Also erzähle ich. Und ich rede und rede und rede. Es kommt nicht so flüssig raus wie vorhin, nein ich stottert total herum, aber es ist okay... Das versuche ich zumindest mir einzureden. Die fragen zum Schluss sind eigentlich schon beantwortet worden, bis auf die Frage, was das in mir ausgelöst hat. Ja was hat das in mir ausgelöst? Lange Zeit schweige ich. Ich weiß es nicht. Ich bin nicht gut darin, über meine Gefühle zu reden. Ich kann das nicht erklären...
"Ich weiß nicht..."
"Herr becker, sie konnten Hope in der Schule beobachten. Was würden Sie sagen?"
"Ich denke, sie konnte kein Selbstwertgefühl oder Selbstbewusstsein aufbauen. Wer kann das schon, wenn man die ganze zeit erniedrigt wird und jeden Tag Schläge zu spüren bekommt?"
Vorsichtig nicke ich und senke meinen Blick. Ich weiß, dass sie mich anschauen...
"Ich weiß nicht, irgendwann war es nicht mehr so schlimm. Ich habe mich mehr oder weniger darangewöhnt. Ja, es tat immer weh. Körperlich wie seelisch. Aber irgendwann ist es zur Gewohnheit geworden. Ich wurde zu seinem Eigentum und er konnte mit mir machen was er wollte."
"Ich glaube sie hat auch gar nicht richtige Kommunikation lernen können, so blöd sich das auch anhört. Im Kontakt mit anderen Menschen ist sie immer unsicher, sie hatte ja nie Kontakt mir irgendwem."
"Welche sei Wörter würden dich im Moment am besten beschreiben, hope?"
"Still, unsicher, vorsichtig?" Ich bin mir dabei sehr unsicher. Mit Worten kann man viel erreichen und anrichten. Sie malen sich wahrscheinlich gerade Geschichten aus, wie ich mich verhalte oder so. Und das ist mir unangenehm. Ich hasse es so zu sein.
Nach einer Weile sagt der ältere Polizist:
"Wir haben noch einen Vorschlag oder eher eine Bitte. Das was du erlebt hast ist nicht leicht zu verarbeiten, zu vergessen nahezu unmöglich. Und da du selbst sagst, dass du sehr unsicher bist, und sensibel, wollen wir dir wirklich nahe legen, dich in professionelle Hilfe zu begeben. Es ist unglaublich was du durchgemacht hast und ich fände es wirklich gut, wenn du mit einer Person darüber reden würdest, die dir auch helfen kann und tipps geben kann. Wir haben hier ein paar Flyer und Telefonnummern zusammengesucht, von Psychotherapeuten in der Umgebung die sehr gut sind und würden die euch einfach mal mitgeben. Dann könnt ihr in ruhe darüber reden, okay?"
Her Becker nimmt sie mit einem 'Danke' entgegen und dann können wir wieder nach hause fahren.
Bei Herr Becker angekommen, left er die Unterlagen dir mir nicht mehr aus dem Kopf gehen auf ein Schränkchen im Flur. Sie denken, ich brauche Hilfe... Brauche ich die denn wirklich? Es ist doch normal dass man die ganzen Erlebnisse nicht einfach vergessen kann...
Mehrere Minuten bleibe ich im Flur stehen und starre sie an.
"Hope, wollen wir jetzt das Jugendamt anrufen?" Leicht seufze ich. Das steht ja auch noch an... Langsam wird mir das alles zu viel.."Okay.."
Wir setzen uns auf die Couch und Herr Becker wählt die herausgesuchte Nummer. Ich bleibe stumm neben ihm sitzen und versuche zu verstehen, was die Stimme im Telefon sagt, aber es ist einfach zu leise. Was kann eigentlich alles passieren? Ich könnte in ein betreutes wohnen kommen, oder in ein Jugendheim, oder es wird eine andere Familie für mich gefunden- was ich aber eher nicht glaube. Hm. Egal was passiert, es soll einfach nur besser sein als mein altes zu Hause.
Nachdem sie aufgelegt haben erklärt mir Marco wie es weiter geht.
"Also. Da es eine... schwierige Situation ist, wollen sie das nicht am Telefon besprechen. Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter wird mal bei uns vorbeischauen um in aller Ruhe besprechen zu können, was das Beste für dich ist und dass du natürlich entscheidest was für dich das beste ist. Die Möglichkeiten werden wir alle besprechen und dann werden wir weiter sehen."
Ich nicke nur. Ich fühle mich auf einmal total erschöpft und müde. Marco streicht mir leicht über den Kopf und sagt "Geh dich ein bisschen ausruhen, es waren anstrengende Tage." Mit Tränen in den Augen stehe ich auf und schleppe mich die Treppe hoch. Die Geste von ihm hat mir im Herzen wehgetan. Und ich weiß nicht warum...
Erschöpft lege ich mich in das Bett und bin mit meinen Gedanken bei den letzten Tagen, Wochen. Ich habe Marco und David und auch Angelina so unglaublich viel zu verdanken. Marco hat schon immer auf mich 'aufgepasst'. Wenn ich im Sportunterricht umgekippt bin, hat er mich im Krankenzimmer besucht und hat sich zu mir gesetzt und einfach auf mich aufgepasst. Wenn er im Unterricht gesehen hat, dass es mir nicht gut geht, hat er mich so unauffällig wie möglich auf die 'Toilette' geschickt oder einfach nach draußen gebracht. Er hat mir oft angeboten mit ihm zu reden, weil er gemerkt hat dass es mir nicht so gut geht. Von Anfang an wollte er mir helfen. Eineinhalb Jahre lang.
Und David... Es war so ein großer Zufall wie wir uns kenneingelernt habe. Normalerweise wäre ich niemals in diesen Wald gekommen, ich konnte ja nie das Haus verlassen. Das ist eigentlich auch nur durch Herr Becker zustande gekommen... Diese Familie ist wirklich ein Geschenk. Ich hatte zu David von Anfang an eine besondere... ich weiß nicht was. Auch, wenn ich ihn anfangs skeptisch beäugt habe, habe ich doch irgendwie gemerkt, dass er mir nichts antun will. Und jetzt hat er mir geholfen, aus dieser Hölle auszubrechen. Er gibt mir unglaublich viel Kraft... Und seine Mutter hat das alles einfach so akzeptiert. Einfach akzeptiert, dass jetzt irgendein dahergelaufenes Mädchen- eine Schülerin von Marco- in ihrem Haus wohnt. Und dann haben sie mich alle zusammen dort weggeholt und wollten mich vor ihm retten. Das klingt alles so unglaublich irreal...
Einen habe ich in dieser Familie vergessen. Und dieser jemand steckt gerade heimlich seinen Kopf durch die Tür. Als ich ihn mit einem leichten Lächeln anschaue, kommt er mit wedelndem Schwanz in das zimmer gelaufen und springt auf mich drauf. Lachend schiebe ich ihn von mir runter. Neben mir legt er sich auf den Rücken und streckt mir seinen Bauch hin. Während ich wieder in Gedanken versinke, kraule ich ihn und bin sehr froh, dass auch er da ist. Ich glaube ich liebe Hunde. Er ist der erste Hund den ich kennen lernen darf, aber in diese treuen braunen Augen kann man sich nur verlieben. Ein Hund ist das einzige Tier das seinen Besitzer mehr liebt als sich selbst. Das hat Angelina mal gesagt. Ich finde diesen Satz so schön. Er vertraut ihnen blind, das habe ich mitbekommen. Ich hätte nie gedacht, dass ein Hund so viel Kraft geben kann...
Ich lege mich neben ihn und schließe die Augen. Bevor ich einschlafe, höre ich von unten plötzlich aufgeregte Stimmen. Ich setze mich wieder hin und gehe in den Flur. David steht auch schon an der Treppe und schaut nach unten.
"Wer ist da?", frage ich ihn leise.
"Ich weiß es nicht, irgendeine Frau aber es hört sich nicht so an als wäre sie willkommen... Geh wieder in dein Zimmer, ich gehe mal nachschauen und sage dir dann bescheid."
Also gehe ich mit runzelnder Stirn wieder zurück. Eigentlich darf mich das gar nichts angehen. Ich öffne die Kommode und schaue mir nochmals meine neuen Klamotten an. Sie sind so unglaublich schön...
"Hope? Ich.. ich soll dich mal holen."
"Mich?", frage ich erschrocken.
"Ja... Aber.. naja... wer auch immer diese Frau ist, sie will nicht gehen bis sie dich gesehen hat."
"Mich", wiederhole ich ungläubig. Ich kenne keine Frau, außer die Frau vom Jugendamt. Und eben ein paar Lehrerinnen. Ungläubig folge ich ihm nach unten in den Flur und bleibe irgendwann mit genügend abstand zu einer zierliche Frau stehen.
"Du bist es wirklich..."
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Gefangen im eigenen zu Hause
De TodoMein Name ist Malorie, das bedeutet Unglück. So werde ich jedenfalls von meinem Vater genannt, in der Schule werde ich Hope gerufen, weil niemand meinen richtigen Namen kennt und ich bezweifle, dass ich in Wirklichkeit Malorie heiße. Mein Vater hass...