Kapitel 40: Hilf mir doch! (LN)

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Plötzlich ging ein solch gewaltiger Ruck durch die Schublade, dass Stegi durch den Schwung an dem Handy vorbei, bis nach hinten kullerte. Der Inhalt der Schublade flog durcheinander und er wurde von einem Dutzend Stiften begraben. Das grelle Licht auf einmal blendete ihn. Nach einigen Sekunden befreite er sich und blinzelte zögerlich nach oben. Zwei überdimensionierte, riesige Fratzen grinsten auf ihn herab. Es war wie in einem Horrorfilm.

„Na wen haben wir denn da?", sagte einer der beiden mit einer einigermaßen bekannten, aber grässlich verzerrten Stimme.

Stegis Worte blieben ihm im Hals stecken, er war wie in einer Schockstarre.

„Könntest du eben die Kiste herbringen?", sagte nun diese Fratze zu der Anderen, die sich kurz darauf entfernte. Dann zog sich der Riese eine Art weißen Stoffhandschuh an und wenige Sekunden später schoss eine große Hand auf Stegi zu. Er konnte spüren, wie sich die Finger mit festem Griff um ihn legten, wie eine Fessel. Es war schon fast schmerzhaft. So hatte Tim ihn nie angefasst. Dann wurde er kurz darauf aus seinem eben noch so sicheren Versteck gehoben, mit einer unkontrollierten Geschwindigkeit. Hätte er seine Arme bewegen können, er hätte sich vor Übelkeit den Mund gehalten. Vor ihm glühten zwei eisblaue Augen auf:

„Es wird wohl doch Zeit für Programm B."

Dann wurde er fallen gelassen, ein kurzer Angstschrei kam aus seinem Hals, bevor er auf einem gepolsterten Boden aufkam, alles um ihn herum war weiß. Über ihm sah er noch einmal das gruselige Gesicht von eben, dann wurde eine Art Platte über ihm geschlossen. Es war stockdunkel. Scharniere quietschten und verkündeten unverkennbar, dass er eingeschlossen wurde. Jetzt, wo er wieder alleine war, begann Stegis Hirn wieder zu arbeiten und zu verarbeiten, was da gerade passiert war. Sie hatten ihn gefunden, sie hatten ihn aus seinem Versteck gezerrt und hier rein gesteckt. Programm B? Was sollte das heißen? Auf einmal wackelte alles um ihn herum, er verlor das Gleichgewicht und fiel wieder hin. Aber das würde er sich nicht gefallen lassen. Er würde sich einfach vergrößern und die gesamte Kiste sprengen! Er wendete all seine Konzentration auf, die Angst abzuschütteln und es irgendwie auf Wut zu projizieren. Nach kurzer Anstrengung hatte er Erfolg und er spürte, wie seine Knochen anwuchsen. Dann stieß er mit dem Kopf an der niedrigen Decke an und sofort sank er wieder auf seine vorherige Größe zusammen. Die viereckige Box schwankte erneut und er hörte von draußen ein gedämpftes, herablassendes „Netter Versuch."

Stegi war fassungslos. Er konnte sich nicht vergrößern, wenn der Platz nicht ausreichte. Ernsthaft? Was für ein Scheiß war das? Hieß das, er war ihnen jetzt schutzlos ausgeliefert? Erneut machte sich die Angst in Stegi breit. Das Wackeln war nun zu einem gleichmäßigen Rhythmus geworden. Wo auch immer sie ihn hinbrachten, es war sicher kein schöner Ort. Was konnte er denn tun? Panisch tastete er um sich herum, um irgendwas zu finden, das ihm im Moment helfen konnte, aber da war nichts. Die Kiste war, abgesehen von ihm, völlig leer. Er spürte, wie die Angst ihn mehr und mehr lähmte und Hoffnungslosigkeit überkam ihn. Er hatte keine Chance.

„Chef!", hörte er nach einer Weile von draußen eine Stimme, „Chef, wir haben hier einen Besucher. Soll ich ihn wegschicken?"

„Was für einen Besucher?", erwiderte jemand, dessen Stimme sich verdächtig nach dem Doktor anhörte die Frage. Die Geräusche drangen nur gedämpft und undeutlich zu ihm herein.

„So jemand, der meint, er würde zu ihrem Testobjekt gehören."

„Aaah, ich glaube ich weiß, wen sie meinen. Ich kümmere mich darum."

Stegi spürte, wie sich seine Box nach oben bewegte, dann vernahm er ein Stimme deutlicher als vorhin noch und er bekam eine Gänsehaut:

„Da hast du es tatsächlich noch geschafft Hilfe zu holen. Na dann wollen wir ihn mal zusammen begrüßen, richtig?"

Stegi verstand nicht. In seinem Kopf kreiste es immer noch. Bis auf die Dunkelheit um ihn herum konnte er auch nichts sehen, er war komplett auf die Geräusche und Bewegungen um ihn herum angewiesen. Er wurde wieder transportiert, aber wohin?

Er ließ sich auf den Boden fallen, um zumindest etwas mehr Halt zu gewinnen. Dann auf einmal war es still, nichts bewegte sich mehr. Er hörte wieder Stimmen von draußen:

„Ah guten Tag, was führt sie heute zu uns?"

„Ah ja, ich bin hier wegen meinem Freund Marcel, er hat mir eine Nachricht geschrieben, ich soll' doch vorbeikommen. Heut früh meinte er noch, er würde hierher gehen. Dürfte ich erfahren wo er ist?"

Stegis Augen weiten sich, er erkannte die Stimme. Es war Tim! Sein Hilferuf war also angekommen und er war tatsächlich hier! Seine Lage war doch nicht so aussichtslos, wie er befürchtet hatte. Unsicher tastete er nach der nächstbesten Wand und hielt sein Ohr daran.

„Ah, ich weiß, wen sie meinen. Er ist leider schon wieder weg, sie haben ihn gerade verpasst", antwortete ihm die Person von vorhin.

Was? Nein, das stimmt nicht! Schnell sprang Stegi von seinem Platz auf und verschaffte sich einen besseren Halt. Als er ihn gefunden hatte, hämmerte er mit aller Kraft gegen die massiven Wände.

Er rief so laut er konnte: „Heeeey! Hey! Tim! Ich bin hier! Hörst du mich?!"

Prompt kam eine Antwort, mit unsicherem Klang fragte Tim:

„Sind sie sicher? Er hat nämlich geschrieben, ich soll mich beeilen."

~ Was? Nein, das ist nicht sicher! Ich bin doch genau hier! ~

„Er wollte bestimmt, dass sie sich beeilen, weil er schnell los musste. Ich vermute mal, es war etwas Wichtiges", redete der Doktor weiter.

„Ach so, verstehe", antwortete Tim enttäuscht. Stegi konnte es nicht fassen, beinahe schluchzend schrie er schon:

„Tim, glaub dem kein Wort! Ich bin hier! Hörst du mich nicht? Bitte! Bitte geh nicht! Hilf mir!"

„Also gut, dann werd' ich mal wieder aufbrechen. Ich schreib ihm einfach nochmal und frag ihn, wo er ist. Dankeschön."

„Tun sie das und keine Ursache."

„Nein! Tim, bitte! Nein!", Stegi kullerten die Tränen herunter, während er gegen die kahlen Wände hämmerte. Wieso konnte er ihn nicht hören? Warum?

„Bitte. Geh nicht. Ich bin hier drin! Geh nicht weg! Hilfe!"

„Auf Wiedersehen."

Dann war es wieder still. Kraftlos sackte Stegi auf seine Knie. Er hatte verloren. Tim war weg. Verzweifelt kauerte er sich zusammen und krallte sich in seine Haare.

„Hey, sie da! In meinem Büro im obersten Schubfach müsste ein Handy liegen", ertönte es von draußen, „Bringen sie das in die technische Abteilung, die sollen das knacken."

Die Stimme wurde sanfter und deutlicher: „Und wir beide werden noch ganz viel Zeit zusammen verbringen. Ich freu mich schon auf weitere Unterhaltungen mit dir."

Dann war es um Stegi geschehen. Er hatte keine Kraft mehr sich zu wehren, keine Hoffnung für die es sich gelohnt hätte. Er war ganz allein. Was würden sie nun mit ihm machen?

Große Gefühle für ein kleines Herz - StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt