"Und dann? Was ist dann passiert? Jetzt erzähl schon!", forderte Angie ihren besten Freund neugierig auf und rüttelte an seinem Arm. Pablo lachte amüsiert auf. "Es ist gar nichts passiert. Ich hab mich von ihr verabschiedet und bin gegangen. Ich weiß nicht, ob wir uns wiedersehen werden."
Angie verringerte ihr Tempo und sah ihn kritisch von der Seite an. "Och man, echt jetzt? Da treffe ich mich extra mit dir, um die neuesten Infos zu deiner geheimnisvollen Freundin zu erfahren und dann willst du mir ernsthaft weismachen, dass da überhaupt nichts lief?!" Pablo grinste erneut, während er die blonde Frau auf einen anderen Weg lenkte. Sie waren umgeben von Wiesen und Bäumen. "Ach, so ist das. Und ich dachte, du wolltest dich mit mir treffen, weil du gerne Zeit mit mir verbringst. Dabei bist du nur am neuesten Klatsch und Tratsch interessiert."
"Du hast es erfasst.", zwinkerte Angie und hakte sich bei Pablo unter. Es war sein Verdienst, dass die junge Frau aktuell so gut gelaunt war. Er hatte sich in den letzten Tagen rührend um sie gekümmert, war fast nie von ihrer Seite gewichen und es tatsächlich geschafft, ihre Stimmung Tag für Tag ein wenig zu heben. Im Studio machte Gregorio schon ständig stichelnde Bemerkungen über die Unzertrennlichkeit der beiden.
"Aber nochmal zurück zum Thema. Sie klang deinen Erzählungen nach doch wirklich sympathisch. Willst du wirklich nicht mehr von ihr?" Pablo seufzte auf und warf ihr einen vielsagenden Seitenblick zu, den Angie nicht zuordnen konnte. "Sie ist es nicht, Angie.", erklärte er knapp, als wäre es total offensichtlich. Er zuckte abschließend mit den Schultern und zog Angie näher an sich.
Eine Weile liefen sie stumm nebeneinander her, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Die blonde Frau genoss die Nähe zu ihrem besten Freund, sie fühlte sich immer gut, wenn sie bei ihm war. Das war schon in ihrer Jugend so gewesen und hatte sich bis heute nicht verändert. "Du, Angie.", durchbrach Pablo dann die Stille. "Antonio hat neulich einen beiläufigen Kommentar gemacht, dass unsere Freundschaft gerade jetzt so wichtig wäre, wo du vor einer so schwierigen Entscheidung stündest. Gibt es was, das ich nicht weiß oder hab ich ihn einfach falsch verstanden?"
Angie blieb daraufhin langsam stehen und blickte fest in Pablos hellbraune Augen. Seine Haare waren vom leichten Wind mittlerweile ganz zerzaust. "Du hast nichts falsch verstanden. Ich wollte mit dir darüber reden, wenn ich das Angebot tatsächlich in Betracht ziehe. Und das tue ich mittlerweile, von dem her ist jetzt wohl der optimale Zeitpunkt dir davon zu erzählen." Pablo sah sie verständnislos an, während sich die Lehrerin unsicher auf die Unterlippe biss. Ob er ihre Entscheidung gutheißen würde? Ob er sich für sie freuen würde? Oder ob er nicht wollte, dass sie ging?
"Angie." Pablo lenkte die Aufmerksamkeit mit sanfter Stimme wieder auf sich. Er umschloss eine ihrer Hände mit seiner und drückte sie leicht. "Von welchem Angebot sprichst du?" "Ich... du, ich... ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll." Angie holte tief Luft und ordnete ihre Gedanken: "Antonio hat vor einer Weile von einem Musikstudio in Paris erzählt, das unserem von der Unterrichtsweise gar nicht so unähnlich ist. Erinnerst du dich noch daran?" Pablo legte den Kopf leicht schief. "Ja, klar. Es ist das größte in Frankreich und eines der angesagtesten in ganz Europa, Antonio hat es sehr gelobt. Aber ich verstehe nicht ganz, was das mit dir zu tun hat."
Angie wich seinem fragenden Blick für ein paar Sekunden aus, bevor sie ihn zögernd aufklärte: "Du weißt ja, dass es mir wegen der Geschichte mit Germán und Jeremías nicht so gut geht und ich mich hier generell nicht mehr ganz wohlfühle." "Stimmt, du hast erzählt, dass du eine Veränderung brauchst.", erinnerte sich der Direktor und Angie nickte zustimmend. "Auf jeden Fall hat Antonio das auch bemerkt und mir die Nummer von einem der Lehrer am Pariser Studio gegeben. Sie bieten mir dort eine Stelle als Komponistin an."
Es dauerte kurz, bis die Informationen und deren Bedeutung gänzlich bei Pablo ankamen. Seine Augen vergrößerten sich in Zeitlupe und er starrte seine Freundin fassungslos an. "Du gehst nach Frankreich!?" Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. "Ja, ich meine nein... ich, ich meine vielleicht... ich... vermutlich schon.", stotterte Angie unsicher vor seiner Reaktion. Gleichzeitig war sie erleichtert, es nicht länger für sich behalten zu müssen und ihm erzählt zu haben. "Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden. Aber ich glaube, es ist das richtige für mich und ich habe auch schon mit besagtem Lehrer telefoniert. Wir waren von den musikalischen Vorstellungen sofort auf einer Wellenlänge und ich habe das Gefühl, dass sie wirklich sehr interessiert an mir sind. Ich habe Zeit bis Ende des Monats mich zu entscheiden, aber ich wollte vorher noch mit dir und Vilu darüber sprechen."
Pablo schien zunächst sprachlos. Er starrte sie völlig überfordert an, während sich in seinem Kopf vermutlich alles überschlug. "Du... du willst wirklich von hier, von... von deinen Schülern, deiner Nichte, deinen Freunden... von mir weg?", verlangte er nochmals die Bestätigung. Angie schluckte hart, er klang plötzlich ungemein verletzt. "Es ist nun mal eine einmalige Gelegenheit für mich.", bestätigte die blonde Frau ruhig, "Und es ist ja nicht für immer. Und ich gehe ja nicht, weil ich euch verlassen will, im Gegenteil, ich werde euch alle schrecklich vermissen."
Sie suchte nach den richtigen Worten. "Aber es ist besser zu gehen. Und ich bin mir damit auch immer sicherer." Auf einmal sah sie etwas in Pablos Augen aufblitzen und er trat einen Schritt von ihr zurück. "Ich gehe, weil..." Ihr Freund verspannte sich am ganzen Körper, während sich seine Miene verfinsterte. "Du gehst, weil dich Germán verletzt hat.", unterbrach der Braunhaarige. Ihm ist scheinbar ein Licht aufgegangen. "Du gehst wegen Germán. Weil du nicht weißt, wie das mit euch beiden je wieder funktionieren soll und deshalb läufst du weg." Pablo war fassungslos. Und enttäuscht. Und wütend.
"Wegzulaufen ist doch keine Lösung, Angie, du wirst immer dieselben Probleme haben - hier, in Frankreich, überall. Dein Leben wird sich nicht ändern, nur weil du das Land verlässt!" Nun war es Angie, die ihrem Gegenüber wütend entgegenstand. "Ich laufe nicht weg!" Dass er von ihrer Entscheidung nicht allzu begeistert war, hatte sie sich im Vorfeld denken können, aber so eine Reaktion? Sie konnte seine Sichtweise nicht teilen und dabei hatte sie so auf sein Verständnis und seine Unterstützung gehofft...
Pablo verschränkte die Arme vor der Brust. "Doch, genau das tust du. Du läufst weg. Du flüchtest vor dem, was dich traurig macht; vor Germán; nenn es, wie du willst. Wieso siehst du das nicht ein?" Die Verzweiflung in seiner Stimme war kaum zu überhören. "Darum geht es doch gar nicht!", stellte Angie schnippisch fest und entgegnete ihm lautstark: "Ich flüchte nicht, sondern nehme mein Schicksal selbst in die Hand und will mein Leben verändern. Ich muss mich weiterentwickeln, deshalb gehe ich nach Frankreich! Ich muss meine Lebensfreude wiederfinden, das weißt du besser als jeder andere!"
Warum gab es niemanden, der sie verstand, der sie unterstützte? Warum konnte Pablo nicht für sie da sein? "Und wenn du mein Freund bist, wie ich eigentlich dachte, dann solltest du mich doch darin bestärken." Sie sah ihn traurig an.
Pablo blickte zu Boden. Mehrere Sekunden lang war es totenstill, Angie kamen sie wie Jahre vor. Weder wusste sie, was sie noch sagen konnte, noch verstand sie, was plötzlich mit Pablo los war.
Doch dann hob er seinen Kopf und als Angie Tränen in seinen Augen schimmern sah, hielt sie erschrocken die Luft an. Er strahlte eine Traurigkeit und Verletztheit aus, die ihre eigene um Welten übertraf. "Gerade weil ich dein Freund bin, muss ich dir sagen, dass du einen Fehler machst.", begann er leise. "Wäre dein Beweggrund die neue Erfahrung und nicht Germán, dann sollte ich dich in deinem Vorhaben unterstützen, das stimmt. Aber weißt du, warum ich es selbst dann nicht könnte?"
Seine Stimme sowie sein gesamter Körper zitterten. Angie fing an, sich ernsthafte Sorgen um Pablo zu machen und wollte einen Arm nach ihm ausstrecken, doch er schüttelte abwehrend den Kopf. "Wei-weil ich mir nicht vorstellen kann, jeden Morgen aufzustehen in der Hoffnung dich zu sehen, du aber nicht da bist." Nun war er es, der auf Angie zulief und direkt vor ihr stehenblieb.
"Weil es schon schwer genug ist, dass ich nur als bester Freund an deiner Seite sein kann, ich es aber nicht ertragen würde, überhaupt nicht an deiner Seite zu sein." Seine Hand umfasste behutsam ihre Wange und als ihm die Tränen über die Wangen liefen, spürte Angie, wie etwas in ihr zerbrach.
"Weil ich dich immer noch liebe. Ich liebe dich, obwohl ich weiß, dass es nichts ändert. Dass es nie etwas ändern wird. Denn du hast dein Herz unwiderruflich an einen Mann verloren, der dafür verantwortlich ist, dass du das Land - und damit mich - verlassen möchtest."
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Germangie - This Ain't Goodbye
FanfictionGermán wollte Esmeralda heiraten, doch an deren Hochzeit hatte sich herausgestellt, dass sie eine Lügnerin, eine Schauspielerin war. Obwohl Angie durch die Beziehung der beiden sehr verletzt wurde, zögert sie keine Sekunde, ihrem Schwager beizustehe...