29. Kapitel

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Es wurde bereits dunkel. Schüler sowie Lehrer hatten das Studio mittlerweile verlassen. Nur Angie saß mit einer wärmenden Tasse Tee in der Hand noch am Tisch des Lehrerzimmers. Eigentlich wollte sie sich hier ablenken, sie hatte gehofft, die Musik würde helfen können. Letztendlich hing sie doch wieder ihren Gedanken nach.

Drei Tage war es nun her, dass sie bei den Castillos ausgezogen war. Den Unterricht mit Violetta hatte Angie ebenfalls auf Eis gelegt. Sie fühlte sich aktuell einfach nicht dazu imstande, zumal sie das Haus unter keinen Umständen mehr betreten würde. Die blonde Frau wusste, dass sie sich früher oder später wieder aufraffen musste, ihr Leben zu leben anstatt -wie die letzten drei Tage- monoton vor sich hinzuvegetieren.

Momentan schaffte es Angie nicht. Sie war zu nichts in der Lage und fühlte sich schrecklich fehl am Platz. Von ihren verletzten Gefühlen und dem gebrochenen Herzen ganz abgesehen. Die Lehrerin brauchte etwas, an das sie sich klammern konnte, das ihr neuen Aufschwung gab. Etwas, das ihr die Freude am Leben zurückgab. Und mit jedem Tag, der verstrich, bezweifelte Angie immer mehr, dass sie dies hier in Buenos Aires finden konnte...

"Angie, genau dich hab ich gesucht."

Die Angesprochene zuckte erschrocken zusammen, als sie Antonios Stimme vernahm. Sie hatte nicht bemerkt, dass er in den Raum gekommen war. "Ich habe tolle Neuigkeiten für dich!", strahlte Antonio, während er sich neben Angie setzte. In seiner eigenen Freude fiel ihm ihr betrübter Blick gar nicht auf.

"Ich hab dir vor wenigen Wochen doch von dem Musikstudio in Frankreich und dem Mann erzählt, der nach Algo se enciende so begeistert von deiner Arbeit war?!" Der Satz weckte augenblicklich Angies Interesse und sie sah Antonio nun zum ersten Mal richtig an. Als er aus seiner Jackentasche ein kleines Stück Papier herauszog, folgte sie aufmerksam seinen Bewegungen.

"Hier, sieh mal." Antonio überreichte ihr den Zettel freudestrahlend. "Sie wollen dich wirklich. Das ist der Kontakt zu dem, der an dir und deinen Kompositionen interessiert ist." Die blonde Frau schaute erst Antonio und dann die Kontaktdaten in ihren Händen verblüfft an. "Vielen Dank." Der Ältere hatte ihr damals zwar dieses mögliche Angebot in Frankreich als Komponistin zu arbeiten ausführlich geschildert, doch hatte sie nicht im geringsten damit gerechnet, wirklich ausgewählt zu werden.

Antonio fasste ihre Sprachlosigkeit als Zögern auf und meinte: "Ich verstehe, dass die Situation nun sehr schwierig für dich ist." Angie blickte ihn an und realisierte allmählich, was das Angebot bedeutete. Wenn sie es annahm, würde sie nach Frankreich ziehen... auf einen anderen Kontinent. Weg von ihren Freunden und ihrer Familie. "Bestimmt hast du Angst davor und machst dir Sorgen, aber das bedeutet eine wichtige Chance für dich, an der du wachsen kannst.", fuhr Antonio unbeirrt fort. "Angst ist für dich nie ein Hindernis gewesen. Du hast immer für deine Träume gekämpft, für deine Ideale hast du dich nie entmutigen lassen. Violetta ist das beste Beispiel!"

Angie lächelte ihn herzlich an. Das erste ehrliche Lächeln seit einer gefühlten Ewigkeit. Antonios warme Worte und sein Vertrauen taten ihr gerade in dieser schwierigen Zeit sehr gut. Gleichzeitig musste sie an ihre Nichte denken und ihr Kopf senkte sich ein wenig. "Ich glaube Vilu ist auch einer der wenigen Gründe, der überhaupt dafür spricht, hierzubleiben."

Nun war es an Antonio überrascht dreinzublicken. "Warum? Was ist passiert?" Die junge Frau seufzte. "Sehr, sehr viel.", wich sie einer direkten Antwort aus. Sie wusste, wie viel Antonio insgeheim von Germán hielt und brachte es nichts übers Herz, ihm alles zu erzählen. "Es ist einfach so, dass... Es wird immer offensichtlicher, dass ich Abstand nehmen muss, ich fühle mich zur Zeit so heimatlos. Es ist... Ich weiß, ihr seid für mich da, aber es fühlt sich so an, als würde ich nirgends richtig dazugehören. Ich habe in den letzten Tagen viel über einen möglichen Neuanfang nachgedacht, aber ich weiß nicht."

Sie sah den Mann, der schon lange wie ein Vater für sie war, lange an. "Letztendlich kann ich mir dann doch nicht vorstellen, weg von hier zu sein. Weg von euch, von Violetta. Nein, ich kann es einfach nicht."

Antonio lächelte verstehend und nahm ihre Hand in seine. "Na gut. Es ist ganz normal, dass du genau so fühlst. Also... im Leben ist der erste Schritt immer der schwerste. Aber eine Sache darfst du niemals vergessen: Wenn du zu irgendwas nein sagst, dann sagst du ja zu vielen anderen Sachen im Leben." Angie fühlte, wie sich eine wohltuende Wärme in ihrem Körper ausbreitete. Antonio unterstützte sie bedingungslos und ohne jeden Hintergedanken. Er wollte einfach nur das Beste für sie. Er wollte, dass sie glücklich war.

"Es gibt so viele Chancen da draußen, Angie, und die warten jetzt alle auf dich. Wir wissen beide, das hier hat keine Zukunft für dich, du kannst dich hier nicht weiterentwickeln. Frankreich bietet dir eine neue Chance." Er lächelte sie liebevoll an. "Es geht nur darum, den ersten Schritt zu machen, nichts weiter. Und ich weiß, dass du das kannst. Ganz sicher!"

Angie zog ihren Arbeitgeber gerührt in eine innige Umarmung. "Danke für dein Vertrauen. Das gibt mir das Gefühl von Sicherheit. Vielen Dank." Sie gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange, während ein weiteres Gefühl in ihr aufflammte: Hoffnung. "Antonio. Vielen Dank."

"Da gibt es nichts zu danken. Und ich bin immer für dich da, aber das weißt du ja." Antonio löste sich aus der Umarmung und stand auf. "Überstürze nichts, denke in Ruhe darüber nach und dann folge deinem Herzen."

Angie nickte bestätigend. Sie flüsterte abschließend mehr zu sich selbst als zu dem gehenden Antonio: "Das ist wirklich eine große Chance für mich." Sie seufzte leise auf und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Hatte sie innerlich etwa auf diese Neuigkeit gehofft? War es wirklich das Richtige, alles hinter sich zu lassen und neu zu starten? Sie musste eine Entscheidung treffen.

Eines wusste sie allerdings schon jetzt: In Frankreich als Komponistin zu arbeiten, war wie ein Traum, das wäre unvorstellbar. Angie hatte immer von so einer Möglichkeit geträumt.




Sorry für die Verspätung. In nächster Zeit kommt wieder regelmäßiger was.

Danke an alle, die immer noch lesen. ☺

Germangie - This Ain't GoodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt