Kapitel 28

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Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Marianne gab ihr Zeit ihre Gedanken zu sammeln und drängte sie nicht zu einer Antwort.

Camilla war froh über die Gesellschaft des Mädchens. Nach all der Zeit, die sie alleine in diesem Kellerloch verbracht hatte, freute sie sich über die Hilfsbereitschaft, die diese ihr entgegen brachte.

Alleine hätte sie den jüdischen Friedhof nur schwer gefunden. In diesen Teilen der Stadt war sie noch nie gewesen. Er wirkte düster und verlassen.

Nach einigen Metern fühlte Camilla sich bereit und erzählte ihre Geschichte. Sie offenbarte dem Mädchen nicht alle Ereignisse der letzten Tage. Alles Übernatürliche ließ sie aus. Doch sie sprach mit ihr über ihre Verfolger, den Tod des Mannes, der für sie wie ein zweiter Vater war und über den seltsamen Kerl, der sie gefangen gehalten hatte und zu dem sie sich entgegen aller Vernunft hingezogen fühlte.

Es tat gut mit jemandem über all die Dinge zu reden, die ihr seit Tagen im Kopf umher schwirrten.

Marianne war eine gute Zuhörerin und obwohl Camilla sich anhören musste wie eine Verrückte, nickte sie nur verständnisvoll und bedeutete ihr fortzufahren. Vor einigen Tagen hätte sie sicherlich noch Bedenken gehabt sich einer Fremden so zu offenbaren, doch da in ihrer Welt jeder ein Fremder geworden war, würde dies nun auch nicht weiter ausschlaggebend sein.

Am Ende ihrer Erzählung fühlte Camilla sich zugleich erschöpft, jedoch auch befreit und um eine große Last erleichtert.

"Davon habe ich schon mal gehört" war alles was Marianne sagte, was ihr dieses Mal von Seiten Camillas einen fragenden Blick einbrachte.

"Na dass Frauen sich in ihre Entführer vergucken, dafür gibt es sogar einen Namen. Besonders wenn es sich dabei um so süße Sahneschnittchen handelt wie aus deinen Erzählungen."

Marianne begann loszuprusten und bald konnten beide Mädchen sich nicht länger zurückhalten und lachten laut los.

Wie lange sie nicht mehr so von Herzen gelacht hatte, wusste Camilla nicht. Es musste eine Ewigkeit her sein.

"Nein aber ernsthaft, es tut mir leid, dass du einen geliebten Menschen verloren hast" sagte sie mit tröstender Stimme und strich Camilla mit einer aufmunternden Geste über den Rücken.

Den Rest des Weges erzählte Marianne einiges aus ihrem Leben und lenkte sie so weiter von den düsteren Gedanken ab, die sie einzuholen drohten.

Marianne war das Älteste von sechs Kindern, was die Reife erklärte, mit der sie auftrat.

Ihre Familie war sehr arm und seit ihr Vater schwer krank war, war es für sie alle noch schwieriger geworden.

Sie und ihr jüngerer Bruder Daniel gingen nach der Schule schwarzarbeiten um ihre Mutter zu unterstützen, die ihr Geld hauptsächlich als Putzfrau in Hauhalten älterer Menschen verdiente.

Heute war ihr freier Tag, Sonntag wie sie Camilla verriet, und sie nutzte ihn indem sie mit Diego um die Häuser zog.

Freunde hatte sie keine, denn in der Schule wurde sie von den anderen aufgrund ihrer schlechten Kleidung und ihrem schmutzigen Äußeren gemieden.

Nach der Schule arbeitete Marianne bis zum Abend und in der Nacht, wenn ihr dann noch Kraft blieb, versuchte sie sich an ihren Hausaufgaben. Meistens jedoch, sagte sie, musste sie sich um ihre jüngeren Geschwister kümmern, da die Mutter alle Hände voll zu tun hatte mit der Pflege ihres Vaters.

Trotz dieser schwierigen Situation hatte Marianne sich ihre frohe Natur und ihr aufgeschlossenes, optimistisches Wesen bewahrt. Camilla bewunderte das sehr. Für die Zukunft wollte sie sich Marianne als Vorbild nehmen. Auch sie würde stark sein, egal was noch auf sie zukommen mochte.

Daughter of Ash and Flames Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt