Nach dem ersten großen Schock löste sich die Menge langsam auf, bis die meisten Gäste gegangen waren. Zurück blieben nur die üblichen Personen.
Angie sah, wie Violetta und hauptsächlich Jade tröstend auf Germán einredeten, während dieser stumm zu Boden blickte. Ob er überhaupt zuhörte? An was er wohl dachte? Er tat ihr furchtbar leid. So etwas hatte Germán nicht verdient!
Angie selbst stand ein wenig Abseits, um einen Anruf tätigen zu können. "Jeremías, wenn du unterwegs bist, kannst du gleich umkehren und nach Hause gehen. Die Hochzeit ist abgesagt, das ist eine lange Geschichte, ich erzähl sie dir später." Sie sprach ihm auf die Mailbox. Er ging, wie schon Minuten zuvor, nicht an sein Handy, was Angie etwas verunsicherte. Ob bei ihm alles in Ordnung war?
Das Wiederkommen von der Polizistin ließ Angie aus ihren Gedanken um Jeremías, zurück zu der geplatzten Hochzeit ihres Schwagers kommen. Die blonde Frau gesellte sich wieder zu den anderen und lauschte den Worten von Señorita Parodi. "Esmeralda hat es geschafft, zu fliehen. Aber keine Sorge, meine Männer durchsuchen gerade die Nachbarschaft, also wird sie sicher nicht weit kommen." Auch wenn es Angie für ihren Schwager leid tat, war sie froh, dass Esmeralda nicht mehr hier war. Die blonde Frau hatte ihr von Anfang an misstraut und damit wohl auch recht behalten.
"Was sind das für Papiere?", erkundigte sich Violetta verwundert und erst jetzt fiel Angie auf, dass Ramallo, welcher neben Parodi saß, etwas in den Händen hielt. "Ach so, ja. Ich habe mit der Kommissarin Esmeraldas Zimmer durchsucht und da haben wir diese Papiere gefunden.", erklärte Ramallo. "Ich glaube, es sind Kopien eines Tagebuches. Es gehörte wohl deiner Mutter." Germán, sowie Violetta, die dicht neben ihm saß, sahen auf.
"Señor Ramallo ist sich sicher, es ist die Handschrift Ihrer Frau.", ergänzte die Kommissarin an Germán gewandt. "Aber wozu hat Esmeralda diese Kopien gebraucht?", fragte Violetta, während es in Angies Kopf 'Klick' gemacht hatte. "Na klar. Sie wollte wissen, wie deine Mutter war, um so zu reden, wie sie, um ihre Art besser imitieren zu können. Sie wollte, dass Germán sich in sie verliebt." Endlich ergab alles einen Sinn, endlich! Angie hatte sich schon so lange gefragt, wie Esmeralda es schaffte, María eins zu eins zu zitieren, imitieren. Das kopierte Tagebuch war die logische Antwort. Wären die Umstände nicht so traurig und einfach schrecklich gewesen, hätte Angie grinsend mit dem Finger auf sich gezeigt und überlegen gerufen: 'Ich hab's euch ja gesagt.'
"Ja, natürlich. Sie hat ja immer dieselben Sätze wie Mamá gesagt.", bemerkte Vilu nun das, was Angie schon die ganze Zeit über skeptisch zur Kenntnis genommen hatte. Die blonde Frau hatte Esmeralda nie getraut, war sich sicher gewesen, dass Esmeralda gesagte Worte, Sprüche ihrer Schwester, nie wirklich ernst gemeint hatte. Es war wie auswendig gelernt. Einstudiert, um Germán zu beeindrucken und für sich zu gewinnen. Es war gespielt, alles war nur gespielt, unecht gewesen. Die ganze Person 'Esmeralda', welche Violetta und Germán Tag für Tag erlebt hatten, war eine Lüge, eine Täuschung, eine unechte Figur gewesen.
Lediglich Angie hatte ab und an ihr wahres Gesicht gesehen. In den Momenten, wenn Esmeralda sie böse angelächelt hatte, ihr einen hasserfüllten, abwertenden Blick zugeworfen hatte. Wenn sie provozierend zu Angie gesehen hatte, immer dann, wenn Esmeralda mit Germán geredet hatte oder natürlich, als die blonde Frau von ihr bedroht wurde. Das waren die Augenblicke, in denen sich Angie sicher war, dass Esmeralda etwas plante, dass sie allen etwas vormachte. Das sich dies jedoch nun als so große und furchtbare Aktion herausstellte, hätte sich Angie niemals erträumen lassen. Zumal immer noch unklar war, was das genaue Ziel dieser Frau war...
"Nein, wie konnte ich nur so naiv sein?", fragte sich Violetta verzweifelt und fasste sich an den Kopf. Ihre Nichte konnte das alles genau so wenig fassen. Sie brauchte sich jedoch keine Schuld zu geben, denn sogar Angie, die Esmeralda sehr wohl misstraut hatte, war nicht hinter ihre wahren Machenschaften gekommen.
Die blonde Frau wollte Violetta genau dies eigentlich sagen, doch als sie Jade im Augenwinkel ein wenig merkwürdig grinsen sah, tat sich ihr eine ganz andere Frage auf. "Eine Frage, Jade." Die junge Frau begann diese sofort zu stellen. "Wenn ihr so gute Freunde wart, wieso hast du das erst jetzt gemerkt? Ich habt doch so viel Zeit zusammen verbracht, kam sie dir nie verdächtig vor?" Die ganze Beziehung zwischen Esmeralda und Jade kam Angie schon vorher komisch vor und nach den aktuellen Geschehnissen nur umso mehr.
"Soll das eine Anschuldigung sein?", wollte Jade sich sogleich wehren. Mehr konnte sie jedoch gar nicht sagen, da sich in diesem Moment Germán erheben wollte, was von Violetta sorgenvoll zur Kenntnis genommen wurde. "Papá, wo gehst du hin?" Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Ganz ruhig. Keine Sorge, mir geht's gut.", winkte er ab und stand nun vollends auf. "Ich will jetzt einfach nur... irgendwo anders sein."
Germán lief los, an Angie vorbei, steuerte auf ein ihr und möglicherweise auch ihm selbst unbekanntes Ziel zu. Die blonde Frau konnte ihn gut verstehen. Er brauchte eine Auszeit, musste den Kopf frei bekommen. Sie bezweifelte auch, dass er irgendetwas von dem, was sie die letzten Minuten über gesprochen hatten, wirklich mitbekommen hatte. "Nein.", verzweifelte Violetta und deren Tante ging es nicht anders. Ihr Schwager sah völlig fertig aus und ob Angie es wahrhaben wollte oder nicht, hatte sie das Gefühl, ihr eigenes Herz würde vor Kummer zerspringen. Sie ertrug es einfach nicht, ihn so zu sehen.
"Ganz ruhig, Vilu.", meldete sich Jade zu allem Überfluss, gespielt fürsorglich, zu Wort. "Papá." An mehr konnte Vilu in diesem Moment wohl nicht denken, doch Jade fuhr unbeirrt fort. "Was dein Vater jetzt braucht, bin ich.", meinte sie überzeugt und wollte ihm allen ernstes hinterherlaufen. Dies würde Angie auf jeden Fall zu verhindern wissen! Sie stoppte Jade, bevor diese an ihr vorbeilaufen konnte.
"Nein, Jade, hör zu.", begann Angie und musste bei dem kommenden Satz aufpassen, ihre Nichte und nicht sich selbst zu nennen. "Ähh, nicht du, sondern Violetta, sollte zu ihm gehen. Er braucht jetzt seine Tochter." Diese lief augenblicklich ihrem Vater hinterher und Jade blieb unzufrieden an Ort und Stelle stehen.
Angie drehte sich um und sah zu, wie sich ihre Nichte immer weiter entfernte. Sie würde diese gerne begleiten, nun bei Germán sein und ihn trösten. Die blonde Frau konnte sich diesen Wunsch wirklich nicht erklären. Irgendwo sollte sie doch zumindest ein bisschen Schadenfreude empfinden. Germán hatte sie mit Esmeralda und dieser Beziehung so sehr verletzt. Außerdem wollte sie nichts mehr von ihm, hatte akzeptiert, dass es für die beiden keine gemeinsame Zukunft gab.
Warum drehten sich dann all ihre Gedanken trotzdem um Germáns Wohlergehen? Warum sorgte sie sich nicht eher um Jeremías, der sich immer noch nicht gemeldet hatte? Warum war ihr ihr Schwager nach wie vor noch so wichtig?
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Germangie - This Ain't Goodbye
ФанфикGermán wollte Esmeralda heiraten, doch an deren Hochzeit hatte sich herausgestellt, dass sie eine Lügnerin, eine Schauspielerin war. Obwohl Angie durch die Beziehung der beiden sehr verletzt wurde, zögert sie keine Sekunde, ihrem Schwager beizustehe...