Kapitel 24

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"Noch einmal ,es ist nichts gewesen. Ein ganz normaler Streit zwischen Vater und Tochter."

"Hope, meinst du nicht, es ist jetzt an der Zeit? Wenn nicht jetzt, dann kann es zu spät sein. Die Polizisten sehen doch auch den Handabdruck auf deiner Wange. Sie wissen, dass er beim Jugendamt vorgemerkt ist. Und ich weiß doch auch, was los ist. Aber du musst es sagen. Nur dir glauben sie. Nur dir."

Erwartungsvoll schauen Mich Marco und die Polizisten an. Aber es nicht so ein druckaufbauender Gesichtsausdruck, sondern ein weicher. Sie wollen mir Mut machen. Und leider schaffen sie das auch. Aber David.. Ich würde mir das nie verzeihen, wenn ihm etwas passiert...

"Es ist nichts...", sage ich mit erstickter Stimme.

"Irgendwas ist ja, das wissen wir und das sehen wir auch. Wenn er dich schlägt, dann musst du uns das jetzt sagen, sonst können wir dir nicht helfen. Wenn du uns sagst, was er gemacht hat, auch wenn es 'nur' eine Backpfeife war, dann werden wir ihn mitnehmen und er wird erstmal ins Gewahrsam genommen. Dann kann er dir nichts mehr antun und auch sonst niemandem. Aber dafür musst du uns die Wahrheit sagen", erklärt Herr Hintzen. Dieser Mann beruhigt mich so...

"Hat er dich geschlagen?", fragt er schließlich.

Ich senke nur meinen Kopf und sage nichts. Was soll ich nur tun... Zu spät merke ich, dass ich wieder angefangen habe zu weinen. Auf einmal steht mein Vater vor mir und macht Anstalten, seinen Arm um mich zu legen, doch da verlässt plötzlich ein Wimmern meinen Mund und Herr Zimling drängt ihn ein bisschen zurück.

"Ich glaube, ich rede mal mit ihr alleine. Kommst du mit mir mit? Dann können wir uns ganz in Ruhe und ohne Streit unterhalten." Er führt mich in die Küche und Herr Becker stellt sich neben mich, David auf die andere Seite und der Polizist steht vor mir. Ich wische mir die Tränen weg, doch direkt kommen neue dazu. Warum kann ich mich nicht einfach mal zusammenreiße...

Hast du nicht gehört, was der Polizist gesagt hat? Er wird mitgenommen. Niemandem wird etwas Passieren. Niemandem.

Und dann? Wo soll ich dann hin? ich habe doch nur ihn.

Du gehst wieder mit zu David und zu Marco, sie werden sich darüber freuen. Hope, du hast ihn nicht. Er ist nicht deine Familie. Du suchst gerade verzweifelt nach einem Grund, ihn nicht zu verraten. Aber alles spricht dafür, endlich die Wahrheit zu sagen, endlich den Druck von deiner Seele abzulassen. Endlich zu sagen, was hier abgeht. Und glaube mir, er wird dich nicht noch einmal anfassen. Er wird für Jahre ins Gefängnis kommen. Weißt du noch, als du dich letztens im Spiegel gesehen hast? Wie du dich angesehen hast und erkannt hat, wie viel Schmerz er dir zugefügt hat? Es wird immer so weitergehen. Marco und David werden so stolz auf dich sein, wenn du es endlich gesagt hast. Finde die Worte. Aber bitte, finde sie jetzt. Du hattest so viel Zeit und du hast so viele Chancen verpasst, was ist ,wenn es jetzt die letzte ist?

"So, jetzt erzähl mal was passiert ist. Du kannst mir vertrauen. Dein Freund ist da und dein Lehrer auch, sie wollen dir auch nur helfen."

Ich schaffe es nicht. Verdammt du hast so recht, aber ich schaffe es nicht.

Plötzlich nimmt David meine Hand, und drückt sie ganz fest. Er gibt mir Mut.

"Hope, das ist wichtig. Egal, ob er dir gedroht hat oder ob er etwas gesagt hat, was passieren wird wenn du etwas sagst, du musst jetzt sagen, was los ist. Dann wird er weggesperrt. Für eine so lange Zeit. Sag es bitte. Ich möchte dich nicht so kaputt sehen. Es hat mir so sehr das Herz zerrissen, als du gestern geweint hast. Ich brauche dich noch..."

Er braucht mich...

"Hat er dich geschlagen?", fragt er mich mit belegter Stimme.

Ich schaue ihn an. Und er schaut mich an. Ich muss an seine Drohungen denken. Und daran, was mit ihm passieren wird, was mit mir passieren wird. Ich fühle mich, als würde mich jeder in diesem Haus unter Druck setzen, inklusive mir. Ich bekomme es einfach nicht über meine Lippen. Enttäuscht von mir selbst senke ich meinen Blick. Ich könnte jetzt alles sagen. Ich kann es aber nicht.

Dann lenkt Herr Hintzen die Aufmerksamkeit wieder auf sich. "Wenn du uns nichts sagst, können wir dir nicht helfen. Aber wenn du uns erzählst, was passiert ist, können wir alles in unserer Macht stehendes tun, damit es dir gut geht."

Dieser Satz 'Wenn du uns nichts sagst, können wir dir nicht helfen' lässt mich all meine Emotionen verschließen. Ich weiß nicht warum, aber ich habe etwas gegen diesen Satz. Ich hasse ihn. Ich kann es nicht sagen, warum versteht das niemand??

"Ihm ist in einem Streit die Hand ausgerutscht, nichts Großes. Es ist alles in Ordnung.", presse durch meine zusammengebissenen Zähne.

Plötzlich fange ich wieder an, so stark zu zittern. Ist es Erleichterung? Oder doch die Angst? Oder die Hoffnung? Ich weiß es nicht. Abe es ist auch egal. Ich werde nichts erzählen. Nicht jetzt. Ich packe das nicht. Wenn mein Vater nicht in meiner Nähe ist, dann würde es viel einfacher sein. Aber so? Vor wenigen Minuten hat er mich geschlagen und mir gedroht und jetzt steht er ein paar Meter entfernt in dem selben Haus ich kann doch jetzt nicht alles erzählen! Er wird komplett durchdrehen...

David hält immer noch meine Hand und schaut mich an. Ich hole tief Luft und atme zitternd aus. David streicht mir beruhigend über den Rücken. Enttäuscht streicht sich Herr Becker durch sein Gesicht. Er sagt noch ein paar Sachen, aber ich bin gar nicht mehr richtig da. Ich fühle mich... ich weiß nicht. Nicht gut, aber auch nicht schlecht.

Ich gehe irgendwann aber einfach wieder hoch und setze mich in dem Glauben, dass ich alleine bleiben werde, auf dem harten kalten Holzboden. Doch nur wenige Minuten später geht die Tür auf einmal auf und ich sehe Davids Kopf um die Ecke schauen.

"Ach hier bist du... Darf ich reinkommen?" Ich nicke nur und hoffe, dass er es erkannt hat. In meinem Zimmerst es schon wieder ziemlich dunkel geworden.

"Willst du mir erzählen, was wirklich passiert ist? Ich werde auch nicht zur Polizei gehen wenn du das nicht möchtest. Aber ich finde, du solltest das trotzdem mal erzählen. Ich kann das für mich behalten wenn du das möchtest..."

"Ich... ich kann das nicht. Es tut mir leid David... Es... es geht noch nicht..."

"Alles okay, ich wollte dich nicht unter Druck setzen. Du kannst immer zu mir kommen okay?"

Er setzt sich neben mich und nimmt mich in den Arm. Ich lehne mich an ihn, und sofort beruhige ich mich. Irgendwann fragt er: "Was ist das hier eigentlich für ein Zimmer? Hier stehen gar keine Möbel... Und... das Fenster ist zugenagelt..?"

Kann ich ihm wenigstens das sagen? Ich möchte ihm nicht alles vorenthalten, und vielleicht ist es besser, wenn ich mit allem Stück für Stück herausrücke... Ich weiß, dass ich ihm vertrauen kann, also warum nicht? Er hat gesagt, er geht nicht zur Polizei und ich finde nicht, dass es so schlimm ist, dass ich eben kein Bett habe. Das ist meiner Meinung nach der unwichtigste Punkt an der ganzen Geschichte...

"Mh... Das... Das ist mein Zimmer."

Gefangen im eigenen zu HauseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt