"Hör auf so zu Glotzen. Wage dich bloß nicht, dich hier drin zu wohl zu fühlen. Am Montag ist das alles wieder weg. Lerne, dich hier auszukennen. Tue so, als gehöre das alles hier dir. Als würdest du hier jeden Tag drin sein. Vermassel es ja nicht, sonst mache ich dir dein Leben zur Hölle."
Mit diesen Worten verlässt er mein Zimmer. Ich kann es immernoch nicht glauben. 3 Tage und 4 Nächte lang darf ich hier drin schlafen. Es ist unglaublich. Er ändert sich. Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich gehe auf mein Bett zu. Als ich auf dem hellblauen Teppich stehe, fühle ich mich ein Stück weit normal. Er ist so unglaublich weich. Und mein Bett... die Matratze ist so unglaublich weich. Auf dem Schreibtisch stehen so viele Sachen! Mein Schrank ist mit Kleidung gefüllt! Ich wage mich nicht, es anzufassen, aber es anschauen zu dürfen reicht mir auch. An meiner Decke hängt eine Lampe. Sie glitzert mit meinen Tränen um die Wette. Ich gehe zum Fenster und bemerke erst jetzt die lilanen Vorhänge. Es ist so wunderschön. Und zum ersten mal sehe ich alles, was vor meinem Fenster liegt. Ich sehe die halbe Stadt. Ich wohne in unserem Haus ganz oben. Es ist so schön.
Ich gehe in das Bad und esse zum Abendbrot eine Scheibe von dem komischen Brot mit etwas braunem namens nutella. Und es schmeckt so verdammt gut.
In dieser Nacht habe ich zum ersten mal keinen Albtraum. Ich schlafe so gut, so weich. Ich fühle mich so gut. Wie ein Engel. Er hat mich heute nicht geschlagen. Kaum beleidigt. Vielleicht ändert er sich doch. Vielleicht hat er auch eine Stimme in seinem Kopf. Vielleicht...
Am nächsten morgen wache ich von den Sonnenstrahlen auf. Als ich mich in meinem Bett hinsetze, sehe ich auf dem Schreibtisch Klamotten liegen.
Also stehe ich auf und ziehe mir schnell die schwarze Jeans, das Top, die Jacke und den Schmuck, der dabei liegt, an. Vorsichtig fahre ich mit meinen Fingern über die Kette. So ein Leben hätte ich gerne. Ein normales Zimmer, schöne Klamotten und eine Familie. Ein Leben.Nachdem ich unten noch aufgeräumt habe und er mich ohne Beleidigungen wieder nach oben geschickt hat, setze ich mich auf mein Bett. Lange dauert es nicht, und es klingelt an der Tür und ich werde nach unten gerufen. Mit dem Wort 'Schatz'. Jetzt geht es los. Ich öffne meine Tür, setze mein Lächeln auf und gehe dir Treppe herunter.
Mir geht es gut.
I am fine.
Ça va bien.
Ego valeo.
Sto bene.
Estoy bien.
So, jetzt sollte ich es kapiert haben.
"Schatz, Frau Valenta vom Jugendamt ist da."
Okay, irgendwie hört sich das leicht gestellt an..Die Frau kommt lächelnd auf mich zu und reicht mir ihre Hand.
"Hallo Hope. Wie geht es dir?"
"Hallo... Mir geht es gut, danke der Nachfrage."
"Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?" (Ralf)
"Ja, gerne."
Mein Vater, Ralf, führt sie in die Küche und ich laufe hinterher. Gerade als ich anfangen will, Kaffee zu kochen und den Tisch zu decken, sagt er:
"Maus, setze dich doch schon zu Frau Valenta und unterhalte dich ein bisschen mit ihr."
"Ja, das ist eine gute Idee. Ich habe einige Fragen", meint sie.
Mein Vater streichelt mir über den Rücken. Eigentlich sollte es als fürsorgliche Geste rüberkommen, doch durch meine Reaktion wird sie wahrscheinlich ein bisschen misstrauisch. Mein Lächeln ist wie weggewischt und für kurze Zeit habe ich wieder gezittert. Ich kann es einfach nicht abstellen.
