Herz erneut, eine Chance bei ihm zu haben. Zumal sie sich aktuell gut verstanden und nicht miteinander stritten.
Als ihr Verstand aber schließlich zu der Schlussfolgerung gekommen war, dass dies unmöglich war, dass Germán auf keinen Fall Gefühle für sie haben konnte, hatte sich die blonde Frau ganz auf sich konzentriert. Sie hatte zwar Gefühle für ihren Schwager, jedoch gab es noch jemand anderen, der die Schmetterlinge in ihrem Bauch in Aufruhr versetzte. Jeremías. Angie war sich sicher, dass sie auch für ihn etwas empfand, wenn vielleicht nicht ganz so stark, wie für Germán. Zumindest im Moment.
Doch Angie würde sich nun in Bezug auf ihren Schwager wieder zurückhalten, würde ihr platonisches, rein freundschaftliches Verhältnis wieder aufbauen, sodass sie, so hoffte die blonde Frau, Germán irgendwann vergessen konnte, während ihre Gefühle für Jeremías die Oberhand gewannen. Sie würde heute im Studio auf jeden Fall so viel Zeit wie möglich mit dem Pianisten verbringen. Er musste ihr auch immerhin noch erklären, warum er gestern nicht erschienen war und sich bis jetzt immer noch nicht gemeldet hatte...
"Angie, bist du noch da?" Als sie diese dunkle Stimme vernahm und eine Hand vor ihren Augen wedeln sah, löste sich die junge Frau aus all ihren Gedanken. Sie war vollkommen in diesen versunken gewesen. "Tut mir leid." Angie schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf ihren Schwager. "Was hast du gesagt?"
Germán lächelte sie leicht an. Er war zwar nicht mehr so deprimiert und traurig wie noch vor einigen Stunden, dafür war er heute jedoch ziemlich... selbstkritisch? Ja, das traf es ganz gut.
"Ich habe nur gesagt, dass ich noch nicht einmal Violetta lieben kann, ohne ihr wehzutun." Germán verkroch sich förmlich in dem großen Stuhl, hatte die Hände vor der Brust verschränkt. Er sah lediglich das eine oder andere Mal auf, um seine Schwägerin anzublicken. "Es belastet mich immer noch, dass ich sie angelogen habe. Dass ich ihr so lange verheimlicht habe, dass sie eine Familie hat. Ich habe sie praktisch dazu gezwungen, mich anzulügen, damit sie ihrer Berufung nachgehen kann. Ich bin da gar nicht viel besser als Esmeralda, Angie. Ich bin zu allem in der Lage, um in ihrer Nähe zu sein und sie zu beschützen. Das ist überhaupt nicht gut."
Schon wieder sah er sie aus solch traurigen Augen an, die dieses Mal voller Selbstzweifel waren. So kannte Angie ihren Schwager gar nicht. "Germán, das stimmt doch nicht! Ich weiß, dass du, was Violetta betrifft, gerne zu überfürsorglich, ängstlich und besessen bist. Wer könnte das besser beurteilen als ich?" Germán schaute auf, um seine Mundwinkel zuckte es verräterisch. Angie grinste ihn an. "Und ich weiß, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, viele Meinungsverschiedenheiten, Streitereien, und Nervenzusammenbrüche deiner- und meinerseits inklusive, bis du Violetta wirklich loslassen kannst, aber du hast dich doch schon gebessert."
Germán hob eine Augenbraue. Er schien nicht ganz ihrer Meinung zu sein. "Du hast mit den ganzen Lügen aufgehört, Germán. Sie weiß endlich, dass sie eine Familie hat, kennt ihre Vergangenheit und sie darf singen." Ihr Schwager zuckte bei der Stelle mit den Lügen sichtlich zusammen, wie Angie verwundert feststellte. Sie fuhr jedoch unbeirrt fort, beachtete diese Tatsache nicht weiter.
"Vilu hat viel mehr Freiheiten, als damals, als ich zu euch gekommen bin. Germán, keiner erwartet von dir, dass du dich von heute auf morgen änderst, dass du plötzlich keine Angst mehr um deine Tochter hast." Angie sah ihn nun aus sanften Augen an, blickte tief in das dunkle Braun seiner. "Natürlich gefällt Vilu das oft nicht, aber sie, sowie jeder andere, weiß, wie sehr du sie liebst. Keiner kann bestreiten, dass du ein guter Vater bist!"
Germán schüttelte bestimmt den Kopf. "Nein, Angie." Die blonde Frau sah ihn verwundert an. Sie hatte eigentlich geglaubt, ihn mit ihren Worten überzeugen zu können. "Warum nicht?" Germáns Blick war ernst, kritisch. "Um ein guter Vater zu sein, muss man es schaffen, die Wahrheit zu sagen, anstatt alle um sich herum anzulügen. Mir fällt das schwer, ich kann das nicht." "Nein, so ist es nicht. Wirklich nicht." Angie verstand überhaupt nicht, was mit ihrem Schwager los war, auf was er hinauswollte.
"Auch wenn es uns weh tut, die Wahrheit kommt früher oder später ans Licht, richtig?" Angie war nur noch verwirrt. Welche Wahrheit denn? "Das ist doch gut. Das ist nichts schlimmes, glaub mir.", versuchte Angie ihn zu beruhigen. Es hatte sich doch gezeigt, gerade im letzten Jahr, wie wichtig es war, die Wahrheit zu sagen. "Ja, es wäre nicht schlimm, wenn es Violetta nicht verletzten würde.", entgegnete Germán niedergeschlagen.
"Ich verstehe das nicht. Wieso sagst du das?" Angie war wirklich restlos irritiert. Welche Wahrheit meinte er denn und warum sollte es Violetta verletzten? Spielte er etwa auf die Lügen vom vergangenen Jahr an? Aber diese hatten sie alle doch schon längst geklärt und sich gegenseitig verziehen! Germán seufzte auf. In seinen Augen blitzte etwas auf, das Angie nicht zuordnen konnte. "Das mit Esmeralda hat mich erkennen lassen, dass ich kein guter Vater bin. Und das will ich ändern, und zwar von heute an." Er blickte seine Schwägerin entschlossen an. "Das finde ich gut.", bestätigte sie seine Worte. "Aber ich verstehe nicht, was du meinst. Was hat sie damit zu tun, dass du denkst, dass du kein guter Vater bist? Das mit Esmeralda ist etwas, dass dir widerfahren ist, Germán. Es war doch nicht deine Schuld, du wurdest getäuscht! Wieso bist du denn jetzt so hart zu dir selbst?"
Germán ging nicht auf ihre Fragen ein. "Du kennst mich nicht so gut, wie du denkst, Angie. Du weißt nicht, wozu ich fähig bin.", schloss er das Thema geheimnisvoll ab und stand auf.
Oh, nein! Er würde sie jetzt nicht einfach mit diesen mysteriösen Worten zurücklassen! Er würde ihr ihre Fragen beantworten!
Angie stand ebenfalls hastig auf und griff nach dem Handgelenk ihres Schwagers, bevor dieser verschwinden konnte. "Germán, rede mit mir!" Sie sah ihn fest an, doch er erwiderte den Augenkontakt nicht und starrte auf den Boden. "Esmeraldas Lüge hat mich in dem Sinne erkennen lassen, dass ich kein guter Vater bin, als dass sie mir gezeigt hat, wie schlecht und verletzend solche Lügen sind und ich das Violetta nicht weiter antun kann!"
Angie ließ sein Handgelenk abrupt los und starrte ihn aus großen Augen an. "Du lügst sie immer noch an?" Er sagte nichts dazu. "Germán. Von welcher Lüge sprichst du?" Ihr Ton wurde schärfer. Es konnte doch nicht sein, dass er seine Tochter schon wieder belog!
Germán sah nun auf, seine Augen blickten beinahe ängstlich in die von Angie. "Sag es mir, Germán!"
Kurz passierte nichts, doch dann nickte er ergeben. "Angie, ich... ich bin..."
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Germangie - This Ain't Goodbye
FanficGermán wollte Esmeralda heiraten, doch an deren Hochzeit hatte sich herausgestellt, dass sie eine Lügnerin, eine Schauspielerin war. Obwohl Angie durch die Beziehung der beiden sehr verletzt wurde, zögert sie keine Sekunde, ihrem Schwager beizustehe...