Kapitel 39

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Als Camilla am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich tatsächlich viel ausgeruhter. Durch Mirels Salben waren viele ihrer Wunden schon fast wieder verschlossen. Er hatte ihr unter keinen Umständen zeigen wollen, was er alles hineingemischt hatte.

Camilla war froh, wie es nun zwischen ihnen stand und doch standen so viele Fragen und Geheimnisse zwischen ihnen, dass es sich in einigen Momenten anfühlte wie eine große Backsteinmauer.

Als sie sich zu ihm umdrehte, stellte sie fest, dass sie sich alleine in dem Raum befand. Er musste gegangen sein als sie noch geschlafen hatte. Fragend schaute Camilla sich um, konnte jedoch nirgends eine Notiz oder Ähnliches von ihm finden.

Als sie die Tür öffnen wollte, war diese fest verschlossen. Ein schwerer Stein setzte sich in Camillas Magen ab und ließ sie kaum noch Luft bekommen. Sie musste sich setzen, da ihre Beine ihr sonst wohlmöglich den Dienst verweigert hätten.

Sie war hier drinnen eingesperrt und dazu verdammt zu warten, bis er beschloss zurückzukommen und sie hier rauszulassen. Begriff er, was er ihr damit antat? Sie hier hilflos und abhängig zurückzulassen. Sollte ihr Leben von nun an so aussehen? Das konnte sie nicht hinnehmen.

Die ganze Zeit über versuchte sie sich zu beruhigen, sich einzureden, dass Mirel es nicht bewusst getan hatte, dass er einfach nicht nachgedacht hatte und es einen guten Grund für sein verschwinden geben würde.

Doch es gelang ihr nicht.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde hörte sie endlich Schritte vor dem Fenster. Kurz darauf hallten die Schritte durch den Flur vor der Tür und endlich ertönte das lang ersehnte Klicken, als sich der Schlüssel im Schloss drehte und die Tür entriegelt wurde.

In eben jenem Moment konnte Camilla zum ersten Mal wieder richtig atmen. Doch mit der Luft strömte auch die Wut wieder in ihren Körper und sie stürzte sich auf Mirel noch bevor dieser richtig zur Tür hineinkommen konnte.

„Wo bist du gewesen? Du hast mich eingesperrt und hier zurückgelassen."

Sie konnte selber hören wie hysterisch ihre Stimme dabei klang. Für einen Moment sah sie Mirel wieder als das was er war. Ein Mann der ihr das Leben gerettet hatte. Und dennoch ein Mann der sie ebenfalls verfolgt, belogen und eingesperrt hatte. Ein Fremder. Was wusste sie über ihn?

Doch im nächsten Moment fasste er sie behutsam an den Schultern und strich sanft mit seinen Daumen über ihre Haut.

„Hey, ganz ruhig. Ich habe uns nur etwas für das Frühstück geholt."

Doch ihre Anspannung blieb auch dann noch, als er ihr sanft einen Kuss auf die Stirn drückte.

Mirel schien das zu bemerken, denn im nächsten Moment zog er etwas in Geschenkpapier eingeschlagenes aus der Tasche.

„Ich habe auch eine Überraschung für dich."

Als sie das bunte Geschenkpapier sah und seinen unschuldigen Gesichtsausdruck, verfolg ihre Wut beinahe gänzlich.

Vorsichtig riss sie das Papier auf und zum Vorschein kam ein wunderschönes rotes Kleid. Es hatte breite Träger mit einem Herzausschnitt und reichte ihr knapp bis zu den Knien. Oben war es enganliegend und zum Rock hin weitete sich der Stoff und würde sanft ihre Schenkel umspielen.

„Ich dachte, da dein altes Kleid leider nur noch aus Fetzen besteht, brauchst du vielleicht ein Neues. Ich habe es gesehen und musste aus irgendeinem Grund direkt an dich denken."

Behutsam breitete Camilla das Kleid auf der Matratze aus und strich den Stoff glatt.

„Ich dachte wir können uns heute einen schönen Tag miteinander machen. Ich würde gerne mit dir ausgehen. Wie ganz normale Menschen. Wir können Reden und etwas Essen und Spazieren gehen und einfach einmal all die Sorgen vergessen. Was sagst du?"

Zum Schluss hin wurde seine Stimme immer leiser und Camilla konnte die Unsicherheit hören, die dahinter steckte.

Nun konnte sie sich das Lächeln nicht mehr verkneifen und auch an ihrer Wut konnte sie nicht mehr festhalten.

Der Anblick des sonst so selbstsicheren Mirel, wie er mit der Einkaufstüte in der Hand nervös auf den Boden starrt, erweichte ihr Herz.

Mit wenigen Schritten hatte sie die Distanz zwischen ihnen überwunden und warf die Arme um seinen Hals. Lachend fing er sie auf und Camilla stellte sich auf die Zehenspitzen um ihm einen sanften Kuss auf den Mund zu geben.

„Das klingt ganz wundervoll."

„Ich hatte gehofft du würdest das sagen."

Er zog sie noch enger an sich heran und wollte den Kuss intensivieren, doch sie wäre nicht sie selbst gewesen, hätte sie all ihre Bedenken sofort über Bord geworfen.

„Warte" sagte sie und legte ihre Handflächen an seine Brust, um ihn sanft von sich zu schieben.

„Wieso hast du mich eingesperrt?"

„Ich wollte nicht dich einsperren, ich wollte potenzielle Gefahren aussperren."

Doch das genügte ihr nicht.

„Es war schrecklich zu sehen dass du fort bist und mich hinter einer verriegelten Tür zurückgelassen hast. Mirel wir kennen einander kaum. Es ist wichtig dass ich dir vertrauen kann und du mir. Aber um das zu schaffen, müssen wir Rücksicht aufeinander nehmen. Du kannst mich nicht einfach einsperren und gehen und mir nicht sagen wohin du gehst oder wann du wieder kommst. Mein Gott ich habe sogar überlegt, ob du überhaupt wieder kommst."

Bei diesen Worten huschte ein verletzter Ausdruck über sein Gesicht.

Nun zog er sie doch wieder in seine Arme und hielt sie eng umschlungen fest.

„Ich würde dich niemals einfach so zurücklassen. Bitte glaub mit das. Ich wollte nur Frühstück holen gehen. Du brauchtest den Schlaf so dringend, deswegen wollte ich dich nicht aufwecken. Ich hielt es einfach für sicherer hinter mir abzuschließen. Es tut mir leid. Wirklich."

Alles was er sagte klang aufrichtig und doch blieb ein mulmiges Gefühl. Sie wollte weder nachtragend sein, noch die Situation überdramatisieren. Vielleicht war es auch der Stress der vergangenen Tage, der sie empfindlicher gemacht hatte. Doch ein kleiner Rest an Zweifeln blieb.

Mirel musste es in ihrem Gesicht gelesen haben, denn als nächstes legte er die Hände an ihre Wangen und blickte ihr tief in die Augen.

„Sieh mich an. Ich wusste nicht, dass es sich für dich so schlimm anfühlen würde. Sonst hätte ich es nie getan. Ich weiß, dass war gedankenlos und es wird nicht wieder vorkommen. Aber ich mache sowas hier zum ersten Mal. Ich war immer allein. Es gab nur mich und ich musste nie an die Gefühle eines anderen Menschen denken. Aber ich möchte, dass das mit uns funktioniert. Durch dich fühle ich mich endlich wieder lebendig. Du hast den Wunsch nach Einsamkeit in mir restlos weggefegt und mich dafür mit so viel mehr erfüllt. Bitte glaube mir, dass ich alles tun werde um dich glücklich zu machen. Ich möchte für dich da sein. Aber du musst ein wenig Geduld für mich aufbringen, denn ich habe noch unglaublich viel zu lernen auf diesem Gebiet. Doch das kann mir nur mit deiner Hilfe gelingen. Bist du bei mir?"

Wie hätte irgendwer nach diesen herzerweichenden Worten noch wütend sein oder irgendwelche Zweifel hervorbringen können? Sie kamen so tief aus Mirels Herzen und nie zuvor hatte jemand etwas so wundervolles zu ihr gesagt, dass Camilla nicht anders konnte als eine einzelne Träne zu verdrücken, die ihr still über die Wange rann.

Plötzlich fühlten sich seine Arme an wie der sicherste Ort der Welt und Camilla gab sich diesem Gefühl voll und ganz hin.

Sie genoss es mit jeder Pore ihres Körpers. Noch nie hatte sie sich für jemanden so wertvoll gefühlt.

Alle Zweifel waren weggewischt, denn sie wusste nun, dass egal was noch auf sie zukommen würde, sie gemeinsam jedes Hindernis überwinden konnten.


Daughter of Ash and Flames Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt