"Ich telefoniere ab und zu mit Frau Valenta, der Frau vom Jugendamt. Und sie hat heute morgen bei euch angerufen und wollte dich sprechen, aber du warst nicht da. Und dein Vater klang ziemlich sauer am Telefon. Sie hat sich Sorgen gemacht und mich gebeten, in der Schule mal nachzufragen, weil sie auch noch nicht weiß, wie sie deinen Vater einschätzen soll. Warum warst du nicht zu Hause?"
Shit. Und jetzt?
Entweder du sagst die Wahrheit, oder du denkst dir wieder eine Notlüge aus. Ich bin ja für die Wahrheit, es wäre ein erster Schritt. Du musst keinen Grund nennen, aber es wäre ein Anfang. Du willst doch auch, dass es endlich aufhört. Bitte. Wenn du es nicht für dich tust, tu es für David. Ihm geht es nicht gut, schau ihn an. Er macht sich Gedanken um dich.
Sie hat recht. Er sieht total geknickt aus. Das muss nichts mit mir zu tun haben, aber ich weiß, dass er mir helfen will wenn ich ihn lasse.
"Ja, ich bin abgehauen. Ich weiß nicht genau warum, aber... es ist passiert. Ich kann jetzt nicht einfach so zurück gehen, deshalb... ich weiß nicht, ich dachte ich könnte einfach so weiter machen wie bisher. Nur dass ich eben draußen übernachte und nicht zu Hause."
"Du denkst das geht? Bei den Temperaturen? Hast du Geld mitgenommen?", fragt David direkt.
"Nein, ich kann meinen Vater schlecht beklauen. Aber... ich bekomme das schon hin."
"Nein tust du nicht! Weißt du wie schweine-kalt es ist? Und du kannst dir nichts zu essen kaufen, du hast keine decke, kannst nichts lernen, nicht schlafen, dich nicht aufwärmen, gar nichts! Di musst wieder nach hause zurück gehen!"
Na super, das habe ich jetzt davon. Einmal versuche ich ein wenig, mich zu öffnen und nicht die Wahrheit zu sagen und direkt wurde ich zurück nach Hause geschickt.
"David, Beruhige dich", greift Herr Becker ein.
Bei dem Satz 'Du musst wieder nach Hause zurück gehen', verschließe ich ohne darüber nachzudenken all meine Gefühle und nehme einen starren Gesichtsausdruck an. Ich werde nicht zurück gehen. Keine 10 Pferde bekommen mich zu ihm.
"Ich gehe nicht zurück."
"Warum?" (David)
"Weil es nicht geht", antworte ich in einem zu scharfen Ton. Sofort entschuldige ich mich dafür.
"Okay, wenn du es uns nicht sagen willst,ist das okay. Fürs erste. Aber trotzdem kannst du bei dem Wetter nicht auf der Straße leben! Du wirst sterben!"
"Was bleibt mir denn anderes übrig!?"
"Du kommst mit zu uns.", höre ich auf einmal von Herr Becker.
Was? Hat er das gerade wirklich gesagt? Das verdiene ich überhaupt nicht.
"Nein, das kommt gar nicht in Frage."
"Doch, entweder du kommst mit mir oder ich bringe dich wieder zu deinem Vater."
Überlege dir jetzt gut, was du sagst. Er wird ausrasten. Du bist verdammt nochmal abgehauen, du weißt wie er ist. David ist dort und Herr Becker tut keiner Fliege etwas zu leide. Seit Wochen versucht er dir zu helfen, also helfe ihm nur einmal dabei, an dich heran zu kommen. Geh mit ihm. Und draußen kannst du wirklich nicht bleiben.
"Komm schon hope... es ist das beste für alle", redet auch David auf mich ein.
"Ja okay. Aber nicht zu lange..."
"Danke." Wofür bedankt er sich denn jetzt? Er wird ja immer süßer...
"Okay, ich werde mich für heute krank melden und wir fahren jetzt direkt zu uns. David du kommst ausnahmsweise mit, damit sich hope an jemanden wenden kann den sie... mag. Auf gehts."
--Seit ein paar Minuten sitze ich in dem warmen Auto und fahre mit David und Herr Becker zu ihnen nach Hause. Ich weiß nicht ob das eine gute Idee ist, aber eigentlich ist es mir egal. Irgendwie muss es ja weitergehen. Auch, wenn es echt komisch ist, gleich bei meinem Lehrer zu Hause zu sein. Aber besser, als bei mir zu Hause... Ich merke richtig, wie sich meine Gedanken verändere, seit ich mir erlaube, über meinen Vater zumindest ein bisschen schlecht zu reden. Ich habe trotzdem ein schlechtes Gewissen.
Ein schlechtes Gewissen? Weil du die Wahrheit denkst? Beziehungsweise die halbe Wahrheit? Dafür musst dich nicht schämen, es sind erstens nur deinen Gedanken die niemand hört und zweitens ist es die Wahrheit! Keine schlechten Gedanken der Welt wären genug für das, was er dir antut!
Ich geb mir ja Mühe...
Als wir anhalten, wage ich einen Blick aus dem Fenster. Wir stehen vor einem großen, weißen Haus mit flachem Dach. Er ist doch nur Lehrer, warum kann er sich so ein schönes großes Haus leisten? Aber okay, darüber sollte ich ir keine Gedanken machen. Sonst denke ich später noch, dass er in Drogengeschäfte verwickelt ist oder so, mein Hirn kann manchmal ziemlich rumspinnen.
"Komm mit", sagt David aufmunternd und steigt aus, also schnalle ich mich ab und gehe hinter ihm ud Herr Becker zu der Haustür. Ein bisschen unwohl ist mir ja schon. Ich war noch nie bei jemandem anderen zu Hause, und schon gar nicht bei einem Lehrer oder bei einem Jungen! Ich darf vor allem nicht vergessen, dass sie noch nicht wisse, warum ich nicht nach Hause will. Klar, Herr Becker vermutete es und er wartet wahrscheinlich jeden Tag darauf, dass ich es ihm bestätige. Aber was passiert, wenn er mir nicht glaubt oder wenn ich zurück muss oder wenn er mich danach findet und mit mir abhaut und niemand weiß wo ich bin, oder wenn es gar nichts bringt? Und was ist, wenn er ins Gefängnis muss? Darüber muss ich nachdenken. Wem auch immer ich es erzähle, er wird mit mir zur Polizei gehen wollen. Will ich meinen eigenen Vater ins Gefängnis bringen?
Mittlerweile stehen wir im Flur und Herr Becker erklärt mir, dass er mein Zimmer vorbereiten wird. Ich bekomme in einem vollkommen fremden Haus ein eigenes Zimmer, wahrscheinlich sogar mit Matratze oder so. David soll mir in er Zwischenzeit ein bisschen das Hau zeigen. Also ziehe ich Schuhe und Jacke aus und folge ihm. Er zeugt mir Küche, Wohnzimmer, Bad und schließlich sein Zimmer. Bis hierher habe ich so ziemlich alles vom Sehen her gekannt, ich durfte zu Hause schließlich aus meinem Zimmer rausgehen. Ich weiß was eine Spülmaschine ist und eine Couch oder ein Kühlschrank, aber was ein Fernseher ist weiß ich nicht. Oder ein Laptop. Der steht bei ihm auf seinem Schreibtisch. Sein Zimmer ist unglaublich toll. Es ist groß und hell, mit einem großem Bett und Schrank, innre Fotowand, einem Schreibtisch, einem blauen Zickzack und vielen Bildern. Der Boden besteht aus schönem, helle Holz und die Wände sind in verschieden Farben gestrichen.
"Gefällts dir?", reißt er mich aus meinen Beobachtungen.
"Und wie", lächle ich ihn an.
"Wie sieht dein Zimmer zu Hause aus?"
"Ach, das ist... einfach gehalten. Nichts besonderes. Ich laufe zu er Fotowand und schaue mir verschiedene Bilder an. Auf manchen ist er zu sehen mit einem Hund, auf anderen sieht man Sonnenuntergänge, die Natur oder andere Personen, die sehr glücklich aussehen.
"Hast du die Bilder gemacht?"
"Ja, alle selbst geschossen. gefallen sie dir?"
"Und wie... Sie sind wunderschön"
Ich finde auch viele Bilder von dem Wald, in dem wir uns kennengelernt haben Von dem See, den Bäumen, dem Weg.
Und dann entdecke ich ein Bild von mir, vor dem See. Ich sitze mit dem Rücken zur Kamera. Es war vor unserer ersten Begegnung, als ich auf einem Stein saß, mit einer Decke eingewickelt. Meine Haare wehen leicht im Wind und werden von der Abendsonne bestrahlt.
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.
"Das ist eins meiner Lieblingsbilder", flüstert David plötzlich hinter mir.
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Gefangen im eigenen zu Hause
RandomMein Name ist Malorie, das bedeutet Unglück. So werde ich jedenfalls von meinem Vater genannt, in der Schule werde ich Hope gerufen, weil niemand meinen richtigen Namen kennt und ich bezweifle, dass ich in Wirklichkeit Malorie heiße. Mein Vater hass...