Also setze ich mich angespannt gegenüber von ihr auf einen Stuhl und gehe nochmal den entscheidenden Satz durch.
Mir geht es gut.
I am fine.
Ça va bien.
Ego valeo.
Sto bene.
Estoy bien.
"Ich bin hier, weil mich dein Klassenlehrer Herr Becker mehrmals angerufen hat, da er sich Sorgen um dich macht. Mit dir hat er ja auch schon geredet, aber was uns Sorgen bereitet hat, sind seine Beobachtungen."
"Welche Beobachtungen?", frage ich. Es ist gut, wenn mein Vater es hört. Dann weiß er, dass er mich unauffälliger schlagen muss.
"Deine schulnoten sind im Keller, du hast nie die deine Hausuafgaben, du hast jeden Tag Verletzungen, bist unkonzentriert und so weiter."
Ich weiß dass ich das alles nicht hinbekomme. Ich weiß es, verdammte scheiße. Und ich kann es trotzdem nicht ändern.
"Ja, vielleicht ist das so, aber das muss ja nicht mit zu hause zusammenhängen."
"Und genau davon wollten wir uns überzeugen."
Nach einem kurzen Dialog, bei dem ich mich weitmöglichst zurück halte, aus Angst etwas falsches zu sagen, will sie mein Zimmer sehen. Also gehen wir nach oben und ich zeige ihr alles. Gerade als ich denke, sie sei zufrieden, kommt mein Vater in mein Zimmer und hebt seinen Arm. Er legt ihn nur um mich, doch ich erschrecke mich zu Tode. Wie konnte ich nur denken, er würde mich vor ihren Augen schlagen!? Hoffentlich hat sie mein zucken nicht gesehen... Angespannt warte ich darauf, dass die Berührung endlich endet.
"Es sieht soweit alles gut aus, jetzt würde ich noch gerne mit Hope alleine reden."
"Natürlich."
Als er die Tür hinter sich geschlossen hat entspanne ich mich wieder und versuche, Frau Valenta anzulächeln.
"Komm mal zu mir, hm? Jetzt erzähl mal. Wie geht es dir wirklich?"
Sag die Wahrheit!, schreit mich diese Stimme an.
Nein. Ich kann das nicht. Ich kann das nicht aussprechen. Noch nicht. Es geht nicht.
Bitte Hope... Vielleicht ist es die letzte Chance.
Nein ist es nicht. Zu herr Becker oder zur Polizei könnte ich immer gehen. Ich kann das jetzt nicht. Es geht nicht.
"Gut, das war nicht gelogen."
"Ich hatte schon sehr viele Fälle, bei denen die Kinder es nicht zugeben wollten. Aber ich sehe, dass hier etwas nicht stimmt. Das sieht jeder Blinde und ich habe mir diesen Beruf ausgesucht, weil ich helfen möchte. Und ich werde nicht nachlassen, bis du mir sagst, was los ist."
Ich schweige und schaue auf den Boden. Warum will mir auf einmal jeder in meinem Umfeld helfen? Es war noch nie so, also warum jetzt auf einmal? Ich möchte keine Hilfe. Ich brauche keine Hilfe!
Jetzt lügst du dich aber selbst an.
"Okay, ich werde dich jetzt in Ruhe über alles nachdenken lassen. Übermorgen komme ich wieder, vielleicht verläuft unser Gespräch ja dann ein wenig anders", meint sie lächelnd und verlässt mein Zimmer, aber nicht ohne mir nochmal Mut zu zusprechen und meine Hand zu drücken.
Als sie aus der Tür ist, lasse ich mich einfach in mein Bett fallen. Es ist so anstrengend, immer gut drauf sein zu müssen.
Du musst nicht, vergiss das nicht. Du hast die wahl, man hat immer eine Wahl. Komm schon hope, entscheide dich für das richtige. Es ist an der Zeit.
Jetzt ist es erst mal an der Zeit zu schlafen.
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Gefangen im eigenen zu Hause
RandomMein Name ist Malorie, das bedeutet Unglück. So werde ich jedenfalls von meinem Vater genannt, in der Schule werde ich Hope gerufen, weil niemand meinen richtigen Namen kennt und ich bezweifle, dass ich in Wirklichkeit Malorie heiße. Mein Vater hass...