Kapitel 30

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Überrascht schaut er mich an.

"Wenn du das möchtest..."

"Es ist doch nur fair, gerade jetzt, wo er von der Polizei mitgenommen wurde."

"Wir lassen dir aber deine Zeit, wenn du noch ein bisschen brauchst."

"Lass es uns jetzt tun."

Eine kurze Zeit schaut er mir in die Augen. Dann steht er auf und nimmt mich an meiner Hand.

"Du schaffst das. Ich bin jetzt schon stolz auf dich", flüstert er und dreht sein Gesicht weg. Er ist rot geworden.. wie süß ist das denn? Lächelnd folge ich ihm. Unten hält er meine Hand immernoch ganz fest. Ich genieße dieses Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das er in mir auslöst.

Er ruft seine Eltern in das Wohnzimmer, wo wir uns alle gemeinsam auf die Couch setzen. David und ich gegenüber von Angelina und Marco.

Als David nicht weiß, wie er anfangen soll, obwohl das ja eigentlich meine Aufgabe ist, atme ich tief durch und fange an. Ich will keine Sache auslassen.

"Ich möchte euch erzählen, wie mein Vater mit mir umgegangen ist. Dann habt ihr wenigstens die Chance zu verstehen, warum ich so bin wie ich bin... Ihr tut so viel für mich... Ich vertraue euch... und.. Herr Becker kenne ich ja auch schon lange. Seit ich ihn kenne, wollte er mir immer schon helfen. Na ja, nach mehreren Jahren hat es geklappt und ich denke, dass es jetzt an der Zeit ist, zu erzählen, was genau los ist... Wenn ihr es wollt", fange ich an und suche immer wieder nach den richtigen Worten. Aber die gibt es wahrscheinlich gar nicht.
Sie geben mir keine Antwort, aber ein kurzer Blick in Herr Beckers- Marcos- Augen reicht,un zu wissen, dass es das richtige ist. Angelina schaut mich mit einem Lächeln an und nickt vorsichtig. Wo soll ich nur anfangen.. Ich werde das jetzt durchziehen. Danach kann ich mich immernoch über alles mögliche ärgern, aber nicht jetzt. Zitternd hole ich Luft. Das ist viel schwerer als ich erwartet habe... David drückt meine Hand und ich beginne zu erzählen.

Und dann erzähle ich ihnen tatsächlich alles. Dass meine Mutter nach meiner Geburt abgehauen ist, wie ich gelebt habe, was er mit mir gemacht hat, wie mein Tag aussah. Das fühlt sich so unwirklich an... So irreal. Mein Vater ist bald im Gefängnis und ich sitze hier bei meinem Lehrer und erzähle, wie es mir in meinem Leben gegangen ist. Vor einem Monat wäre das undenkbar gewesen... und jetzt? Ich kann es immernoch nicht glauben.

"Ich möchte mich auch nochmal bei euch bedanken. Ohne euch hätte ich das nicht geschafft, dann säße ich jetzt immernoch bei ihm zu Hause. Wenn Marco nicht immer wieder nachgefragt hätte oder ich mich mit David nicht so gut verstanden hätte... dann sähe es jetzt echt anders für mich aus. Und auch dir Angelina, dass du einfach aktseptiert hast, dass eine komische Schülerin von Marco hier wohnt. Das ist alles nicht selbstverständlich und es bedeutet für mich sehr viel...", schließe ich endlich meinen Redeschwall. Die Worte sind nur so aus mir herausgesprudelt. Ich vertraue dieser Familie sehr... Wahrscheinlich mehr als ich eigentlich sollte. Aber es ist okay so. Es ist schön zu wissen, dass ich doch noch vertrauen kann.

"Hope, wir müssen dir danken. Dass du uns so vertraut hast, denn das ist auch nichz selbstverständlich. Ich bin sehr sehr froh, dass das alles diese Wendung genommen hat. Jetzt schauen wir mal wie es weitergeht, aber es wird alles gut", sagt Herr Becker lächelnd. Seine Augen sind glasig, als hätte er geweint... Jetzt merke auch ich, dass ich meine Tränen schon wieder zurück dränge.
"Ja, jetzt wird alles gut...", flüstere ich kaum hörbar und David drückt meine Hand.
Marco und Angelina kommen zu mir und setzen neben mich, und dann umarmen wir uns alle. Und diese Berührung macht mir keine Angst... Wir umarmen uns nur ganz kurz, und es ist das erste mal, dass ich nicht zurückgezuckt bin. Jetzt wird wirklich alles besser...

"Wie siehts aus, möchtest du mit mir nach dem Krankenhaus auf die Wache fahren und eine Anzeige aufgeben?", fragt Marco plötzlich.

"Ähm.. ich weiß nicht..."

"Mit deiner Anzeige würde sich sein Gefängnisaufenthalt deutlich verlängern. Ich kann mir vorstellen dass es komisch sein muss, gegen den eigenen Vater auszusagen, aber ich denke es ist das Beste..." [angelina]

"Ja wahrscheinlich.. okay gut.. dann... lass und am besten jetzt gleich losfahren."

Überrascht schauen sie mich mit einem Lächeln im Gesicht an. David ziehe ich an der Hand mit zur Gaderobe. Ich möchte dass er mitkommt. Mit ihm an meiner Seite fühle ich mich einfach... besser.

Die Fahrt zum Krankenhaus verläuft schweigend. Jeder geht seinen eigenen Gedanken nach. Ich frage mich, was Marco und David gerade durch den Kopf geht... Wie sie das sehen, was ich ihnen erzählt habe... Als wir auf dem Krankenhausparkplatz parken, fängt mein Herz plötzlich an schneller zu schlagen. Ich weiß, as jetzt gemacht werden muss... Ich werde mich ausziehen müssen und dan werden Bilder gemacht. Und ich werde beschreiben müssen, was die Verletzungen auf sich haben. Noch einmal.

Nachdem wir direkt zu dem Arzt geführt werden, der mich auch das letzte mal untersucht hat, bittet er David und Marco draußen zu warten. Mich überkommt Panik, mit dem Arzt alleine in einem Raum zu sein. Er will Fotos von mir machen... Ich kenne ihn zwar schon, aber trotzdem.. "Ich glaube, es ist besser wenn jemand mit ihr rein geht."

"Möchtest du das?", fragt mich der Arzt.

Vorsichtig nicke ich.

"Okay, dann ist das in Ordnung. Aber der Junge bleibt bitte draußen."

Ich nicke abwesend und gehe mit Herr Beckers Hand an meinem Rücken in den Raum hinein. Nachdem wir besprochene haben, was wir jetzt machen, fange ich an, mein Oberteil auszuziehen. Meine Arme werden las erstes 'unter die Lupe genommen'. Wie erwartet muss ich sagen, wie die Verletzung zu Stande gekommen sind. Das Selbe bei meinem Bauch und Rücken. Anschließend meine Beine. Sogar über meine Narben soll ich alles sagen. Jede Narbe erinnert mich an einen anderen Tag. An ein anders Erlebnis. An das Selbe Gefühl. Ich ekel mich so davor.. Ich schäme mich für sie. Irgendwann legt mir Herr Becker eine Decke um meinen Oberkörper.

Nach einer Dreiviertel Stunde ungefähr sind wir fertig, bekommen die Kopien derUnterlagen und gehen wieder zum Auto um zur Polizei zu fahren.

Im auto überkommt mich plötzlich eine große Aufregung. Ob ich ihn gleich sehen werde? Was ich wohl sagen muss? Ich spreche die Fragen laut aus und Marco erklärt mir, dass ich ihn auf keinen Fall sehen werde. Wir werden in einen Raum gehen, in dem man mich fragt, was er mit mir gemacht hat. Eigentlich muss ich genau das sagen, was ich vor wenigen Minuten erzählt habe. Das wird schon... Hoffentlich.

"Ist es okay für dich, wenn wir danach das Jugendamt anrufen? Dann hätten wir alles erledigt was ansteht."

"Ja das ist wahrscheinlich am besten so."

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Nicht nur, weil ich gleich wildfremden Menschen meine Geschichte erzähle, sondern weil dann später auch entschieden wird, wo ich in den nächsten 2 Jahren wohnen werde.

Beim Polizeipräsidium angekommen werden wir in einem kleinem Raum gefürt. Ich hätte gedacht, dass da ein paar Stühle und ein Tisch drin steht, stattdessen sollen wir es uns auf einer schwarzen Stoffcouch gemütlich machen. Wir setzen uns also hin und ich nehme mir eins von den weiß-roten Kissen und lege es auf meinen schoß. Das hat mir schon immer Sicherheit gegeben- warum weiß ich nicht.

Zu meiner Erleichterung kommen die selben Polizisten von heute morgen zu uns. Das erleichtert mir sehr das reden, ich kenne sie schon. Nach ein paar fragen wie es uns geht und dass sie sich freuen, uns heute noch zu sehen, wollen sie schließlich wissen ob ich eine Anzeige machen möchte. Ich versuche, nicht lange nachzudenken und nicke vorsichtig mit dem Kopf.

"Das finde ich sehr gut. Ich habe ein paar Fragen, die ich fragen muss, aber ich denke die frage ich dich zum Schluss. Möchtest du dann einfach mal erzählen, was dir einfällt? Wie er dich behandelt hat, Wielange das schon geht, was alles vorgefallen ist? Umso mehr dir einfällt, desto besser ist es."

Gefangen im eigenen zu HauseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt