Kapitel 15

666 35 3
                                    

Als ich wieder aufwache steht die Sonne immernoch hell am Himmel.

"Malorie!", schreit er nach mir. Schnell gehe ich nach unten, wo er mir auch schon einen Zettel und Geld in die Hand drückt. Ich soll einkaufen gehen. Ist mir nur recht, dann bin ich endlich mal raus hier.

Ich ziehe mir Schuhe und Jacke an, dann mache ich mich auf den Weg.

Im Supermarkt entdecke ich David. Ob ich ihn ansprechen soll? Ob er mich ansprechen wird? Oh gott hoffentlich ist Herr Becker nicht da! Bevor ich überlegen kann, Was ich tun soll, dreht er sich um. Als er mich sieht, breitet sich auf seinem Gesicht ein strahlendes Lächeln aus. Er kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Kurz lässt es mich zusammenzucken, aber es ist nur David. Es ist nur er, versuche ich mir einzureden.

"Wie geht es dir? Du warst in den letzten Tagen gar nicht in der schule!"

"Ja... Mir ging es nicht so gut. Aber jetzt geht's wieder. Bei dir auch alles gut?"

"Ohje, ja bei diesem Wetter wird man oft krank.. bei mir ist alles super, ich freue mich total dich zu sehen. Hast du Lust, mit mir eine heiße Schokolade trinken zu gehen?"

Oh mist.

"Also eigentlich...."

Komm; das wird lustig. Dann lernst du, wie ein normaler Mensch zu leben. Du musst ja nicht Stundenlang bleiben, nur einen Kakao. Das schmeckt bestimmt himmlisch!

"Na gut, aber ich habe wirklich nicht viel Zeit!"

"Okay super, komm mit."

Er führt mich in ein schlichtes Café, in dem nicht viele Leute sitzen. Er bestellt für uns zwei heiße Schokoladen und bis sie da sind, lachen und erzählen wir sehr viel. Er tut mir so unglaublich gut, womit habe ich ihn nur verdient...

"Und? Wie waren die restlichen Schultage?", frage ich ihn irgendwann.

"Eigentlich war es noch total interessant. Wir haben noch sehr viel über seelische Gewalt gesprochen und auch gelernt, sich in solche Personen hineinzuversetzen und wie man helfen kann. Also für mich War es sehr spannend. Und was hast du so gemacht?"

Ich traue mich nicht, über das Schulthema weiter zu reden.
Auch, wenn es viel über belanglose Dinge geht, macht es doch Spaß. Aber nachdem dieses göttliche Getränk vor mir leer getrunken ist, sage ich:

"Es tut mir furchtbar leid, aber ich muss wieder. Ich muss noch einkaufen gehen und ich sollte auch nicht zu spät nach Hause kommen..."

"Okay, ich begleite dich noch."

Er geht mit mir wirklich einkaufen und trägt mir sogar die Tüten. Gerade als wir an einer Bushaltestelle angekommen sind, und ich mich verabschieden will, weil mein Vater mich mit niemandem sehen sollte, bleibe ich wie versteinert stehen, David tut es mir gleich. Vor meinen Augen spielt sich mir allzu bekannte Szene ab. Wir sehen einen kleinen Jungen, nicht älter als 5 oder 6 Jahre, der gerade zum dritten mal eine Backpfeife von seiner Mutter bekommt. Als sie ihn sehr brutal durchschüttelt, sagt David plötzlich:

"Wir müssen die Polizei rufen! Das kann sie doch nicht machen!" Er holt sein Handy aus seiner Tasche, wählt eine Nummer und reicht es mir.

"Mach du das, ich hole den Jungen da jetzt weg."

Völlig überfordert mit der Situation halte ich mir das Telefon an mein Ohr, so wie ich es von den anderen in meiner Schule immer gesehen habe.

"Polizeipräsidium Winnenden, was kann ich für sie tun?"

"Ja.. hallo, ähm.. ich habe gerade beobachtet, wie eine Frau ihr Kind geschlagen und geschüttelt hat. Wir dachten es wäre besser, wenn wir die Polizei rufen würden..."

Woher soll ich denn bitte wissen, wie man mit der Polizei redet???

"Wie heißen sie?"

"Hope... Äh malorie. Malorie heiße ich. Und mein Freund heißt David. David Becker."

"Können Sie mir sagen, wo genau Sie sich befinden?"

Schnell gebe ich ihr die Adresse durch, schon lege ich auf und gehe zu David. Er hat den kleinen auf dem Arm und streitet sich nicht leise mit seiner Mutter. Ich möchte mir das ganze nicht anhören, deshalb nehme ich mir den Kleinen und setze mich ein paar Meter weiter weg auf eine Bank.

Mit zitternder Stimme Beruhige ich ihn und frage:

"Hallo du Süßer. Ich heiße hope. Weißt du, wir haben gerade Hilfe geholt. Gleich kommen ganz liebe Leute und wollen von dir wissen, was passiert ist. Möchtest du es mir vielleicht erstmal erzählen?"

Der Kleine nickt und fängt an, ganz leise zu reden:
"Meine Mama War sauer, weil ich im Bus geweint habe und mir langweilig War und dann hat sie mich gehauen."

"Macht sie das öfter?"

Traurig nickt er. Mir zerreißt es das Herz. Er ist doch noch so jung, er sollte nicht wissen wie das ist.

"Und dein Papa?"

"Mein Papa auch. Oft. Er ist immer betrunken sagt mama."

Langsam vertraue ich meiner Stimme nichz mehr, deshalb streichle ich ihm beruhigend über den Kopf. Er ist so ein süßer kleiner Mann, warum muss ihm das angetan werden?

"Verrätst du mir noch deinen namen?", frage ich mit belegter Stimme.

"Leon."

"Und wie alt bist du Leon?"

Er streckt vier Finger in die Luft.

"Du bist vier?"

Er nickt. Und dann fließen Tränen aus meinen augen. Er ist vier verdammte Jahre jung und wird von seinen Eltern geschlagen weil er anstrengend ist!? Wo leben wir denn hier!? Auch er fängt wieder an zu weinen, wahrscheinlich weil seine Mutter lauter schreit. Als er auch anfängt, am ganzen Körper zu zittern, sind meine Gefühle nicht mehr zu stoppen.

ihm geht es wie dir...

Das hilft mir jetzt wirklich nicht weiter. Er ist vier Jahre alt! Er zittert vor angst, wer weiß wie lange er das schon aushalten muss... Wahrscheinlich sehe ich total verheult aus, als die Polizei endlich eintrifft. Aber es ist mir so was von egal. David kommt zu uns und streichelt mir über den Kopf, aber diese Geste bewirkt das Gegenteil von dem, was eigentlich passieren soll. David erklärt die ganze sache und in der Zeit versuche ich mich zu beruhigen. Auch Leon scheint wieder ganz in Ordnung zu sein.

"Und wer bist du?", fragt einer der beiden Polizisten Leon. Sie sehen zu meiner Erleichterung wirklich lieb aus.
Als er sich schüchtern versteckt, sage ich den beiden den Namen.
Behutsam rede ich auf ihn ein, dass das die beiden lieben Männer sind, von denen ich ihm schon erzählt habe.

"Ich informiere jetzt erstmal das Jugendamt, damit sie bescheid wissen und vielleicht auch zur Dienststelle kommen können und dann würde ich vorschlagen, dass der Kleine und mindestens einer von euch beiden auch mitkommt um eine Aussage zu machen", erklärt der Polizist.

Ich kann nicht mit! Ich muss dringend nach Hause, mein Vater wartet bestimmt schon...

"David? Kannst du das vielleicht übernehmen? Ich..."

"Ist schon gut, ich mache das."

Als David leon nehmen wollte, fängt er wieder an zu weinen.

Auch von keinem der Polizisten lässt er sich hochnehmen.

"Sieht so aus, als müsstest du doch mit."

Ich kann aber nicht! Mein Vater wartet bestimmt schon! Er wird mir die Hölle heiß machen wenn er das erfährt!
Leon schaut mich mit seinen großen blauen, verweinten Augen an.

"Kommst du mit mir?"

Leise seufze ich.

"Erzählst du dann alles, was du mir erzählt hast und noch mehr?"

Schnell nickt er. Ich kann ihn nicht alleine lassen. Er braucht mich. Ich muss ihm helfen. Und es ist mir jetzt auch egal, was mit mir passiert. Es ist mir verdammt nochmal egal.

Gefangen im eigenen zu HauseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt