35. Kapitel

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Germán saß seit Stunden am Klavier. Draußen war es mittlerweile dunkel. Violetta lag nur noch seufzend auf dem Sofa. Ihr gemeinsames Vorhaben stellte sich als schwieriger heraus, als beide angenommen hatten.

Jeder Vorschlag, den sie ihrem Vater unterbreitet hatte, war ihm nicht gut genug gewesen. Der Haufen an zusammengeknülltem Papier zu Germáns Füßen wurde größer und größer. Der Schwarzhaarige hatte unzählige Refrains manchmal zum Teil und manchmal vollständig geschrieben, doch keiner konnte ihn bisher zufriedenstellen.

Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht und starrte vor sich ins Leere. Keine Version hatte sich bisher richtig angefühlt. Irgendetwas fehlte. Er vergaß einen zentralen Aspekt, der das Lied sowie seine Aussage an Angie komplett machen würde. Aber was war es nur?

Germán strich mit seinen Fingern über die  weißen und schwarzen Tasten des Klaviers und begann - zum gefühlt eintausendsten Mal - Angies komponiertes Lied zu spielen. Was vergaß er? Was würde die Geschichte zwischen ihm und Angie vervollständigen? Aber war sie das nicht eigentlich? Germán hatte sich unmöglich verhalten und versuchte nun sich zu bessern. Er versuchte Angie zurückzugewinnen. Seine Schwägerin auf der anderen Seite war wütend auf ihn und wollte das Land verlassen. Er schrieb das Lied ja schließlich, um sie hierzubehalten und sie...

"Ich hab's!" Abrupt riss er seine Hände in die Höhe. Der Gedanke durchzuckte Germáns gesamten Körper. Es traf ihn wie einen Schlag. Wie hatte er das die ganze Zeit übersehen können?



"Bist du bereit für deine letzte Überraschung?", hörte Germán Pablo auf der anderen Seite des Vorhangs fragen. Er atmete zittrig ein und aus. Jetzt ging es los. Der rote Stoff, der sich noch zwischen ihm und dem Publikum befand, wurde langsam zur Seite gezogen.

Germán schluckte hart. Das war sie, seine letzte Chance. Alles oder nichts. Der große Mann spürte, wie sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so nervös gewesen war.

In dem Moment, in dem er für die Zuschauer sichtbar wurde und Angies Augen auf seine trafen, war die Aufregung jedoch wie verflogen. Sie war sein Rettungsanker. Obwohl alles von ihrer Reaktion abhing, wurde Germán mit einem Mal ruhig und sicher. Er schaute seiner Schwägerin fest in die wunderschönen blauen Augen und zog daraus die nötige Kraft und Konzentration. Er würde es nicht vermasseln. Zumindest das war er Angie schuldig.

Ein tiefes Schweigen beherrschte den Raum, sämtliche Aufmerksamkeit lag auf ihm. Der schwarzhaarige Mann schaute ein letztes Mal auf die Notenblätter vor ihm und platzierte seine Finger spielbereit auf den Tasten. Er konnte das Stück in und auswendig.

Germán schlug sich innerlich gegen die Stirn. Er war wirklich ein Dummkopf. Während sein Kopf auf der Suche nach den richtigen Textzeilen wild ratterte, drehte er sich zu seiner Tochter um. Diese starrte ihn, von seinem Ausbruch alarmiert, mit großen Augen an. "Was? Was ist es?" Auf Germáns Lippen legte sich ein wehmütiges, aber glückliches Lächeln. "Wie heißt dieses Musikstudio in Frankreich nochmal?" Er würde endlich das Richtige tun!

"Angie. Ich hab es endlich verstanden."


You and I were friends from outer space

Afraid to let go

The only two who understood this place

And as far as we know

Kaum hatte er mit der einleitenden Melodie begonnen, keuchte Angie überrascht auf. Natürlich erkannte sie ihr eigenes Lied.

Ihre Strophe beschrieb das erste gemeinsame Jahr perfekt. Ihren unbeschwerten Beginn. Die beiden hatten auf Anhieb eine besondere Verbindung zueinander gehabt, verstanden sich auf eine Art und Weise, die für Außenstehende schwierig zu begreifen war.

Germangie - This Ain't GoodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt