Kapitel 18

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Starke Hände rüttelten sie sanft wach. Vor ihren Augen war alles verschwommen. Jemand beugte sich über sie, doch sie konnte ihn nicht erkennen. Sie sah nur zwei grüne Augen, die sie besorgt anblickten und eine sanfte Stimme die ihren Namen rief. Sie kannte diese Stimme. Woher nur kannte sie diese Stimme? Sie konnte sich nicht konzentrieren, keinen klaren Gedanken fassen. Ihr Kopf dröhnte und ihre Augen fühlten sich an als wollen sie aus ihren Augenhöhlen hervorquellen. Von irgendwoher ertönte Lärm. Jemand rief ihren Namen. Ihr Vater? Die Gestalt über ihr verschwand und sie sah nur einen verschwommenen Schatten durch das Fenster huschen. Als die Gestalt im Fensterrahmen stehen blieb um sich ein letztes Mal zu ihr umzudrehen, sah sie ein paar geschwungene Lippen. Als nächstes tauchten die besorgten Gesichter von Señora Comez, ihrem Vater und Señor Pérez vor ihr auf. „Oh mein armes Kind was ist nur geschehen. Lieber Gott geht es dir gut? Wir haben uns solche Sorgen gemacht in deinem Zimmer ist etwas explodiert. Überall war Licht. Oh welch Schrecken!"

Unter diesem Wortschwall hoben die drei sie auf die Couch, bedeckten ihre Stirn mit kalten Tüchern und ließen sofort einen Arzt kommen. Erst nachdem dieser versichert hatte, dass ihr nichts weiter fehle und ausdrücklich betont hatte welches Glück sie begleitet hatte und sie jetzt nur eine Menge Ruhe brauchen würde, beruhigten sich die Gemüter und die beiden Nachbarn verließen das Haus. Zurück blieben ihr Vater und sie, der ihr zu ihrer Erleichterung nicht mit weiteren Fragen in den Ohren lag, welche sie ohnehin nicht hätte beantworten können, sondern sie alleine im Wohnzimmer ließ und sich in die Küche zurückzog um etwas für sie zu kochen. Zum ersten Mal seit ihrem Erwachen konnte Camilla tief durchatmen und das Geschehene überdenken. Wie vom Blitz getroffen sprang sie auf und rannte in ihr Zimmer. Die Möbel waren größtenteils zerstört und es herrschte das reinste Chaos. Sämtliche Gegenstände waren durch den Raum verteilt. Doch so sehr sie auch suchte, das Buch konnte ich nirgends finden. Es war weg.

*

Aus der Ferne, versteckt über den Dächern Sevillas, beobachtete er das Kommen und Gehen des Arztes. Er untersuchte Camilla eine lange Zeit doch als er ging, sah sein Gesichtsausdruck nicht besorgt aus. Gerne wäre er näher an das offene Zimmerfenster heran gekommen und hätte die Worte des Arztes belauscht um sich gänzlich zu vergewissern, doch das durfte er nicht riskieren.

Camilla hatte ihn bereits gesehen, der Schaden war nun angerichtet und er konnte nur hoffen, dass sie ihn nicht mit den Geschehnissen von gestern Nacht in Verbindung brachte.

Auch wenn er jetzt beinahe sicher war, dass sie keine Gefahr darstellte, wollte er doch seine Tarnung nicht auffliegen lassen. Voreiliges Handeln war niemals von Vorteil. Kühles, kalkuliertes Vorgehen war seine Art die Dinge anzupacken. Bisher hatte ihm das so einige Schwierigkeiten erspart. Doch bei ihr war alles anders.

Er war anders. Zumindest fühlte er sich so.

Seit er sie gestern Nacht das erste Mal berührt hatte, das erste Mal in ihre Augen geblickt hatte, war er wie gefesselt. Es war als bestünde eine Band zwischen ihnen, eine unsichtbare Verbindung von einem Ausmaß welches er nie vorher gespürt hatte.

Sie hatte seine Welt erschüttert. Und doch wusste sie kaum von seiner Existenz. Der Weg den seine Gefühle einschlugen missfiel ihm. Er hatte sich ein Leben als Außenseiter ausgesucht. Es war ein Leben welches ihm gefiel. Er wollte sich nicht zu einer Fremden hingezogen fühlen, die nicht einmal wusste wer er war. Wollte nicht, dass sein altes Leben wie er es kannte aus den Fugen geriet. Wollte nicht ihr Leben retten und den Helden für sie spielen, während sie nicht einmal seinen Namen kannte.

Was er heute getan hatte, war bereits ein großer Fehler gewesen, der nicht wieder gut zu machen war. Er hatte seine Tarnung aufgegeben und sich einen offenen Kampf geliefert. Jetzt wussten sie von seiner Existenz und ER würde es auch bald wissen. Ab jetzt würde er zu sehr damit beschäftigt sein, sein eigenes Leben zu retten.

Für andere Menschen war kein Platz.

Dennoch, oder gerade deswegen, viel es ihm schwer sich abzuwenden und sie hinter sich zu lassen. Sie nicht zu beschützen. Sich nicht über ihren Zustand zu vergewissern. Nicht mit ihr verbunden zu sein.

Doch er war nun einmal wer er war. Oder wer er entschieden hatte zu sein. Damit das so blieb, drehte er sich um und ging. Er würde die Stadt verlassen. Seine Mission war gescheitert. Jetzt ging es nur noch um Schadensbegrenzung und dafür musste er gehen.

Und mit ihm ging die Chance zu erfahren, welche Rolle er in dieser Geschichte spielte oder noch hätte spielen können. Und zurück blieb nicht einmal sein Name.

*

Viele ereignislose Stunden vergingen. Dunkelheit legte sich wie ein Mantel über die Stadt. Camilla schlief einen tiefen Schlaf. Einen der Sorte, wie ihn nur besonders erschöpfte Menschen schlafen können.

Unser namenloser Fremder hatte den Schauplatz des Geschehens verlassen und seinen Platz in unserer Geschichte vorerst aufgegeben. Sein Versteck lag leer und verlassen im Dunkeln. All sein Hab und Gut in einem einzigen kleinen Beutel über die Schultern geschnallt, trugen seine Füße ihn immer weiter an den Stadtrand.

Señor Sanchez stand eine Weile vor der Zimmertür seiner Tochter, in den Händen ein Tablett auf dem sich ein Teller Suppe befand und ein Stück Brot, und lauschte dem gleichmäßigen Atmen seiner Tochter, bevor er sich abwand und entschied sie weiter ruhen zu lassen.

Zwei Stockwerke tiefer saß Señora Comez gemeinsam mit dem alten Señor Perez in ihrem Wohnzimmer bei einer Tasse Tee. Mit einem kleinen Feuer im Kamin lodernd um die Kälte zu vertreiben und spielte eine Partie Karten. Es war ein ruhiges Spiel, ohne viel Konversation, doch es half beiden sich von den trübsinnigen Gedanken über das Geschehene abzuwenden.

Und so scheint es, dass an diesem Punkt unsere Geschichte stillsteht. Das keine Figuren mehr auf dem Brett geblieben sind um das Spiel voran zu treiben.

Doch lässt der Leser seinen Blick hinfort wandern von dem Szenario hin zu einem Anderen, welches sich einige hundert Meter weiter südlich befindet, so kann er feststellen, dass die Geschichte tief unter der Stadt in verzweigten Korridoren und Kellerräumen ihren Lauf nimmt und auf einen düsteren Pfad gelenkt wird.

 

Daughter of Ash and Flames Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt