Kapitel 11

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"Einst, vor langer Zeit war meine Familie sehr wohlhabend. Mein Urgroßvater Yaron Levi Rosenthal hatte sich ein erfolgreiches Geschäft als angesehener Bankier aufgebaut. Einige der reichsten Bürger der Stadt gehörten zu seinen Kunden und er war Investor bei vielen ihrer Projekte. Und weil er eine große Begabung für die Mathematik besaß, dauerte es nicht lange bis viele seiner Kunden ihm ebenfalls die Buchhaltung ihrer Geschäfte anvertrauten. Sein guter Ruf eilte ihm voraus und bald war er auch über die Landesgrenzen hinweg bekannt. Sein Reichtum wuchs und wuchs immer mehr und obwohl kein Ende in Sicht war, so war Yaron Levi Rosenthal immer ein sparsamer und überaus vorsichtiger Mann gewesen. Das Haus in dem die Familie damals lebte, war nicht annähernd so prunkvoll wie es hätte sein können, ja es war sogar eher als schlicht zu bezeichnen. Im Überfluss zu Leben lag ihm nicht und zu jener Zeit war es oftmals nicht gerne gesehen, wenn jüdische Familien ihren Reichtum zu offen zeigten. Zu viele Neider gab es damals, die eine wahre Bedrohung hätten darstellen können. Und genau so sollte es dann auch geschehen."

An dieser Stelle herrschte wieder stilles Schweigen in der Buchhandlung. Señor Rosenthal blickte tief in seine Tasse und schüttelte dabei leicht den Kopf, so als wollte er unliebsame Erinnerungen aus dem Gedächtnis schütteln. Camilla fühlte ihre eigene Anspannung. Stocksteif und mucksmäuschenstill saß sie in ihrem Stuhl und wagte es nicht einmal mit der Wimper zu zucken. Jetzt, das wusste sie genau, würde die Geschichte eine dramatische Wendung nehmen. Auf keinen Fall wollte sie jetzt irgendeine falsche Bemerkung machen, die Señor Rosenthal davon abhielt weiter zu erzählen. Ein Teil von ihr verspürte den Anflug eines schlechten Gewissens, weil sie sich mit solch einer brennenden Neugierde auf jedes seiner Worte stürzte, welche ihm doch ganz offensichtlich so viel Kummer zu bereiten schienen. Doch ein anderer Teil von ihr, ein größerer und mächtigerer, wollte unbedingt und vollkommen ohne jegliche Rücksicht wissen wie diese Geschichte endete. Dafür schämte sie sich schrecklich.

"Señor Rosenthal" fing sie vorsichtig an die Stille zu unterbrechen. "Sie müssen mir das alles nicht erzählen, wenn sie sich nicht wohl dabei fühlen."

Sie wollte zumindest versuchen gegen ihre Neugierde anzukämpfen, auch wenn sie es sobald sie die Buchhandlung verlassen hatte bereuen würde.

Einen kurzen Moment blickte er von seiner Teetasse auf und schaute direkt in ihre Augen.

"Camilla mein hübsches Kind, ich kenne dich und deine Familie seitdem du ein kleines Mädchen warst. Am Totenbett deiner Mutter gab ich ihr mein letztes Versprechen deinen Vater mit allen mir möglichen Mitteln zu unterstützen und auf dich zu achten, bis du soweit bist selber auf dich acht zu geben. Seitdem habe ich dich geliebt wie die Tochter, die ich niemals hatte. Morgen ist dein achtzehnter Geburtstag. Du bist jetzt erwachsen. Und allmählich beginnt die Zeit, in der du bestimmte Dinge erfahren musst. Wichtige Dinge. Heute machen wir einen Anfang".

Camilla wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Von was für Dingen sprach er, die sie erfahren musste? Fragen über Fragen überschlugen sich in ihrem Kopf. Es waren so viele, dass sie nicht wusste mit welcher sie anfangen sollte. Noch nie zuvor hatte Señor Rosenthal so offen über ihre Mutter geredet. Oder über seine Familie.

Sie spürte, dass hier und jetzt ein wichtiges Gespräch stattfand, ein kleiner Stein, der ins Rollen gebracht wurde und eine ganze Lawine mit sich ziehen würde. Doch sie verstand nicht weshalb.

Bevor sie jedoch dazu kam etwas zu sagen, setzte Señor Rosenthal seine Geschichte fort.

"Um das viele Geld sinnvoll anzulegen, sammelte mein Urgroßvater wertvolle Gegenstände. Er ließ den Keller unter dem Haus sehr großzügig ausbauen und so entstand dort ein Lager für Sammlerstücke und Seltenheiten aus aller Welt. Schmuck, Diamanten, Gemälde und hauptsächlich Bücher. Wissen war für ihn der größte Schatz von allen und er verfolgte das ehrgeizige Ziel seiner Familie eine großen Bibliothek zu hinterlassen. Durch seine interkantonalen Beziehungen zu Geschäftsmännern, Diplomaten und Aristokraten gelang es ihm in wenigen Jahren hunderte wertvolle Bücher zu ergattern. Die genaue Zahl war niemandem außer ihm selber bekannt. Seine gesamte freie Zeit verbrachte er in seinem Keller und vertiefte sich in seinen Schätzen. Doch irgendwann war seine Gier nach neuen Besitztümern zu groß geworden und das Unglück ließ nicht lange auf sich warten. So kam es, dass eines Tages ein junger Lord aus England Yaron Rosenthal aufsuchte und ihn um einen großen Kredit für sein Bauprojekt bat. Zuerst lehnte er ab, denn das Risiko war ihm zu hoch. Doch der junge Lord hatte seine Hausaufgaben gut gemacht und einige Nachforschungen über meinen Urgroßvater anstellen lassen. Schnell erfuhr er von dessen Leidenschaft und köderte ihn mit dem Versprechen ihm fünf seltene Bücher zu beschaffen. Yaron Rosenthal verlangte eine Anzahlung und so brachte ihm der junge Lord jene Ausgabe von Stolz und Vorurteil, welche du gerade in den Händen hältst. Damit konnte er ihn überzeugen und kurz darauf setzten die beiden einen Vertrag auf. Zu Beginn lief ihr Geschäft gut, doch nach einigen Monaten geriet der Bau ins Stocken. Der junge Lord vertröstete meinen Urgroßvater mit Ausreden um Ausreden. Von den vier versprochenen Büchern hatte er bis zu diesem Zeitpunkt auch noch keines erhalten.

Daughter of Ash and Flames Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt