Kapitel 32

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Ewig schon rannte er durch die Straßen, rannte durch die Dunkelheit, rannte durch kalten Regen. Finden konnte er sie nicht.

Er schrie ihren Namen. Schrie ihn immer und immer wieder.

Doch finden konnte er sie nicht.

Sie war fort. Er hatte sie verloren. Endgültig verloren.

Seine Lunge brannte vor Schmerzen und das Atmen viel ihm schwer.

Er hatte sie verloren.

Seine Beine gaben unter ihm nach und er sank mit den Knien auf den kalten, nassen Boden.

Wasser umströmte seine Beine.

Heiße Tränen liefen ihm über das Gesicht und vermischte sich mit dem kalten Regen.

Er hatte versagt, hatte es nicht geschafft sie zu beschützen und jetzt schaffte er es nicht sie zu retten.

Sein falscher Stolz, seine unbegründete Angst vor ihrer Nähe, seine kalte Abweisung, all das bereute er jetzt zutiefst.

Er war blind gewesen. Hatte blind sein wollen. Nun bekam er seine gerechte Strafe.

Er hatte sie nicht bei sich haben wollen, hatte sich eingeredet sie sei ihm gleichgültig.

Jetzt war sie fort.

Für immer verloren.

Und er wünschte sich nichts sehnlicher als sie zurück zu bekommen.

Laut schrie er all seine Verzweiflung in die Nacht hinaus.

Schrie immer und immer wieder.

Dass die Menschen begannen verwirrt aus dem Fenster zu sehen, interessierte ihn nicht.

Er wollte nur dass der Schmerz endlich ein Ende findet.

Beinahe wäre ihm so der Schatten entgangen, der in das Licht der Straßenlaterne fiel.

Zuerst sah er ihn verwirrt an, ohne zu begreifen.

Doch langsam wanderte sein Blick an der Laterne hinauf.

Dort saß sie.

Schwärzer als selbst die dunkelste Nacht es sein konnte.

Die Krähe des dunklen Herrschers.

Durchdringend sah sie ihn an.

Sie war mit der Botschaft ihres Meisters zurückgekehrt.

Und sie würde ihn auf direktem Wege zu Camilla führen.

Als das Tier seine Flügel ausbreitete um in die Nacht hinein zu fliegen, rannte er los.

Neue Hoffnung hatte ihn mit Kraft erfüllt.

Er würde sie finden.

Er würde sie retten.

Es war schwierig die Krähe in der Dunkelheit zu verfolgen, anfangs flog sie niedrig und ihr Schatten wurde immer wieder in den Lichtkreis der Straßenlaternen geworfen.

Irgendwann jedoch flog sie über die Dächer der Stadt hinweg.

Als er über eine Feuertreppe auf das Dach eines Hauses gelangte, hätte er sie beinahe aus den Augen verloren.

Doch er war kein gewöhnlicher Mensch.

Seine Kräfte bescherten ihm ebenfalls stärkere Sinne als sie bei normalen Menschen vorhanden waren.

Dadurch dass die Krähe immer in Bewegung blieb, hob sich ihr Schatten aus der Dunkelheit empor und sie blieb für ihn immer sichtbar, wenn auch nur leicht.

Doch mehr konnte er sich nicht wünschen.

Es war bereits ein Wunder, dass sie seinen Weg gekreuzt hatte.

Doch er glaubte nicht an Wunder.

In der momentanen Situation jedoch fehlte ihm die Zeit darüber nachzudenken.

Nach wenigen Minuten ging die Krähe in einen steilen Sturzflug.

Er musste sich bereits ganz in der Nähe des Verstecks befunden haben.

Das würde erklären, warum er der Krähe begegnet war.

Zumindest zu einem gewissen Teil.

Vom Dach des Gebäudes aus konnte er gerade noch erkennen, wie sie durch einen schmalen Spalt in einer Tür verschwand.

Hier gab es keine Treppe und so machte er sich an einen langsamen, beschwerlichen Abstieg.

Die alte Hauswand bot seinen Händen und Füßen genug Halt für den Abstieg, doch durch den lange anhaltenden Regen war der kalte Stein so rutschig geworden, dass seine Hände und Füße immer wieder den Halt verloren.

Er musste geduldig und vorsichtig sein, doch er konnte spüren, dass sie Zeit drängte.

Camilla war in großer Gefahr.

Er konnte nicht sehen wie viele Meter es unter ihm hinunter ging, doch er ließ sich einfach fallen.

Der Aufprall presste ihm die Luft aus dem Körper, doch ohne Zögern stand er auf und ging weiter.

Die Tür stand einen Spalt weit offen.

Es war beinahe eine Einladung einzutreten. Kurz wurde er misstrauisch. Was wenn es eine Falle war? Doch dann warf er alle Zweifel über Bord und ging hinein.

Drinnen erkannten seine geschärften Augen eine schmale Treppe und ein bekannter Gestank nach Verwesung wehte ihm entgegen.

Er wusste bereits was ihn dort unten erwartete.

Dennoch ging er.

Daughter of Ash and Flames Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt