Kapitel 5

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Rian

"Warum laufe ich denn jetzt mit dir rum?" jammerte ich und trottete hinter dem Jungen her. "Ich soll nur weg."
"Und ich werde dich wegbringen."
"Ich will meine Bücher haben." sagte ich.
"Später."
"Dann hat Conor die entweder verkauft oder verbrannt."
"Dann kauf sie dir neu!"
"Ich hab kein Geld!"
"In den Träumen bist du deutlich angenehmer."
"Danke. Ich hab dich ja nicht gezwungen, mich wegzubringen. Das sagst du die ganze Zeit."
"Weil es mein Auftrag ist. Dich heil von hier wegzuschaffen."
Ich stellte mich vor ihn. "Wer hat dir das aufgetragen? Conor? Was will er denn von mir? Er hat meine Familie zerstört."
"Du solltest nicht zu viele Fragen stellen..."
"Es kann ungemütlich für mich ausgehen, richtig? Wie immer. Und? Wer von uns beiden ist was besonderes?"
"Wie bitte?"
"Ich glaub mal, einer von uns ist irgendwas besonderes. Sowas wie Prinz oder Prinzessin oder sowas."
"Warum glaubst du das?" fragte er angespannt, während wir durch dasMoor staksten.
"Weil es in Büchern und Filmen immer so ist und in letzter Zeit ein paar Dinge passiert sind, die sonst auch nur in Filmen und Büchern passieren."
"Mach deine Augen auf, Mädchen. Das ist dein Leben. Dein Leben ist kein Buch oder Film."
"Sicher? Es kommt mir in letzter Zeit aber oft so vor."
"Hör auf, zu reden. Ich muss nachdenken."
"Wie heißt du? Du hast mir noch nie deinen Namen gesagt. Nicht hier, und nicht im Traum."
"Ich kenne deinen Namen nicht, du meinen Nicht. So bleibt es. So wird es bleiben."
"Glaubst du das echt?" fragte ich.
"Halt einfach mal für fünf Minuten den Mund."
"Aber du bist der erste in meinem Alter, der mich nicht dumm anguckt. Außerdem meintest du mal, das es dir gefällt, wenn ich rede, weil du dann nichts sagen musst."
"Ich muss denken. Kennt dich jemand?"
"Seh ich so aus? Mamas Arzt, der Pfarrer und Conor. Und Mama."
"Keine Freunde?" fragte er.
"Hast du Haustiere?" fragte ich.
"Was?" fragte er überrascht.
"Hast du Haustiere? Ich will mehr über dich wissen."
"Du weißt genug."
"Blond, blauäugig, männlich. Mehr weiß ich nicht."
"Ist auch gut so. Dabei bleibt es."
"Wird es nicht."
"Glaubst du."
"Weiß ich."
"Warum?"
Ich starrte seinen Rücken an.
"Jetzt sag nicht, weil wir uns ineinander verlieben, so wie in deinen blöden Büchern." sagte er zynisch.
"Meine Bücher sind nicht blöd, sie sind höchstens kitschig." sagte ich beleidigt.
"Noch schlimmer." schnaubte er.
"Was hast du gegen Bücher?" fauchte ich.
"Sie verschleiern die Realität."
"Ach ja? Inwiefern das denn? Kannst du überhaupt lesen?"
"Ob du es nun glaubst oder nicht, ich bin des lesens mächtig."
"Ich hab es schon bei meinem Stiefvater in Frage gestellt und er -"
Schreie hallten durch den Wald. "Rian! Rian! Komm sofort wieder zurück!"
"Er sucht dich." sagte der Junge.
"Ich muss weg hier."
Er hob mich hoch und begann, zu laufen.

Darryl

Das nächstbeste Versteck war unser Hauptquartier. Und da durfte sie nicht hin. Aber ich hatte keine Wahl. Ich würde sie reinbringen und irgendwie wieder rausschleusen.
Das Mädchen, Rian, klammerte sich an meiner Jacke fest. Ich erhöhte mein tempo und sie vergrub ihr Gesicht an meiner Brust.
Eigentlich war es ganz angenehm, wenn sie redete. Aber jetzt schwieg sie. Ängstlich.

Meine Schwestern standen Wache an der Tür.
"Darryl. Was -" begann Nikki überrascht.
"Mach die Türen auf! Sofort!"
Nina handelte und folgte mir ins Innere des Berges.
"Wer ist sie?"
Ich musste es meinen Schwestern beichten. Gleich. Ich brachte Rian in mein Zimmer und setzte sie auf dem Bett ab. Sie atmete schwer.
"Darryl? Wer ist das?" fragte Nina.
Ich warf Rian Klamotten von Nina zu. "Geh. Dusch den Schlamm ab."
Rian starrte mich lediglich an.
"Nina, kannst du -"
"Erst, wenn du sagst, was los ist." blockte Nina.
Nikki nickte zustimmend.
"Ich möchte wissen, wo ich bin." sagte Rian und sah sich um.
"Ich erkläre es dir gleich. Geh duschen. Bitte."
Sie stand auf und war plötzlich am anderen Ende des Raumes. Ghost Girl.
Nur Ghost Girls oder Ghost Boys konnten sich so schnell bewegen. Weil niemand sie wahrnahm. Also konnten sie auch mal in weniger als einer Minute durch die halbe Stadt laufen. Weil sie nie wahrgenommen wurden. Sie wurden ignoriert.
Rian leckte sich über die Lippen. "Ich weiß nicht, wo ich bin, ich weiß nicht, was ich hier tue..."
Ich ging zu ihr und führte sie ins Badezimmer. Ninas Zimmer grenzte ebenfalls an das Bad. Sie schloss jedoch immer meine Tür zum Bad ab, egal ob sie Zähne putzte oder duschte.
"Hier ist das Badezimmer. Lass dir Zeit. Nimm Ninas Sachen."
     Gerade als Rian die Tür abschloss, kam Charlene aufgeregt rein. "Darrie! Ich wusste, das du wiederkommst."
"Lass es, Charlene."
"Warum bist du so?" fragte Charlene und zog eine Schnute.
"Weil ich ein Junge und du ein Mädchen bist. Deshalb. Geh."
Sie setzte sich auf meinen Schoß und versuchte, mich zu küssen. "Bitte, Darrie. Bitte. Ich mach alles, was du willst."

Rian

Ich fand, das Charlene schon aussah wie eine billige Schlampe, wie sie reihenweise durch die Stadt liefen. Platinblond gefärbte Haare, aber ihr Ansatz guckte raus. Übertrieben viel Make-Up. Knallrote Lippen. Ein zu tiefer Ausschnitt, ein zu kurzer Rock.
Ich wandte den Blick dem Spiegel zu, und begann, meine nassen Haare zu kämmen. Dabei fiel mir auf...hellblonde Strähnen in meinen brünetten Haaren. "Was zum -" murmelte ich, als die Tür aufplatzte und jemand hereinkam, den ich nicht kannte.
"Wer bist du?" fragte er verwundert.
"Ich...äh..." sagte ich und trat zurück.
Er hob mich hoch und warf mich über seine Schulter.
"Lass mich runter! Hilfe! Lass mich los!" kreischte ich. Er ging los.

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