Kapitel 26: Was ist nur los mit mir?

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„Du hast in jener Nacht gesagt, du bleibst bei mir. War das etwa nur so daher gesagt oder ernst gemeint?"

„Also das ... muss man im Zusammenhang sehen", Stegi knetete seine Finger, während er nach einer Antwort suchte. Tim war nicht sonderlich überzeugt.

„Ich fand damals einfach, dass es die beste Lösung wäre, für uns beide. Du warst so durcheinander, und ich auch. Also hab ich gesagt ich bleib bei dir."

Er drückte zaghaft seine Hand. Tim wusste nicht, was er erwartet hatte und trotzdem war er irrationaler Weise enttäuscht. Seit dem Urlaub hatte er sich an diese Worte geklammert, ihnen eine viel größere Bedeutung beigemessen, als Stegi. Jetzt so wieder auf dem Boden der Tatsachen anzukommen tat weh.

„Und ich will es immer noch, wenn du mich lässt", fügte er deutlich leiser hinzu. Tim seufzte und schloss die Augen. Das Gespräch entwickelte sich zur reinsten Achterbahnfahrt.

„Das Problem ist, wenn du mich wieder anlügen würdest, ich würd' dir glauben. Ich würd dir alles glauben. Egal, wie unrealistisch es klingt", versuchte Tim seine wirren Gedanken in Worte zu packen.

Stegi schien verstanden zu haben. Er lächelte ihm zögerlich zu, als er fragte:

„Darf ich dann heute Nacht hier bleiben?"

„Aber natürlich. Immer."

~ Dass ein einzelner Mensch so viel Macht über mich hat. Er kann mich mit ein paar Worten völlig aufbauen oder komplett zerstören. ~

„Ok, gut zu wissen", Stegi schmunzelte lächelnd, „aber denk ja nicht, dass du dich deswegen vor der Arbeit drücken kannst!"

Er zog ihn von dem Fester weg und schloss es.

„Du lernst jetzt!"

„Ooooh muss das sein?"

„Ja muss. Komm jetzt heran. Komm jetzt heran", er winkte ihn zum Schreibtisch und drückte ihn auf den Stuhl. Dann flüsterte er ihm noch ins Ohr: „Übrigens, mir ist aufgefallen, ich hab dich fast eingeholt oder?", er zwinkerte ihm kurz zu und ging dann lauthals lachend Richtung Bett, welches sich in der anderen Ecke des Zimmers befand.

Tim rief ihm noch hinterher: „Wenigstens passen mir noch meine eigenen Klamotten und ich muss nicht die von Andern klauen!"

„Tsk, Ficker."

Stegi holte sein Handy heraus, während Tim anfing sich den Büchern zu widmen. Er bemerkte, dass ihm Chrissy geschrieben hatte. Er hatte ihr angeboten ihr zu helfen, da sie sich noch nicht wirklich an ihrer neuen, anderssprachigen Uni auskannte und sonst nur wenige kannte, die sie hätte fragen können. So fragte sie ihn auch jetzt irgendwas zum Stundenplan. Er antwortete ihr, schmiss aber dann sein Handy zur Seite und beobachtete Tim, wie er tief konzentriert über seinem Material hing.

~ Was mache ich nur mit dem Idioten? Würde ich nicht ständig bei ihm sein und ihn daran erinnern an sich selbst zu denken, er würde es glatt vergessen.~

Eine Weile verging.

Stegi blickte immer wieder auf, um zu beobachten wie Tim konzentriert über seinen Büchern hing. Er hätte gerne ein paar sarkastische Bemerkungen gemacht, aber er wollte ihn nicht ablenken. Da ihm aber auch niemand schrieb, wurde ihm langsam langweilig. Er legte sich auf den Rücken und starrte gedankenverloren an die Decke.

Ihm war Tims Enttäuschung vorhin nicht entgangen. Sein Minenspiel war dann doch recht eindeutig gewesen. Jetzt überlegte er fieberhaft ob er etwas gesagt haben könnte, was Tim enttäuscht hatte. Sie hatten über Tims Bruder gesprochen, der seinen Reiseplänen so unglücklich im Weg stand und Tim hatte angemerkt, dass er ohnehin nicht gehen wollte, solange Stegi ihn hier brauchte. Stegi lächelte. Es war schön zu wissen, dass der Andere sich so sorgte. Auch wenn es völlig unbegründet war. Er war immerhin kein kleines Kind mehr, auch wenn ihm das niemand glauben wollte. Er würde das aber in keinem Fall zulassen und wenn er ihn zum Flughafen schleifen müsste.

Es blieb dabei, er verstand noch immer nicht, was er getan hatte, um Tim zu enttäuschen. Hoffentlich machte er sich unbegründet Sorgen.

Etwas Später hob Tim seinen Kopf von seinen Arbeiten und warf einen Blick zu Stegi herüber. Schmunzelnd stellte er fest, dass dieser auf seinem Bett eingeschlafen war. Als er ihn aber beobachtete, stellte er fest, dass er im Schlaf leicht zitterte. War es etwa kalt hier drin? Nein, konnte nicht sein, schließlich war immer noch Sommer und das Zimmer war trotz des Regens noch ziemlich warm. Als er näher an ihn heran ging, merkte er, dass es mehr ein Zucken war, als ein Zittern und er sich angestrengt in sein Kissen klammerte. Sollte er ihn aufwecken? Er verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Das wär vermutlich eine schlechte Idee. Also legte er sich zu ihm, legte seine Arme um ihn und versuchte ihn zu beruhigen. Aber das genaue Gegenteil trat ein, sofort begann Stegi in alle Richtungen auszuschlagen und sich zu winden. Aber Tim dachte gar nicht daran los zu lassen, er drückte ihn nur noch fester an sich. Dann beruhigte er sich wieder etwas, aber seine Atmung war noch immer hektisch. Plötzlich merkte Tim ein Ziehen an seinem Körper, dort wo er Stegi berührte. Es war wie der Sog eines Staubsaugers und es zerrte kontinuierlich an ihm. Erschrocken ließ er sofort los und ging ein paar Schritte vom Bett weg. Als er einen Moment blinzelte, sah er den kleinen Stegi vor sich liegen, auf dem Bett. Seine Atmung war jetzt ruhiger und er bewegte sich auch nicht mehr so stark. Tim seufzte.

~ Wenn es dir dann besser geht. ~

Vorsichtig hob er ihn hoch, ohne ihn zu wecken und legte ihn dann vorsichtig auf das Kopfkissen. Dann wollte er etwas zum zudecken suchen, doch er merkte, wie sein Finger festgehalten wurde. Er blickte auf und merkte, wie sich Stegi mit aller Kraft daran klammerte. Verdutzt und gerührt legte er sich wieder zu ihm und platziere seinen Kopf auf der anderen Seite des Kissens, so dass er den Finger nicht weg ziehen musste und ihn gleichzeitig beobachten konnte.

~ Er ist so hübsch. Ich habe das Gefühl, ich vergehe, wenn ich nur eine Sekunde von ihm weiche. Immer wenn ich bei ihm bin weiß ich, dass egal was für eine Scheiße in meinem Leben passiert, es das irgendwie wert ist. Und dabei dachte ich immer, ich wäre derjenige, der auf ihn aufpasst. ~

Er spürte den Druck der winzigen Arme, wie er seinen Finger enger an sich drückte. Es war so verdammt süß.

~ Wie kann es sein, dass so jemand kleines mich beschützt? ~

Er legte seinen Kopf auf das Kissen neben ihm und schloss langsam die Augen.

~ Was ist nur los mit mir? ~

Große Gefühle für ein kleines Herz - StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt