Am frühen Nachmittag trat Angie die Stiegen ins Wohnzimmer hinab. Ihre heutigen Unterrichtsstunden im Studio hatte sie bereits absolviert. Später würde es noch eine Lehrerbesprechung geben, doch aktuell hatte sie frei und nichts zu tun.
Kaum war sie unten angekommen, hörte sie das Gespräch zwischen Germán und Ramallo, die gerade aus dem Büro traten. "Und es gibt wirklich nichts neues?", hakte Germán nach, woraufhin Ramallo bedauernd den Kopf schüttelte. "Die Polizei kommt aktuell weder vorwärts noch rückwärts. Esmeralda ist weiterhin unauffindbar. Außerdem sind sie zur Zeit mit einem anderen Fall beschäftigt, sodass die Ermittlungen zu unserem Fall pausieren." Der Ältere seufzte. "Sie bleiben natürlich weiterhin mit mir in Verbindung, werden sich melden, wenn sie etwas neues herausgefunden haben und schicken vielleicht irgendwann auch nochmal einen Polizisten hierher, um sich mit Ihnen zu unterhalten, aber das wird wohl alles noch eine Weile dauern.", fasste Ramallo sein letztes Telefongespräch mit der Polizei zusammen.
"Ich verstehe.", runzelte Germán die Stirn und fuhr sich einmal durch das schwarze Haar. "Naja, ich habe mein Geld und meine Arbeitserlaubnis wieder, von dem her ist es nicht mehr ganz so wichtig. Wer hinter diesem Betrug gesteckt hat, würde ich es aber trotzdem gerne wissen." "Ich gebe wie gesagt Bescheid, wenn es irgendwelche Neuigkeiten gibt.", beendete Ramallo die Unterhaltung. "Danke."
Die beiden Männer verabschiedeten sich noch voneinander, denn Ramallo hatte nun wohl Feierabend und machte sich auf den Weg zu sich nach Hause. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, wandte sich Germán um und stoppte gleich wieder, als er seine Schwägerin am Fuß der Treppe bemerkte. "Sie werden den Täter schon noch finden, bleib zuversichtlich.", riet sie als Begrüßung und schritt auf Germán zu.
"Ich hoffe es." Seine braunen Augen sahen Angie fragend an. "Möchtest du etwas von mir?" "Nein, nein, ich habe gerade nur nichts zu tun und wollte mir in der Küche eine Tasse Tee machen.", erklärte sie und wollte schon wieder weitergehen, als Germán sie aufhielt: "Triffst du dich eigentlich immer noch mit diesem Typen aus dem Studio?"
Angie lenkte ihre gesamte Aufmerksamkeit wieder auf ihren Schwager. "Ja, ich treffe mich regelmäßig mit Jeremías." Warum interessierte sich Germán plötzlich dafür? Sie hatte ihn die letzte Woche über kaum gesehen und nur wenig mit ihm gesprochen. Wieso jetzt? Mit einem Schulterzucken legte sie ihre stummen Fragen beiseite und ergänzte: "Ramallo hat Jeremías und mich vorgestern übrigens zusammen im Park gesehen. Hat er dir das etwa erzählt?" Dass sie Jeremías seither allerdings nicht mehr zu Gesicht bekommen und sich dieser nicht mehr bei ihr gemeldet hatte, erwähnte sie ihrem Schwager gegenüber nicht. Warum sollte sie auch? Es lief doch so gut zwischen ihnen. Wobei diese Tatsache Jeremías' Abwesenheit umso merkwürdiger machte...
"Ähh... ja. Ja, genau. Ramallo hat mir das vorhin erzählt." Germán machte eine Pause und fixierte mit den Augen alles mögliche im Raum, nur nicht Angie. War er nervös? "Und ich, ehm... ich wollte mich einfach mal erkundigen, wie es so zwischen euch läuft." "Gut, alles gut." Es war der blonden Frau etwas unangenehm mit Germán über ihr Liebesleben zu sprechen, aber wenn er sich schon mal um eine nette Unterhaltung bemühte, würde sie auch mitmachen. "Wir haben uns die letzte Woche fast jeden Tag getroffen und verstehen uns wirklich gut. Wir haben zwar noch nicht über uns gesprochen, aber ich denke, wir werden bald ein Paar sein."
Germán erwiderte daraufhin nichts, sondern starrte sie aus seinen braunen Augen einfach an. In ihnen lag ein spezieller Ausdruck, den Angie nicht zuordnen konnte. Während sie ihren Schwager ebenfalls betrachtete, fiel ihr auf, dass er und Jeremías doch nicht die gleiche Augenfarbe hatten, wie sie immer angenommen hatte. Wenn sie sich nicht irrte war Jeremías' Braun eine Spur heller, eher ein Haselnussbraun, doch ganz sicher war sie sich nicht. Vielleicht lag es auch an seiner Brille, dass die Farbe etwas anders wirkte...
Germán räusperte sich laut und holte Angie aus ihren nebensächlichen Überlegungen zurück. "Lie-liebst du ihn?" Irrte sie sich, oder lag tatsächlich ein Hauch von Angst in seiner tiefen Stimme?
Bei dieser Frage musste Angie unwillkürlich lächeln und in Gedanken bei ihrem ersten Kuss antwortete sie: "Ja, ich liebe ihn! Ich hätte es anfänglich nie für möglich gehalten, aber ich habe mich in Jeremías verliebt." Und wie sie das hatte! Seit dieser einen Woche träumte sie nicht mehr jede Nacht von ihrem nackten Schwager und seinen Liebkosungen, sie träumte von Jeremías. Von all ihren gemeinsamen Unternehmungen, seinen Brührungen und den Küssen. Endlich schlug ihr Herz bei ihm schneller und sie konnte Germán vielleicht endgültig gehen lassen und vergessen.
Genau dieser blickte nun jedoch alles andere als glücklich drein. Sie sah ihm förmlich an, wie angespannt und aufgewühlt er war. "Ist etwas?" Germán kam ihr unsicher etwas näher und suchte offenbar nach den richtigen Worten. "Nein. Oder vielleicht doch." Er atmete tief ein. "Versteh mich bitte nicht falsch. Ich freue mich wirklich ehrlich für dich, ich finde es sehr schön, dass du nach der... du weißt schon... nach de-der Sache mit uns wieder jemanden gefunden hast..." "Aber?", hakte Angie misstrauisch nach. "Aber ich denke nicht, dass Jeremías der richtige für dich ist."
"Wie bitte?" Angie glaubte, sich verhört zu haben. Das hatte Germán gerade nicht wirklich gesagt!? "Lass es mich erklären.", bat er leicht verzweifelt, denn offenbar konnte er sich denken, wie Angie reagieren würde. "Du willst es erklären? Was gibt es da zu erklären, Germán? Ich verstehe dich nicht!" War er jetzt etwa doch eifersüchtig? Natürlich hatten die beiden eine ganz besondere Beziehung zueinander, aber Germán hatte ihr schon oft genug deutlich gezeigt, dass es keine gemeinsame Zukunft für sie gab und nie geben würde.
Was sollte das also? Oder war es wegen ihrem Kuss vor kurzem? Aber auch da war ihr Schwager gleich kommentarlos verschwunden und hatte sie wieder einmal stehen lassen! Würde er noch etwas für sie empfinden, dann hätte er dort die perfekte Gelegenheit gehabt... Nein, er hegte definitiv keine Gefühle mehr für sie.
"Es ist einfach so", versuchte Germán irgendwie plausibel zu erklären, "dass ich Jeremías heute getroffen und mich ein wenig mit ihm unterhalten habe. Er war ja ganz nett, aber mit ihm wirst du auf Dauer nicht glücklich, das weiß ich." Angie starrte ihn fassungslos an. "Vorhin wusstest du nicht mal seinen Namen und jetzt willst du mir weismachen, dass du dich mit ihm unterhalten hast?" Während Angies Fassungslosigkeit nun in Wut umschlug, wurde Germán immer leiser. "Ich bin eben nicht gut im..." "Ach komm, Germán, lass gut sein. Selbst wenn du ihn getroffen hast, kennst du ihn doch überhaupt nicht. Du kannst doch gar nicht beurteilen, ob er der richtige für mich ist und es steht dir auch überhaupt nicht zu!"
"Angie." Germán machte noch einen Schritt auf sie zu und hob beschwichtigend die Arme, doch die blonde Frau wich zurück. "Bist du etwa eifersüchtig? Dann tut es mir wirklich leid, dir sagen zu müssen, dass es Männer gibt, die -kaum zu glauben, aber wahr- keine solchen Feiglinge sind, wie du einer bist! Du hast deine Chance vertan, Germán und du hattest wirklich genug!"
Angie erkannte die Trauer in seinen Augen schimmern. Sie hatte ihn mit ihren Worten offensichtlich verletzt. Das hatte er bei ihr allerdings ebenfalls zur Genüge getan und jetzt sollte damit endlich Schluss sein! Sie hatte es so satt! Immer mischte er sich in ihr Leben ein und schrieb ihr vor, was sie zu fühlen und machen hatte.
"Nein, ich bin nicht eifersüchtig.", stellte Germán mit zittriger und beherrscht ruhiger Stimme fest, was Angie zum Auflachen brachte. "Dann willst du nicht, dass ich mit Jeremías zusammen bin, weil du mir kein Glück gönnst, weil du mich nicht an der Seite eines anderen Mannes sehen kannst? Das ist ja noch schlimmer!" Angie hatte gedacht, sie würden sich, nachdem Esmeralda nun weg war, wieder besser verstehen und Freunde sein können, doch Germán hatte es erneut geschafft sie zu enttäuschen und verletzten.
Auf einmal vollkommen ruhig und beinahe leise schloss Angie ab: "Ich habe so lange auf dich gewartet, wurde durch dich und deine Beziehungen so oft verletzt. Ich hab mittlerweile verstanden, dass du nicht interessiert bist und hab es dank Jeremías endlich geschafft, über dich hinwegzukommen. Weißt du, wie schwierig das für mich war? Kannst du es mir wirklich nicht gönnen, auch einmal glücklich zu sein?" Sie sah ihn enttäuscht an. Erkannte in seinen Augen Schuldgefühle und Reue, doch es war zu spät.
Es war das letzte Mal, dass er sie verletzt hatte. Das allerletzte. "Ich dachte, wir könnten eine Familie sein, Germán. Eine, die sich gegenseitig hilft und unterstützt. Aber wie es aussieht, können wir noch nicht einmal Freunde sein."
Einen letzten Blick auf ihren Schwager werfend, drehte sich Angie um und ging.
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Germangie - This Ain't Goodbye
FanfictionGermán wollte Esmeralda heiraten, doch an deren Hochzeit hatte sich herausgestellt, dass sie eine Lügnerin, eine Schauspielerin war. Obwohl Angie durch die Beziehung der beiden sehr verletzt wurde, zögert sie keine Sekunde, ihrem Schwager beizustehe...