Malik wusste um sein Ende. Er wusste um seinen Fehler, noch während er ihn begann. Und er wusste um dessen Konsequenzen. Nicht nur sein eigener Tod war durch seine Taten besiegelt worden, sondern auch der seiner Verbündeten und gleichzeitig engen Freunden. Sie alle verließen sich aufeinander. Stark sein konnten sie nur gemeinsam. Und er hatte alles wofür ihr Bündnis so lange gekämpft hatte in wenigen Sekunden ruiniert. Wie lange würde es dauern, bis die Späher des Dunklen Königs von dem seltsamen Ereignis hörten, welches in den Medien als plötzliches Erdbeben gehandelt wurde? Wie lange würde es dauern, bis sie ihn dahinter erkannten? Wie lange würde es dauern, bis sie ihn holen kamen?
Er wusste es, ihm blieben höchstens zwei Tage. Jetzt durfte er keine wertvolle Sekunde untätig verstreichen lassen. Vorbereitungen mussten getroffen werden. Er musste die anderen warnen, das war er ihnen schuldig. Trübes Sonnenlicht drang durch die dichten Vorhänge seines kleinen Apartments, nahe des großen Basars in Istanbul, und versuchte es mit der gleichen sengenden Hitze zu erfüllen, die in den Straßen der Stadt herrschte. In einer Ecke des kleinen Zimmers stand ein Tisch. Malik nahm sich Stift und Papier und setze sich, bereit seine letzen Briefe zu schreiben. Auf dem Tisch lagen noch die Überbleibsel seiner letzten Mahlzeit. Gebratenes Hackfleisch mit Aubergine und Reis in einer pikanten Soße. Die hervorragende Küche war einer der Gründe, weshalb er dieses Land als sein Versteck gewählt hatte. Doch trotz all der Vorzüge, die das Land bot, hatte er mit der Zeit begonnen sich einsam zu fühlen, unendlich Einsam. Und je größer seine Einsamkeit wurde, desto mehr wuchs auch ein anderes Gefühl mit ihr. Zweifel. Wie war es den anderen ergangen? Wie weit waren sie mit dem Übersetzen des Buches gekommen? Würde ihr Plan aufgehen? Oder würden sie versagen? Wie weit waren ihre Feinde ihnen schon auf den Fersen? Fragen über Fragen wirbelten durch seinen Kopf und machten es ihm unmöglich zur Ruhe zu kommen. Und mit den Fragen kam auch die Angst. Sie schlug ihre Krallen in sein Herz und ließ es ihm so schwer werden, dass er sich mit Alkohol ertränkte bis von seiner selbst kaum noch etwas übrig war. Es war immer nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er die Kontrolle über alles verlor. Beschämt saß er mit gebeugten Schultern am Tisch, sich deutlich bewusst, dass er das schwächste Glied war, das die anderen in den Abgrund gezogen hatte.
Doch für solche Schuldgefühle war jetzt keine Zeit. Mit einer hartnäckigen Bestimmtheit schob er die Teller beiseite und breitete vier unbeschriebene Blätter auf dem Schreibtisch aus. Kurz saß er da, den Blick starr auf die leeren Seiten gerichtet, offensichtlich nach Worten suchend. Dann griff seine Hand nach dem Stift und mit einem seufzen begann er zu schreiben.
Ich bin gescheitert,
mein Versteck wurde enttarnt.
Zögert nicht, lasst keine Zeit verstreichen.
Ihr müsst sofort fliehen.
Ich habe unser aller Leben auf dem Gewissen.
Bitte vergebt mit mein Versagen.
Malik
So beschriftete er drei der vier Seiten und verteilte sie in Briefumschläge, welche er mit den Adressen seiner Freunde beschriftete. Es war das erste Mal in all den Jahren, dass sie Kontakt zueinander aufnahmen. Jeder hatte sich die Adressen der anderen ins Gedächtnis gebrannt, doch wir durften diesen Weg nur im absoluten Notfall benutzen, man konnte nie wissen wem die Briefe in die Hände fielen.
Beim vierten und letzten Brief angelangt, musste er etwas länger überlegen. Es war wichtig dem Leser die wichtigsten Informationen zu geben und gleichzeitig alles so vage zu halten, dass es ein dritter, ungewollter Leser nicht verstehen konnte.
Nach etwa einer Stunde hatte er auch den letzten Brief beendet. Er befeuchtete den Briefumschlag mit seiner Zunge und verschloss ihn. Draußen ertönte deutlich vernehmbar der Gebetsruf, der die Gläubigen zum Abendgebet aufrief. Obwohl der Tag sich dem Ende neigte, stand die Sonne noch hoch am Himmel. Doch mit dem immer näher rückenden Ende des Tages würde auch die Dunkelheit kommen. Und so wie die Sonne immer mehr am Horizont verschwand, so verstrich auch seine Zeit auf dieser Erde.
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Daughter of Ash and Flames
FantasyEine geheime Prophezeiung. Ein uraltes Erbe. Ein erbarmungsloser Herrscher auf dem Gipfel seiner Macht. Eine letzte Chance auf Freiheit. Und eine Liebe gefangen zwischen Verrat und Hass. Ein tragischer Unfall reißt Camillas Mutter zu früh von ih...