Kapitel 12

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Ich war immer wieder wach geworden und entschloss mich gegen sieben, die Nacht für beendet zu erklären. Ich warf mir einen Pulli über und setzte mich auf die Terrasse. Die Luft war noch kühl und nur ein paar frühe Vögel zwitscherten schon geschäftig vor sich hin. Ich war erschüttert von dem, was sich in der Nacht abgespielt hatte. Ich spürte mein Gefühl, dass etwas mit Sandrine nicht stimmte, schlussendlich bestätigt. Ich war voller Sorge und konnte es kaum abwarten, dass sie wach wurde und ich mit ihr sprechen konnte. Was war nur passiert mit ihr? Würde ich ihr überhaupt helfen können? Ich verlor mich in Erinnerungen. An die Zeiten, die wir miteinander erlebt hatten und die Freude, die sie zeigte, seitdem sie hier war. Ich hatte sie ungern zurück gelassen. Ich vermisste sie auch und genoss es sehr, sie hier um mich zu haben. Aber das Sandrine so sehr damit zu kämpfen hatte, das hätte ich nicht gedacht. Sie hat nichts dergleichen gesagt. Ich kramte in meinen Gehirnwindungen, versuchte mich zu erinnern, ob ich etwas übersehen oder überhört hatte. Kannte ich meine Freundin tatsächlich so schlecht? Niemals hätte ich so einen Absturz erwartet. Niemals hatte ich etwas derartiges erlebt. Ausgerechnet meine beste Freundin. Ich war einfach erschüttert. Ich musste weinen und hoffte inständig, dass es wirklich alles nur halb so wild war. Ich konnte mir nicht vorstellen, ich wollte mir nicht vorstellen, dass sie dem Alkohol verfallen war. Ich weinte wieder. Es zog mich nach oben zu Shelly, aber ich wollte sie nicht wecken. Sie sollte sich ausruhen. Nach dem Krankenhaus nun auch noch so ein Drama. Sie hatte sich ihren Urlaub wirklich verdient und dann einen so turbulenten Start. Dabei musste sie sich nun wirklich schonen.

Ich kochte mir einen Kaffee und tigerte vor mich hin. Immer wieder erwischte ich mich selbst, dass ich unterbewusst den Kopf schüttelte. Ich konnte es nicht glauben. Das Wasser gurgelte durch die Maschine und kündigte die Fertigstellung des braunen Goldes an. Ich nahm ihn mir und packte eine Decke unter meinen Arm. Ich wickelte mich darin ein und setzte mich wieder in meinen Stuhl auf der Terrasse. Die heiße Tasse in meine Finger gehüllt, pustete ich ein wenig hinein, bevor ich den ersten Schluck zu mir nahm.

Mit einem Schmunzeln erinnerte ich mich daran, wie Sandrine ihr erstes Smartphone bekommen hatte. Zuvor hatte sie sich gewehrt wie eine Wilde, dass sie so ein teufelsding niemals besitzen wollte. Aber als ihr Tastenhandy für immer den Geist aufgegeben hatte, ließ sie sich doch von mir voll quatschen, sich der modernen Technologie an zu passen. Sie ließ sich überzeugen und kaufte sich gleich mal eines der teuersten Modele. Zu Anfang brachte sie es einfach nicht fertig, damit ein Telefonat zu führen. Sie brach zu Beginn unsere Gespräche immer ungewollt ab, weil ihre Wange das Display berührte und den Anruf beendete. Ich musste vor mich hin lachen, als ich mich an ihre Flucherei und Überzeugung erinnerte, dass dieses Ding nicht funktionieren wollte. Es war so komisch, wie sie sich damit herum schlug, bis es ihr locker von der Hand ging. Ich verfiel oft in einen totalen Lachanfall, wenn ich versuchte ihr zu helfen und das vor allem über das Handy, dass sie versuchte zu bedienen. Eine Komödie, wie man sie besser nicht hätte drehen können. Als sie dann die Kamerafunktion entdeckt hatte, gab es kein Entkommen mehr vor ihr. Sie fotografierte was nicht bei drei hinterm Baum verschwunden war. An einem warmen Sommertag, machten wir eine ganze Selfiereihe von uns. Dabei waren unglaublich schöne Bilder entstanden. Einige davon hatte ich entwickeln lassen und in einer Fotokollage verewigt.

Die Zeit kroch im Schneckentempo vor sich hin und ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Erste eine Stunde war vergangen und es würde sicher noch bis Mittag dauern, bis Sandrine ihren Rausch ausgeschlafen haben würde.

Ein Kuss auf meine Stirn, wiegte mich sanft wieder in die Wirklichkeit. „Guten Morgen, Franny, was machst du hier draußen?" fragte mich Shelly, als ich meine Augenlider wieder auf 'open' gestellt hatte. „Oh, ich bin wohl eingeschlafen." murmelte ich und gab ihr einen Kuss. Shelly setzte sich zu mir und streifte sich die Müdigkeit aus den Augen. „Wie geht es deinem Bauch." fragte ich sie und legte meine Hand sanft auf ihre Wunde. „Es geht, zieht halt. Aber es juckt auch schon, es scheint zu heilen. Wie fühlst du dich?" fragte sie mit besorgter Mine. „Ich weiß nicht, ich mache mir Sorgen." gestand ich. „Das glaube ich dir. Das war verwirrend. Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll, dass sie mich beschuldigt." bekannte sie und blickte betreten zu Boden. „Vielleicht kann sie mich gar nicht wirklich leiden." vermutete Shelly. „Nein, das glaube ich nicht." versuchte ich Shelly von dem Gedanken ab zu bringen und streichelte über ihr Bein. „Nein, so ist es auch nicht." unterbrach uns eine Stimme im Hintergrund. Sandrine trat auf die Terrasse. Sie war blass, mit verheulten Augen und angeknackster Stimme. „Ich weiß nicht mehr so ganz genau, was letzte Nacht passiert ist. Aber ich schäme mich und es tut mir so wahnsinnig leid." sagte sie mit zittriger Stimme und auch ihr zittriges Kinn verriet, wie viel Kraft es sie kostete, nicht sogleich wieder in Tränen aus zu brechen. Das berührte mich sehr. „Setzt dich, ich hol dir einen Kaffee." sagte Shelly vermeintlich emotionslos. Aber ich kannte sie zu gut, als dass ich nicht bemerkt hätte, dass auch ihr Herz nicht unbeteiligt war. „Was hab ich nur getan?" fragte Sandrine, während sie sich Kopf schüttelnd setzte. „Du warst sturz besoffen und hast Shelly beschimpft, dass sie Schuld sei, dass ich nicht mehr bei dir bin." Erklärte ich ihr kurzerhand, damit sie wusste, wofür sie sich schämte. „Scheiße, ich ... oh Gott.. Ja, ich kann mich dunkel erinnern... Gott, Franzi... ich..." Sie war nicht fähig, sich aus zu drücken. Ihre Stimme brach ab. Shelly kam wieder heraus und stellte ihr eine Tasse hin. „Danke." kam es nur kleinlaut aus Sandrine. „Ich lass euch mal alleine. Madlin hat angerufen, ich ruf sie eben zurück." erklärte Shelly und machte sich daran, wieder rein zu gehen. Die Stimmung war unerträglich gespannt und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich war überfordert mit der ganzen Situation. Meine beste Freundin war die Frau an gegangen, die ich liebte. Nie hatte ich einen solchen Zerriss in mir verspürt. Ich saß einfach da und bekam kein Wort aus mir heraus. „Shelly bitte,... „stammelte Sandrine „bleib bitte hier. Ich möchte mit euch beiden sprechen." Shelly blickte auf ihr Handy und wieder zu Sandrine. Sie ließ sich einen erstickenden Moment zeigt, die Entscheidung zu treffen, zu bleiben oder zu gehen. Ich spürte meine Erleichterung, als sie sich ohne weiteren Kommentar dazu setzte. „Sandrine, ich will jetzt wissen was los ist. Seit dem du hier angekommen bist, gehst du mir immer wieder aus dem Weg. Warum sprichst du nicht mit mir?" fragte ich sie eindringlich und hielt die Tränen mit aller Macht fest, die sich auf den Weg an die Oberfläche gemacht hatten. Sie rang um Worte, suchte nach Formulierungen. Shelly nippte, ohne ein Mal auf zu Blicken, unaufhörlich an ihrer Kaffeetasse. Ihr Handy immer noch griffbereit, um jeder Zeit abbrechen zu können, wenn sie dem Gespräch nicht mehr folgen wollte. „Ich ...Shelly, es tut mir unendlich leid. Ich wollte das nicht sagen. Und ja, als Franzi weg gegangen ist, gab es einen Moment, in dem ich dich gehasst und verflucht hatte. Für mich war es ein sehr großer Verlust sie gehen zu lassen. Franzi, ist mir immer eine treue Begleiterin in allen Lebenslagen gewesen und jetzt stehe ich da und weiß nicht wo ich hin gehen soll." „Aber war kann ich dafür? Sie hat sich entschieden hierher zu kommen." entgegnete Shelly ihr, wie eine unschuldig Gefangene, die um Gnade ersuchte. „Das weiß ich doch Shelly. Mein Kopf weiß das, aber es tut eben auch weh. Was es für mich wirklich schwer macht, ist, dass ich dich verdammt gern habe. Du bist so ein toller Mensch und du machst sie so unendlich glücklich. Was könnte ich mir mehr für meine Freundin wünschen? Nichts. Sie ist richtig hier und ihr seit zu beneiden. Bitte verzeih mir den Blödsinn von heute Nacht und versprich mir, dass du meiner Franzi den Himmel auf Erden bereitest. Das hat sie verdient." Schweigen legte sich über uns. Jetzt war Shelly am Zug und ich beobachtete gebannt, ob sie sich wieder öffnen würde. Shelly sah Sandrine eindringlich an, stand langsam und ohne jegliche Mine zu verziehen auf und trat ihr sehr nahe gegenüber. Sandrine schien bereits den Schädel ein zu ziehen, während ich die Luft anhielt und mich fragte 'Sie wird doch nicht'... . Als Shelly Sandrine dann auch noch am Kragen hoch zog, war ich vollends auf Absprung. Das konnte nicht sein, Shelly würde doch nicht auf sie los gehen. Tiefe Blicke trafen aufeinander und ich war nur Zuschauer in einem gruseligen Krimi. „Ich hab dich verdammt noch mal auch gerne und ich wenn du mich nicht sofort umarmst, wirst du dich heute ums Frühstück kümmern müssen." Sandrine und auch mir war der Atem so sehr ins Stocken geraten, dass wir im ersten Moment nicht registrierten, was Shelly da gesagt hatte. Erst als sie das Lachen anfing, entspannte sich die Situation und die beiden umarmten sich herzlich. „Hey, ich bin auch noch da." meuterte ich und holte mir auch eine Umarmung ab. „Was ist das mit dem Alkohol?" fragte ich direkt auf sie zu. Das war Sandrine nun mehr als unangenehm. „Was meinst du." fragte sie verschämt. „Ich habe den Eindruck, du trinkst sehr viel." sagte ich ohne Umschweife. „Ich nun ja, hin und wieder." versuchte sie zu beschwichtigen. „Was war in der Tüte, in die ich an dem Morgen, als du einkaufen warst, nicht reinschauen durfte? Hast du darin Alkohol versteckt?" fragte Shelly ebenfalls sehr direkt. Wir ließen Sandrine keine Möglichkeit für Ausflüchte. Sie versuchte sichtlich dem Thema aus dem Weg zu gehen. Aber dann packte sie doch noch aus. „Als du weg warst, konnte ich nicht ertragen, dass die Einsamkeit mit Brutalität zu geschlagen hatte. Ich konnte mich nicht mehr ablenken. Es ist ein einziger Schmerz und unglaublich viel Trauer. Der Mensch ist mehr Gesellschaftstier, als ich es vorher vermutet hätte. Ich stürzte mich in eine bescheuerte und übertriebene Partnersuche. Ich habe mich in sämtlichen Partnerbörsen angemeldet und mich ins Nachtleben gestürzt. Ich konnte nicht mehr verstehen, wie ich unter so vielen Menschen so einsam sein konnte. Einen Abend nahm ich einen Typen mit nach Hause. Ich weiß nicht mal, wie er hieß. Er hat sich auf mir amüsiert und es widerte mich einfach nur an, sein Stöhnen zu hören, ihn zu riechen. Ich fühlte mich beschmutzt. Ich war entsetzt über mich selbst, dass ich mich so leichtfertig in eine mögliche Gefahr gebracht hatte. Ich habe ihn danach raus komplementiert, was zu meinem Glück problemlos ging. Ich machte mir eine Flasche Wein auf. Ich habe mich unter die Dusche gesetzt und das Wasser über mich laufen lassen, während ich mich mit der Flasche Wein zu dröhnte. Ich weinte, lachte, zog mich an. Tanzte, erinnerte mich an dich, weinte wieder. Aber vor allem konnte ich unglaublich gut schlafen. Ich schlief tief und fest ohne jeglichen Traum. Seit langem die erste Nacht, in der mit das gelungen war. Seit dem mache ich es immer mal wieder, nicht jeden Tag. Ich will dann einfach nur abschalten, nichts spüren, nicht denken. Als ich hierher kam, brach mein eigenes Leben wie ein Kartenhaus über mir zusammen. Ihr seit so glücklich miteinander und das sieht man auf einen Kilometer Entfernung. Ja, ich beneide dich, Franzi, dass du die wahre Liebe gefunden hast. Zumindest sieht es für mich so aus. Ich wollte mir einfach den Schmerz weg dröhnen. Es war unglaublich dumm. Entschuldigt bitte. Es tut mir wahnsinnig leid." Shelly und ich tauschten betretene Blicke. Ich erinnerte mich, was Shelly mir erzählt hatte, von ihrem Drogenkonsum. „Sandrine," ergriff ich das Wort. „ich kann verstehen, wie du dich fühlst und was du durch machst. Ich kann dir das alles nicht nehmen. Ich kann nur für dich da sein und das bin ich, dass weißt du. Auch wenn ich physisch nicht da sein kann. Bitte hör auf damit und wenn du das alleine nicht mehr schaffst, dann lass dir bitte helfen. Ich will dich nicht verlieren, hörst du?" die letzten Worte erstickten beinahe in meinem Hals und ich zog sie an mich und umarmte sie. Shelly stand auf und umarmte uns mit. Wir hielten uns zu dritt. Sie nahm Sandrines Kinn, dass vor Tränen triefte. Sie schluchzte und weinte. „Hör auf mit dem scheiß. Dein Leben ist zu kostbar, um es weg zu werfen. Du findest jemand. Bestimmt." sagte sie ihr eindringlich und sie nickte betrübt. „Mädels, ich weiß nicht wies euch geht, aber ich kümmere mich jetzt mal ums Frühstück." Wir nickten ihr zu. Ich wendete mich wieder zu Sandrine und nahm ihren Kopf in meine Hände: „Geht es dir jetzt besser?" fragte ich sie. Sie nickte: „Ja, ich schäme mich sehr, aber es hat gut getan, das mal offen und ehrlich an zu sprechen. Danke, für dein Verständnis." „Ich hab dich lieb, vergiss das nicht." schärfte ich ihr ein und brachte sie damit zum Schmunzeln. „Ich dich auch." antwortete sie kleinlaut.

„Mädels?" rief Shelly aus der Küche. „Wollen wir Morgen Abend mit Madlin, Matthew und Ron Essen gehen, als Dreh Abschluss? Habt ihr Lust?" Ich sah fragend zu Sandrine und überließ ihr die Wahl. „Klar, machen wir." antwortete sie Shelly, die mit einer Hand mit Madlin alles weitere besprach und mit der anderen den Tisch deckte. Diese Szenerie hatte was von Multitasking Hausfrau. Wir blieben in der Tür stehen und kicherten über ihren Balanceakte. Es war einfach köstlich. Als sie auflegte, erblickte sie uns und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Ach so ist das, ich schufte und ihr amüsiert euch?" „Gute Idee würde ich sagen." lachte ich. Natürlich halfen wir ihr und genossen die ausgelassene Stimmung.

©lialight

Meet and love 2 (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt