Kapitel 23

594 32 3
                                    

Angelina weiß genau so wenig wie ich was sie tun soll. Ich bleibe einfach so stehen, mit de Rücken zu ihm. Ich weiß nicht, wann er bei mir ist. Aber ich weiß, dass er kommt. Seine lauten Schritte hallen in meinem Kopf immer und immer wieder nach. Und plötzlich werde ich am Oberarm herumgerissen und seine Hand klatscht auf meiner Wange. Er versucht gar nicht ,das zu verstecken.

"Sag mal spinst du!? Ich habe dir verboten, wegzulaufen! Ich habe dir verboten, mit jemandem zu reden!Ich habe es dir verboten! Dafür wirst du jetzt die Konsequenzen tragen müssen.", schreit er mich an und zerrt mich davon. Ich schaue zu Angelina und flüstert 'Es tut mir leid....' Alles tut mir leid. Dass ich sie da mit reingezogen habe. Dass sie mir geholfen hat.

Bis zum Auto schreit er die ganze Zeit herum, doch dieses mal kann ich nicht weghören. Ich verstehe jedes einzelne Wort. Und es sind keine schönen Worte, keine die man hören möchte. Es sind Worte, die zerstören. Die mich zerstören. Die alles einstürzen lassen.

Er fährt wie ein Verrückter und ich sitze auf der Rückbank, mit einer blauen Wange und riesengroßer Angst. Er hat mich gefunden. Ich bin abgehauen, ich habe Hilfe bekommen ,ich habe neue Klamotten an und sehe besser aus, als er mich das letzte mal gesehen hat. Auch, wenn es nicht lange her ist. Als er das Auto geparkt hat, zerrt er mich ins das Haus und knallt die Tür zu. Direkt erreicht mich wieder der erste Schlag. Und es folgen weitere. Wie immer. Und ich bin ganz Still, wie immer. Als plötzlich eine Träne mein Auge verlässt, fängt er an zu lachen und fängt an, schreckliche Worte zu mir zu sagen. Er zerreißt die neuen Klamotten solange, bis ich halb nackt vor ihm stehe, und er schreit weiter rum. Er schreit und schlägt und schreit und schlägt. Und es tut so weh. Nicht nur meinem Körper, sondern auch meinem Herz. Ich merke, wie sich mein Bewusstsein vor Schmerzen in eine Ohnmacht flüchten will, so schlimm ist es. Und wenn er nicht aufhört, werde ich sterben. Das spüre ich. Seine Gürtelschnalle kam schon zum Einsatz, sie hat offene Stellen hinterlassen. Mein Körper wird noch mehr entstellt. Als er kurz nichts sagt, und sich außer Puste den Schweiß von der Stirn wischt, hören wir plötzlich ein lautes Klopfen, und kurz darauf nochmal. Er ignoriert es, doch als wir kurz darauf jemanden rufen hören "Hier ist die Polizei, machen sie bitte die Tür auf!", stockt er mitten in seiner Bewegung. Er wirft mir einen wütenden Blick zu und lässt von mir ab. Als er aus dem Raum ist und ich ihn nicht mehr sehe, zwinge ich meine Beine, mich nach oben zu tragen. Ich komme irgendwie in meinem Zimmer an und versuche, das Zittern zu ignorieren.

Dort unten steht die Polizei.

In unserem Haus ist die Polizei.

Und ich weiß, dass ich jetzt nicht mit ihnen reden kann. Schnell gehe ich ins Bad und wickle schnell ein paar Verbände um die offenen Stellen an meinen Armen und Beinen, meine Haare lasse ich tief in mein Gesicht fallen und ziehe mir schnell einen zu großen Pullover über, der im Bad herumliegt. Das einzige Kleidungsstück. Zu meinem Glück liegt doch noch eine Loggins vor der Tür, jetzt sieht man keine Verletzungen. Ich möchte nicht mit der Polizei reden. Ich kann jetzt nichts sagen. Er hat mir die ganze Zeit gedroht. Ich weiß, dass er recht hat. Ich weiß, dass nichts besser werden würde. Er würde mich finden. So wie jetzt auch. Und dann kommt nicht nochmal jemand, um mich vor ihm zu retten. Er hat mir gesagt, dass es meine Schuld ist. Er hat gesagt, er ist netter, wenn ich auf ihn höre. Er hat mir eben grade gesagt, dass wenn ich den Polizisten nichts sage, dass er sich ändern wird. Wenn ich nur auf ihn höre. Und vielleicht hat er ja recht. Er hat gesagt, er würde David etwas antun. Er hat gesagt, dass nur ich ihn retten kann. Ich werde nicht zu lassen, dass ihm etwas passiert. Seine Eltern lieben ihn so sehr. Und er hat Freunde. Und er hat seine Familie. Er wird gebraucht. Ich nicht. Also lasse ich lieber alles mit mir geschehen. Und wenn er recht hat und es besser wird, dann passiert mir ja gar nichts. Er kann es schaffen, und ich werde nicht mehr weglaufen. Ich werde auf ihn hören. Das verspreche ich. Ich bin labil, das spüre ich so stark wie nie zuvor. Ich hoffe, dass ich nicht mit den Polizisten reden muss. Denn meine Gedanken und meine Meinung sind genauso labil wie der Rest von mir. ich weiß nicht ,wie ich mich bei ihnen verhalten soll. ich hoffe einfach, dass ich hier oben sitzen darf, bis sie wieder weg sind. Aber im Moment hört es sich nicht so an, als würde sie gleich wieder verschwinden.

Willst du das wirklich? Weißt du nicht mehr, was du gestern Abend noch gedacht hat? Er macht dein Leben kaputt. Er macht dich kaputt. Das hast du gesagt. Und jetzt würdest du nichts zu den Polizisten sagen?

Ich weiß es doch auch nicht. Aber lieber ich gehe kaputt, als David. Und was soll ich machen, wenn sie mir nicht glauben? Dann habe ich den Salat. Also bin ich lieber still. Das kann ich immer noch am besten.

"Hope schatz, kommst du mal bitte runter?", ruft er plötzlich. Er versucht, dass es liebevoll klingt, aber ich höre diesen aggressiven und spöttischen Unterton. Sofort fange ich an zu zittern. Ich muss mich beruhigen, komm schon.... Langsam öffne ich meine Zimmertür und gehe die Treppe herunter. Im Wohnzimmer höre ich Leute reden, also gehe ich schüchtern dorthin und bleibe im Türrahmen stehen. Ich lasse meine Haare noch tiefer ins Gesicht fallen und verschränke meine Arme. Hoffentlich sieht mein Gesicht nicht ganz so blau aus..

Als ich dort stehe, verstummen plötzlich alle Geräusche. Ich traue mich nicht, meinen Blick zu hebe. Es ist mir unangenehm, warum weiß ich nicht. Wahrscheinlich ,weil ich es nicht mehr schaffe, zu lügen. Ich muss aber. Für David.

"Hallo, kommst du mal ein bisschen näher?", sagt einer der Polizisten. Ich komme zwei Schritte näher und schaue dann doch auf. Umso natürlicher ich mich zeige, desto weniger fällt irgendwas auf.

"Ich bin Herr Zimmling von der Polizei und das ist mein Kollege Julian Hintzen, wir wurden von Herr Becker gerufen, weil er laute Schreie gehört hat und er sich Sorgen um dich macht."

Herr Becker... Er ist auch hier. Und David auch. Sie sind hier... Wieder sammeln sich Tränen in meinen Augen, aber ich schaffe es mit viel Mühe, sie zu verdrängen.

"Nein, alles ist okay", sage ich schließlich.

"Sehen sie! Und jetzt verlassen sei bitte mein Haus!", schreit mein Vater und ich zucke zusammen. Reflexartig gehe ich wieder die zwei Schritte zurück und Herr Becker kommt zu mir.

"Schreien sie mal bitte nicht so laut. Wir wurden gerufen wegen Ruhestörung und Verdacht auf häusliche Gewalt, deshalb bitte ich sie jetzt, die Wahrheit zu sagen."

Die Ruhe, die Herr Becker ausstrahlt, beruhigt auch mich ein bisschen. Im Moment kann mir nichts passieren. Es sind zwei Polizisten bei mir. Und Herr Becker. Und David. Als sich unsere Blicke treffen, zerbricht mein Herz ein weiteres mal. Ich werde für dich nichts sagen. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert.

Gefangen im eigenen zu HauseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt