Kapitel 32

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Verwundert schaue ich zu Marco und Angelina, die Arm in Arm im Küchentürrahmen stehen und mit angespannter Miene die Frau beobachten. Die Situation überfordert mich. Woher kennt sie mich denn, ich habe sie vorher noch nie gesehen. Was soll ich denn auf diesen Satz erwidern?

Plötzlich macht sie ein paar Schritte auf mich zu. Ich will nach hinten ausweichen, aber meine Beine bleiben einfach stehen. Als sie nur noch eine Armlänge vor mir entfernt stehen bleibt und ihre Hand nach mir ausstreckt, zucke ich direkt zusammen und Marco bittet sie, zurück zu gehen.

"Wer sind Sie?"

"Du kennst mich nicht, natürlich nicht... Wie konnte ich mir nur einreden dass du mich kennst.. Ich.. Ich möchte dir alles erklären okay?"

"Was denn erklären?"

Herr Becker kommt neben mich und legt vorsichtig einen Arm um meine Schultern. Das gibt mir das Gefühl, eingeengt zu sein, aber es vermittelt mir auch Sicherheit. Also sage ich nichts. Wer ist diese Frau? Ich habe sie wirklich noch nie gesehen... Sie streicht ihre dunkelbraunen Haare hinter ihr Ohr und senkt ihren Blick auf den Boden. Langsam verliere ich die Geduld. Scheinbar weiß hier jeder außer mir, was hier gerade gespielt wird. Obwohl es ja irgendwas mit mir zu tun hat!

"Könnte mir mal bitte jemand sagen was hier gerade läuft? Da steht eine fremde Frau vor mir und will mir irgendwas erklären. dann erklären sie es mir doch. Was wollen sie mir erklären? Und wer sind sie?", frage ich sie ruhig. Sie schaut Marco mit einem flehenden Blick an. Es wird ja immer unheimlicher...

"Hope, sie sagt sie ist deine Mutter."

was...?

Geschockt schaue ich zu Boden. Mit meiner Hand streiche ich mir die Haare hinter das Ohr, doch ich stocke in der Bewegung. Das hat sie eben auch gemacht...

Meine Mutter...

Ich habe sie noch nie gesehen. Gleich am Tag meiner Geburt ist sie abgehauen. Hat mir mein Vater immer erzählt. Und mir eingeredet, dass auch sie mich nie wollte. Sonst wäre sie nicht abgehauen. Aber dann stände sie jetzt auch nicht vor mir.

"Warum bist du hier?", frage ich immer noch total verstört.

"Ich wollte nach dir sehen.."

"Ts.. Nach 16 Jahren wollen Sie mal nach ihr sehen!? Sie ist ihre Tochter! Sie hätten von Anfang an nach ihr sehen müssen."

"David, beruhige dich."

Ich weiß nicht was ich tun soll. 

"Ich möchte dir erzählen, was damals vorgefallen ist. Warum ich dich alleine gelassen habe. Und ich wäre so froh wenn du mir erzählen würdest, wie es dir ergangen ist..."

Ich kann nichts sagen. Ich bin einfach nur sprachlos.. Woher wusste sie dass ich hier bin? Marco führt mich ins Wohnzimmer und wir setzen und auf die Couch. Ich beschließe zu denken, dass es richtig ist dass wir hier sitzen sonst hätte Marco es verhindert. Also starre ich diese Frau einfach nur an ud warte darauf, dass sie etwas sagt.

"Oh es tut mir so leid Emily... "

"Emily?"

"So... so wollte ich dich immer nennen..."

Sie hatte einen Namen für mich und ist trotzdem direkt weggelaufen? 

Nach langem Schweigen sagt sie schließlich: "Ich habe keine Entschuldigung für mein Verhalten... Ich kann dir nur sagen, wie ich mich damals gefühlt habe. ich weiß nichts über dich und ich weiß nicht wie er mit dir umgegangen ist. Aber ich hatte es nicht gut bei ihm. Die Einzelheiten erspare ich dir.. Ich hate furchtbare Angst vor ihm, ,aber ich konnte ihn nicht verlassen. Er drohte mir, dich zu verletzen und uns zu finden und.. na ja. Aber ich konnte nicht länger bei ihm bleiben. Es war ein Wunder, dass du überhaupt auf die Welt gekommen bist.... So oft hast du in Lebensgefahr geschwebt... Als ich dich das erste mal gesehen habe, habe ich dich sofort geliebt. Ich wusste nicht, wie ich handeln soll. Ich konnte nicht mit dir abhauen, weil ich wusste, das es das ganze nur noch schlimmer machen würde. Also packte ich irgendwann meine Tasche und verließ das Krankenhaus. ohne dich. Ich war überzeugt, dass es besser für dich sei. Für uns beide. Ich dachte, es läge nur an mir dass er so ist wie er ist und dachte, dass er dich lieben wird wenn er dich sieht. Und wenn ich weg bin, hat er keinen Grund mehr so sauer zu sein... Aber jetzt sehe ich dich. Und ich sehe, dass er mit dir noch viel schlimmer umgegangen ist als mit mir und ich bin so stolz auf dich dass du es geschafft hast. Dass du ihn ins Gefängnis bringst..."

"Sie haben ihr Kind bei ihm gelassen. Sie wussten dass er sich nicht ändern würde! Was sind sie für eine Mutter!?? So etwas tut man niemandem an! Erstrecht nicht dem eigenen Kind!!!" David springt wütend auf und geht nach oben in sein Zimmer. 

Ich sage nichts. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Ich bin einfach nur überfordert... Mein Kopf tut weh und ich bin müde. Wie in Trance stehe ich auf und gehe ebenfalls nach oben. Was mit ihr passiert, was Marco und Angelina mit ihr reden, ist mir im Moment einfach nur egal. Ich habe soeben meine Mutter kennengelernt. Und ich habe keine Ahnung, was ich von ihr halten soll.... Ich hätte nie gedacht, dass ich sie mal sehen könnte. Habe mir nie ausgemalt, wie ein Treffen aussehen könnte. Ich habe mich gefragt, wie es ihr geht und was sie wohl macht, ob es einen Grund gab dass sie mich einfach alleine gelassen hat... Aber ich dachte nie dass ich mal eine Antwort auf die Fragen bekommen würde. 

Ich fühle ich von ihr im Stich gelassen. Obwohl ich das wahrscheinlich noch nicht mal denken darf, ist es so. Ich fühle mich von ihr alleine gelassen. Wenn ich sie gewesen wer, wäre ich bei meinem Kind geblieben und hätte es vor dem Vater beschützt. Ich wäre mir egal gewesen... Aber... naja. Ich sollte nicht über sie urteilen. Ich kenne ihre Geschichte nicht..

Erschöpft lege ich mich ins Bett.. Ein paar Minuten später kommt David dazu und legt sich hinter mich, sodass ich seine Nähe spüre. Und es tut so gut. Wieder einmal bin ich sehr froh, dass er da ist ud ich seine Berührungen zulassen kann. Sein regelmäßiger Atem beruhigt mich und seine Nähe gibt mir Schutz... Ich lege meine Hand wenige Zentimeter unter seine, sie berühren sich nicht. Dass traue ich mich nicht, vielleicht will er es nicht, vielleicht wäre es für mich doch unangenehm, vielleicht würde ich ihn verletzen und dass will ich nicht. Doch keine Sekunde später nimmt er meine Hand in seine und gibt mir einen leichten Kuss auf die Wange. Gott sei dank kann er mein Gesicht nicht sehen.. Lächelnd schließe ich die Augen und bleibe einfach liegen und versuche, nur seine Anwesenheit zu genießen und mir über nichts anders den Kopf zu zerbrechen.

"Alles wird gut..."

Gefangen im eigenen zu HauseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt