Kapitel 8

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Sandrine und Franzi verabschiedeten sich und es fiel mir äußerst schwer, sie gehen zu lassen. Die Nacht hatte sich bereits mit breiten Schatten eingeläutet und ich war beruhigt, dass ich am nächsten Morgen sicher wieder entlassen würde. Zumindest hatte ich mir genau das vor genommen. „Nun, dann setzte ich mich mal vor die Tür." erklärte Andrea und ich nickte zustimmend. Aber etwas in mir wollte, dass sie im Zimmer bleibt. „Andrea." rief ich und zuckte sogleich zusammen, als mich die Bewegungen im Bauch schmerzlich daran erinnerte, dass ich nicht ganz unversehrt war. „Aua." entfuhr es mir. Andrea stürzte sofort auf mich zu und legte ihre Hand auf meinen Arm. „Was ist? Alles okay?" fragte sie besorgt. „Ja, alles okay. Hab mich wohl nur etwas zu viel bewegt." beruhigte ich sie. „Kannst du bitte hier drin bleiben?" fiel ich mit der Tür ins Haus ohne Umschweife. Sie blickte etwas irritiert, stimmte jedoch zu und nahm sich einen Stuhl an mein Bett. „Fühlst du dich sicherer, wenn du mich sehen kannst?" fragte sie und ihr Blick verriet mir, dass sie keine Ausflüchte zur Antwort gelten lassen würde. „Ja." antwortete ich kleinlaut. Sie nickte und sagte nichts mehr weiter. „Erzählst du mir ein wenig von dir?" fragte ich sie und fühlte mich zunehmend schwächer, als ich es mir eingestehen wollte. „Was willst du wissen?" fragte sie mich auffordernd. „Weiß nicht. Wie bist du zur Polizei gekommen?" Sie schmunzelte und auch sie hatte meinen Versuch ein belangloses Gespräch zu starten längst durchschaut. „Der Klassiker. Mein Vater war schon Polizist und mein Opa auch. Nur bin ich eben die erste Frau in der Familie, die sich für diesen Beruf entschieden hat. Und weil mich die Streife irgendwann nicht mehr interessiert hat, habe ich mich weiter gebildet und bin eben jetzt bei der Kripo." sie schmunzelte immer noch. „Und du, was hat dich zur Schauspielerei getrieben?" drehte sie nun den Spieß um. „Das war schon als Kleinkind mein Traum und ich war mir sicher, dass ich es zumindest versuchen musste, ihn zu verwirklichen. Das ist ein hartes Business. Aber diese Rolle war mein Glücksbringer. Mit so einem Erfolg hätte ich im Leben nicht gerechnet. Geträumt ja, aber wirklich damit gerechnet nie." Ich spürte, dass auch ich schmunzeln musste. Es machte mir Freude, mich an meine Anfänge zurück zu erinnern. Aber ich fühlte auch etwas Schwermut darüber, dass ich seither meist nicht mehr unerkannt durch die Straßen flanieren konnte. „Nicht ganz ohne der Job, wie man sieht." kicherte sie. „Deiner ist ja wohl noch deutlich gefährlicher." kommentierte ich. Sie ließ ihren Blick zu Boden sinken und nickte stumm. „Shelly, du musst reden. Du musst mit Franzi reden." Ich hatte sofort verstanden, was sie meinte, aber ich war nicht bereit dazu, mir das sagen zu lassen. „Wir reden doch." gab ich ihr nur stur zur Antwort. „Nein, ihr schweigt vor euch hin und du ganz besonders. Du musst deinen Ängsten Worte verleihen. Ich war dabei Shelly und es war furchtbar und es verfolgt auch mich immer wieder. Ich habe diese Frau erschossen, um euch zu schützen. Und dieses Miststück hatte es mehr als verdient und dennoch lässt es mich nicht los. Es war das erste Mal in meiner Laufbahn, dass ich überhaupt den Abzug meiner Waffe gedrückt habe, gezielt und getroffen habe. Ich kann mir hunderte Male sagen, es war richtig und es war Notwehr. Aber ich habe einen Menschen getötet. Etliche Nächte traue ich mich nicht, ein zu schlafen aus Angst vor den Bilder. Eine scheiß Angst ist das und ich frage mich manchmal, ob ich meinem Job noch gewachsen bin. Tatsache ist, dass es jederzeit wieder passieren kann, dass ich meine Waffe benutzen muss. Ich reflektiere immer und immer wieder mit unserem Supervisor darüber und ich spüre auch das es mir hilft und besser wird. Aber wie geht es euch mit all dem? Lasst ihr euch helfen? Wie geht es dir damit? Was machst du mit deinen Ängsten? Ich habe dich gesehen vorhin im Studio. Ich habe deine Panik gesehen und ich kann es dir nur noch einmal raten, sprich es aus, rede darüber." Die Worte prasselten auf mich ein und entblätterten Stück für Stück in mir, was ich tunlichst versuchte zu verdecken. Ich spürte die Wut in mir aufsteigen. Ich wollte nicht, dass Andrea meinen Kokon einreißt. Aber sie tat es bereits. „Hör auf damit." fuhr ich sie an. Sie nickte und signalisierte, dass sie meinen Wunsch respektierte. „ich gehe mir mal einen Kaffee holen. Möchtest du auch einen?" fragte sie mich. Ich gab ihr keine Antwort, ich war beleidigt, dass sie mich aufgerührt hatte. Als sie in der Tür stand und im Begriff war, den Raum zu verlassen, schrie es plötzlich aus mir heraus. „Ich will das nicht spüren. Es tut so verdammt weh." und im selben Moment brachen die Tränen aus mir heraus. Andrea hielt in ihrer Bewegung inne und schloss die Türe langsam wieder. Sie drehte sich um und auch ihre Augen waren deutlich mit Tränen gefüllt. Sie trat auf mich zu und ihre Hand näherte sich mir. Wie aus Reflex stieß ich sie von mir. Andrea ließ sich davon nicht abschrecken. Noch einmal gab ihre Hand auf mich zu und wieder schubste ich sie weg. Damit hatte ich vollends verloren und ihre Arme umfassten mich kräftig. Nicht konnte jetzt mehr den Sturzbach meiner Trauer und Angst aufhalten. Mein Körper bebte und zitterte in ihren Armen. Sie hielt mich. Sie hielt mich aus. Meine Schwäche war vollkommen entblößt und sie bot mir Schutz und Verständnis. Ich musste sie nicht fürchten.

Als ich mich wieder etwas gefangen hatte, war ich zum ersten Mal in der Lage wirklich zu reden. Immer noch in Andreas Armen vergraben. „Ich sehe meine Franzi immer wieder da stehen, mit der Waffe auf ihre Gesicht gerichtet und ich kann einfach nichts tun. Gar nichts. Ich sehe, dass diese Verrückte mir das wertvollste in meinem Leben nehmen will und kann rein gar nichts tun. Das tut so unglaublich weh. Ich bin Schuld daran. Wäre sie nicht mit mir zusammen gekommen, ihr wäre niemals so etwas widerfahren. Ich hätte wacher sein müssen. Ich hätte bemerken müssen, dass Kelly etwas im Schilde führt. Ich war nicht fähig meine Frau zu beschützen." schluchzte ich erneut los und spürte, wie tatsächlich mit jeder weiteren Träne die Last von meinen Schultern kullerte. Andrea löste mich aus ihren Armen und blickte mir tief in die Augen. So tief, dass es beinahe schmerzte. Was auch immer diese Frau tat, alles pflanzte sich tief in mich hinein. „Dich trifft keine Schuld. Die Schuldige ist tot. Hörst du?" fragte sie mich eindringlich und schloss mich sogleich wieder in ihre Arme.

Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten wir uns voneinander und ich fühlte mich, als wäre ich im Schleudergang durchgerüttelt worden. Ich wischte mir die letzten Tränen aus dem Gesicht und schämte mich, bei allem Verständnis ein bisschen, dass ich mich so hatte gehen lassen. „Möchtest du jetzt auch einen Kaffee?" fragte sie mich. „Ich könnte jetzt eher was härteres gebrauchen. Aber bring mir gerne einen mit." lachte ich. Sie verließ den Raum und ich musste durch atmen. Irgendwie war ich platt, aber fühlte mich so leicht wie schon seit einigen Monaten nicht mehr. Meine Blase hatte sich bedrohlich gefüllt und ich rappelte mich vorsichtig aus dem Bett auf. Die Wunde brannte und stach mir in meine Gedärme. Ich weigerte mich, die Schmerzmedikamente, die man mir bereit gestellt hatte zu nehmen. Ich verstand aber, warum sie mir zur Verfügung gestellt worden waren. Ich kam langsam und vorsichtig ins stehen und suchte die Toilette auf. Die Lüftung war unerträglich laut. Es gestaltete sich erneut schmerzhaft, ins Sitzen zu kommen.

Als ich fertig war und die Tür öffnete, zuckte ich zusammen. Andrea stand da und hatte den Schrecken in den Augen. „Was ist los?" fragte ich. „Herrgott, da bist du ja." raunte sie mich an. „Warum antwortest du mir nicht, ich hab dich gerufen. Ich hätte in zwei Sekunden die Tür eingetreten." Ich war bei allem Ernst in ihren Augen auch etwas amüsiert. Wie besorgt sie drein schaute und ich hatte keinen Schimmer was sich vor meiner Toilettentür abgespielt hatte. Ich musste unweigerlich kichern. „Sorry, aber das Gebläse da drin ist so laut, ich habe dich nicht gehört." Andrea war deutlich erleichtert und ein zarter Duft von Kaffee krabbelte in meine Nase. Auch sie konnte sich ein Grinsen nicht unterdrücken, als sie hörte, was für eine Lautstärke das Betätigen des Lichtschalters im Innern der Toilette auslöste. Ich setzte mich unter einem leisen „Aua." in meinem äußerst schicken Krankenhausdress wieder auf mein Bett. Ich spürte etwas Kühle an meinem Rücken, der nur durch ein paar Bändel bedeckt war. Ich drehte mich, um mich ins Liegen zu bringen und erwischte Andreas verstohlenen Blick auf meine Haut im letzten Moment. Ich war kurz irritiert, aber mein Ego war bereits auf Hochtouren geschmeichelt. Ich ließ es unkommentiert stehen und legte mich wieder hin. Wir tranken unseren Kaffee und schafften es tatsächlich in ein ungezwungenes, entspanntes und schönes Gespräch, bis mir irgendwann die Augen zu fielen. Und auch Andrea hatte es nicht geschafft, sich wach zu halten.

©lialight

Meet and love 2 (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt