Kapitel 4

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Mit vor Schreck aufgerissenen Augen drehe ich mich um und schaue in das Gesicht eines Jungen. Die Beeren fallen alle auf den Boden und sind im Schnee verschwunden.

"Weißt du nicht, dass das giftige Beeren sind? Du landest im Krankenhaus!", reißen seine Worte mich aus meiner Starre.

Verwirrt und erschrocken gehe ich ein paar Schritte zurück und lächle ihn nur an. Ich habe noch nie ein Gespräch mit einem Jungen geführt, nur einzelne Wörter mit Mädchen. Ich habe keine Ahnung, wie man sich verhält oder was man sagt.

"Du redest nicht besonders viel, oder?", meint er lächelnd.

Ich senke meinen Kopf und gebe ein leises "Nein" von mir. Mir wird es verboten, zu reden.

"Verrätst du mir deinen Namen?"

"Ähm... Ich heiße... Hope", sage ich unsicher. Malorie will ich von niemandem genannt werden. Ich weiß, dass Hope nicht mein richtiger Name ist. Aber heiße ich denn Malorie? Heiße ich Unglück?

"Echt? In Büchern heißen Mädchen oft Hope, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich mal jemanden treffen werde, der so heißt. Ich finde den Namen sehr schön, das wollte ich damit nicht sagen. Es ist ein außergewöhnlicher Name."

"mh... Danke. Und... wie heißt du?"

"Ich heiße David. Wie kommt es, dass ein Mädchen morgens alleine im Wald herum läuft? Ich könnte ja auch Jemand unfreundliches sein, der kleine Mädchen entführt."

Geschockt sehe ich ihn an. Von Anfang an hatte ich ein komisches Gefühl bei der Sache. Es wird schon seine Gründe haben, warum ich mit niemandem reden soll. Er kam aber so freundlich rüber... Er ist nicht viel älter als ich, da habe ich mir keine Gedanken gemacht. Und jetzt will er mich entführen. Mein Vater wird sauer sein. Oder wäre das gut für ihn?

"Hey, das war ein Spaß. Ich wollte nur wissen, was du hier draußen machst.", sagt er und stellt sich neben mich, mit Blick auf den See. Auch ich drehe mich wieder um und schaue in den Wald hinter dem See, aber ein Auge immer auf ihn fixiert.

"Magst du den Wald auch so sehr?"

Sollte ich mit ihm ein Gespräch führen? Ich weiß, dass es mir gut tun würde. Ich würde etwas lernen und ich hätte Kontakt mit einem Menschen. Aber ich darf nicht nur auf mich achten. Aber er macht einen lieben Eindruck und er redet freiwillig mit mir. Er könnte auch einfach weitergehen oder nicht auf mich eingehen. Aber er fragt Dinge und er steht neben mir. Mein Vater hat mir nicht verboten, mit anderen Leuten zu reden. Also warum soll ich ihn ignorieren? Das ist kein schönes Gefühl, das weiß ich. Also warum sollte ich ihm nicht antworten?

"Ja, er fasziniert mich. Vor Allem der Schnee. Er verzaubert das Ganze noch viel mehr."

"Da hast du recht", flüstert er und ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen. Fasziniert beobachte ich sein Gesicht. Sein bloßer Anblick fasziniert mich, er beruhigt. Seine hellbraunen Augen strahlen Ruhe aus, ebenso wie seine Stimme. Er ist sehr hübsch. Als wäre er aus einer anderen Welt.

Als er mich ebenfalls anschaut beiße ich mir leicht auf die Unterlippe und wende den Blick wieder von ihm ab.

"Wohnst du hier in der Nähe?"

"Ähm.. ich denke schon." 15 Minuten Autofahrt ist doch in der Nähe, oder?

"Ich auch, ich wohne in Winden. Seit Neuestem. Ab nächste Woche gehe ich auch auf das Gymnasium dort."

"Ich gehe auch auf diese Schule.", meine ich überrascht.

"Hey cool, dann sehen wir uns vielleicht bald wieder. Heute ist Donnerstag, morgen kann ich nochmal hier her kommen. Sehen wir uns?"

"Gerne."

"Dann bis morgen, gleiche Stelle?"

Ich nicke, dann dreht er sich um, lächelt mich nochmal an und verschwindet hinter den Bäumen.
Ob es richtig ist, dass ich mit ihm geredet habe? Dass wir uns wiedersehen? Er wollte es doch, oder?

In der nächsten Nacht träume ich von David. Er hat herausgefunden, dass mein Vater mich schlägt und zerstört mich damit. Er und mein Vater haben sich zusammengeschlossen.
Und so kommt es, dass ich am nächsten Tag total verwirrt bin. Ich hatte noch nie Kontakt mit Leuten in meinem Alter. Ich habe mich noch nie mit jemandem getroffen. Wie denn auch, wenn mein Vater mich nicht weg gehen lässt, zb zu einer Freundin und ich niemanden mit nach Hause bringen kann, aus Angst, dass alles auffliegt? Ich weiß nicht, warum ich auf jeden Fall verhindern möchte, dass das Jemand mitbekommt. Aber mein Gefühl sagt mir, dass es das richtige wäre. Natürlich möchte ich, dass es aufhört. Aber... trotzdem ist es falsch. Obwohl es richtig wäre.

Aber.. in der Schule wird er sowieso nicht mehr mit mir reden. Dann kann ich doch jetzt mich heute noch einmal mit ihm treffen, oder? Das wird das erste und letzte Treffen für mich sein. Das hat mir niemand verboten. Und wenn ich ehrlich bin, freue ich mich darauf. David wirkt auf mich so nett. Ach scheiß doch drauf, ich werde ihn heute noch einmal sehen. Und wenn er mir etwas Böses will, auch gut.Kann ich dann auch nicht mehr ändern. Es wird Zeit, etwas zu tun.

Ich will mich gerade auf den Weg zum See machen, als ich ein Auto höre. Schnell verkrieche ich mich unter den Decken. Ist es mein Vater? Wird er mich jetzt schon abholen? Oder kommt er, um mich zu schlagen?

Als ich schnelle, schwere Schritte höre weiß ich, dass er es ist. Ich erkenne ihn an seinem Gang. Was will er?

Ich ziehe die Decke über meinen Kopf, sodass nur meine Augen herausschauen und als die Tür aufgeht erblicke ich ihn wieder. Nach 4 Tagen. All die Angst steigt wieder in mir auf. Es ist schlimmer als sonst. Ich versuche, mich klein zu machen ,aber was nützt das schon? Er weiß dass ich da bin. Er sieht mich. Er ist doch nicht blöd. Mein Herz schlägt bis zum Himmel, ich habe das Gefühl, dass es jeder schlagen hören kann. Meine zähne klappern und meine Hände zittern vor Angst.

"Du machst mir ärger ohne dass du da bist, womit habe ich dich nur verdient!?", ist der erste Satz, der aus seinem Mund herauskommt. Er ist sauer. Nimmt er mich jetzt mit nach Hause? Oder wird er mich hier schlagen?

Er kommt zu mir, schlägt die Tür zu und dann ist es stockdunkel. Ich höre nur seinen schweren Atem. Was wird da jetzt? Verstecken spielen? Als mich plötzlich etwas nach oben reißt verlässt ein Schrei meinen Mund.

"Hör auf zu schreien du Stück Scheiße! Meine Güte, am liebsten würde ich dich hier erfrieren oder verhungern lassen weißt du das? Du blöde Schlampe. Ich will dich nicht."

Bei jedem Satz erreicht mich ein Schlag. in den Bauch, ins Gesicht, an den Armen. Er drückt mich an die Wand und schnürt mir mit einem Arm die Luft ab.

"Hör mir mal zu. Wenn du deinen ach-so-tollen Klassenlehrer nicht davon überzeugst, dass mit dir und mir alles in bester Ordnung ist, werde ich mir einen großen Wunsch erfüllen und dich los werden. Hast du mich verstanden?"

Ich bleibe mucksmäusschen still. Ich bekomme keine Luft.

Doch er drückt fester zu. Ich spüre, dass ich kurz davor bin, wieder ohnmächtig zu werden.

"Ob du mich verstanden hast!", höre ich ihn schreien, doch dann sacke ich in mir zusammen.

-

Als ich meine Augen öffne. ist es nicht mehr dunkel. Bin ich zu Hause? Langsam setze ich mich unter Schmerzen hin, doch ich bin noch im Wald. Die Tür steht offen, deshalb ist es hell. Mir tut alles weh. Hat er etwa weiter gemacht als ich weg war? Es waren doch am Anfang nur 4 oder 5 Schläge...

Als ich trotz höllischen Schmerzen aufstehe und meinen Bauch und meine Arme betrachte, stelle ich fest, dass ich zu meiner Erleichterung nur blaue Flecken bekommen habe, keine Wunden. Obwohl alles weh tut, jede Bewegung schmerzt, gehe ich zu dem See. Dort ist alles besser. Dort kann ich nachdenken. Ich hoffe, dass David noch nicht da ist, auch wenn ich ihn später gerne sehen würde.

Gefangen im eigenen zu HauseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt