Zargok schritt in dem dunklen Keller auf und ab. Das Buch befand sich in seinem Besitz. Sein Meister würde sehr zufrieden sein. Das Eingreifen des Anderen jedoch verärgerte ihn. Anfangs hatte er sich über die Gelegenheit gefreut. Zwei von der Sorte an einem Ort anzutreffen war selten. Er hatte sie beide töten und das Buch an sich nehmen wollen. Sein Meister wäre über diesen unerwarteten Glückstreffer sehr erfreut gewesen und Zargok hätte seine Fehler und Rückschläge der Vergangenheit gutmachen und in des Meisters Gunst wieder aufsteigen können.
Doch der Junge war ihm entwischt. Er war stärker gewesen als Zargok es erwartet hatte. Es schien fast als kenne der Junge die Kräfte seiner Spezies und hätte gelernt sich gegen sie zu verteidigen. Am Ende war Zargok nur die Flucht geblieben. Nicht weil er zu schwach war. Sondern weil sein Auftrag lediglich lautete das Buch zu beschaffen. Das hatte er getan.
Desto mehr er darüber nachdachte, desto gewisser war er sich, dass der Junge ihnen nützlich sein könnte. Ein Werkzeug in ihren Händen, wenn sie in die letzte Schlacht zogen. Zu kämpfen um ihrem Meister endgültig die Herrschaft über alle Welten zu sichern.
Der Junge war anders. Wieso hatte er ihn nicht spüren können? Einen Fall wie diesen hatte es noch nie gegeben.
Er musste mit seinem Meister sprechen. Vielleicht war seine Chance auf Wiedergutmachung noch nicht vollständig verloren. Wenn er jetzt eigenständig handelte und einen Fehler beging, würde er mit seinem Leben dafür zahlen. Das wusste er.
In diesem Moment betrat Gargorok den Keller. Die Zusammenarbeit mit Gargorok war ihm von seinem Meister aufgetragen worden. Eigentlich hatte er sein eigenes Team, welches er bei Aufträgen bevorzugte. Doch der Meister wollte es so. Gargorok stand hoch in dessen Gunst. Er war jung und stark und seine Kräfte waren beinahe soweit ausgereift wie die von Zargok. Beinahe.
"Das Mädchen ist Zuhause. Sie ist unbewacht und ein leichtes Ziel. Heute Nacht könnten wir sie uns schnappen. Der Junge ist nicht wieder aufgetaucht. Vermutlich ist er in sein Versteck zurück gekrochen. Aufspüren und abstechen wie ein quiekendes Schwein sollten wir ihn."
Er spuckte verächtlich aus.
Zargok hatte ihm aufgetragen vor dem Haus des Mädchens Posten zu beziehen und zu warten ob der Junge zurückkommen würde. Dann hätten sie ihn verfolgen und sein Versteck ausfindig machen können. Doch er war nicht zurückgekehrt und das Gargorok seinen Wachposten verlassen hatte ohne auf seine Anweisungen zu warten missfiel ihm. Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt für Machtspielchen. Der Moment des Kräftemessens würde noch früh genug kommen.
Es gab andere Probleme zu lösen. "Wir müssen Kontakt zu unserem Meister aufnehmen" sprach er, seine Schritte wieder auf und ab durch den Keller lenkend.
"Wir können nicht gehen und hoffen die beiden würden die Füße still halten bis wir wieder kommen und sich nicht vom der Stelle bewegen" empörte sich Gargorok.
Zargok bedachte ihn mit einem Blick, der Mitleid und Verachtung zugleich ausdrückte.
"Natürlich werden wir nicht gehen. Wir schicken eine Krähe. Wenn wir eine Antwort erhalten haben, können wir handeln."
"Dadurch verlieren wir Zeit. Das Mädchen könnte sich bis dahin bereits in unserer Gefangenschaft befinden und..."
Doch Zargok unterbrach ihn. Von seinen Helfern duldete er kein Widerwort. Gargorok musste diese Lektion noch lernen.
"Du wirst tun was ich dir sage und vorerst sage ich dir, dass du nichts tun wirst. Außer das Mädchen auf Schritt und Tritt zu bewachen und mir Bericht zu erstatten".
Er wartete nicht einmal auf eine Antwort, sondern wandte sich einfach ab und bereitete die Botschaft an seinen Meister vor. Doch als er ging spürte er Gargoroks düstere Blicke in seinem Rücken.
Er lenkte seine Schritte durch die schwarzen Korridore und stieg viele Treppen hinauf, als er eine leichte Brise kühler Nachtluft auf seinem Gesicht spürte.
Er stieß eine schwere Tür auf und trat hinaus in die Nacht. Einige Meter entfernt saß der Wächter, den sie heraufbeschworen hatten. Er würde ihr Versteck während ihrer Abwesenheit bewachen. Zargok lächelte Zufrieden. Das Buch war hier in Sicherheit.
Er blieb stehen und legte den Kopf in den Nacken, den Blick zum Himmel gerichtet.
Mit geschlossenen Augen entsandte er seine Gedanken und streckte seine Fühler immer weiter aus, bis er den Geist einer Krähe spüren konnte. Sobald das Tier in Berührung mit seinen Gedanken gekommen war, konnte Zargok spüren wie es sofort seinem Ruf folgte. Wenige Minuten später landete es auf seiner Hand und nahm die Botschaft entgegen, die Zargok ihm auftrug zu überbringen.
Er berichtete von allen Geschehnissen der letzten Tage und bat seinen Meister um weitere Anweisungen. Dann entsandte er das Tier und verschwand wieder tief unter der Erde.
Die Krähe flog mit schnellen, kräftigen Flügelschlägen über die ganze Stadt, über den Stadtrand hinweg und immer weiter. Irgendwann würde sie plötzlich einfach vom Himmel verschwinden.
So zumindest musste es für unwissende Außenstehende aussehen. Tatsächlich jedoch würde der Vogel nicht einfach vom Himmel verschwinden. Er würde übertreten in eine andere Welt, wo ihn seine Flügel immer näher zum dunklen König tragen würden, um ihm die Botschaft seiner Diener zu überbringen.
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Daughter of Ash and Flames
FantasiEine geheime Prophezeiung. Ein uraltes Erbe. Ein erbarmungsloser Herrscher auf dem Gipfel seiner Macht. Eine letzte Chance auf Freiheit. Und eine Liebe gefangen zwischen Verrat und Hass. Ein tragischer Unfall reißt Camillas Mutter zu früh von ih...