Kapitel 7

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Darryl

Nikki platzte in mein Zimmer. Sie sah schrecklich aus. Als ob sie sich geprügelt hätte. Sie blutete und hatte zahlreiche blaue Flecke. Sie sah mich flehend an. "Es tut mir leid, Darryl, ich...ich musste es tun. Sie...sie war so kratzbürstig."
"Was? Was musstest du tun? Was ist passiert?"
Nikki zog mich zu ihrem Zimmer. Rian lag bewusstlos auf dem Boden. Glasscherben lagen neben ihr.
"Was hast du getan?" fauchte ich Nikki an.
"Du hast sie nicht erlebt!" rief Nikki verzweifelt. "Sie hat mich angegriffen! Sie hat um sich geschlagen und gebissen und geweint! Wie ein hysterisches Mädchen. Anders habe ich sie nicht ruhig bekommen"
Rian hatte immerhin noch einen Puls, als ich nach diesem tastete. "Du hättest sie umbringen können! Weshalb ist sie so ausgeflippt?"
"Ich weiß es nicht."
"Such das Packet von diesem Ekelpaket von Vater." sagte ich und zog Rian aus den Scherben.
Nikki legte sich auf den Boden und griff unters Bett. Sie zog das Packet raus.

"Was ist passiert?" fragte Nina sofort, als sie in Rians Krankenzimmer trat. Die Ärzte hier hatten sich professionell um Rian gekümmert, jetzt lag sie im Bett und schlief.
"Sie ist durchgedreht. Ich habe mich nur verteidigt." sagte Nikki.
"Und ihr eine Vase übergezogen. Alles klar, Nikki." sagte Nina und setzte sich.
Rian schnarchte leise.
"Ihr Stiefvater. Er hat ihr ein Paket gebracht." sagte ich. Nina nickte.
"Und? Was war drinnen? ich schätze, sie ist deshalb so ausgerastet."
"Der Kopf und einige...Gliedmaßen und Organe ihrer Mutter." sagte ich langsam.
Ninas Augen weiteten sich. Ihr Blick huschte zu Rian. "Ich glaube, dann kann ich ihr ausgeflippe verzeihen. Der Typ ist doch krank im Kopf. Wie alt ist sie? 17? Sie ist noch jung. Sowas zeichnet einen doch. Fürs Leben."
"Der Typ ist krank. Und er will sie. Vermutlich hat er so etwas bezwecken wollen. Nur das sie dann noch abhaut oder so." stimmte Nikki ihr zu.
"Wir müssen sie beschützen." sagte ich eindringlich. Meine Schwestern und ich hatten uns drauf geeinigt, niemandem etwas von Rians wahrer Identität zu erzählen.
"Ja, natürlich. Das werden wir. Aber willst du nichts gegen dieses A..." begann Nikki.
"Diesen Armleuchter unternehmen?" unterbrach Nina Nikki.
"Sie steht an oberster Stelle. Danach werden wir uns um ihn kümmern. Oder dabei, je nach dem, wie oft und günstig er uns umbringen will."
"Sag mal, Darryl...." begann Nina.
"Ja?" fragte ich und sah sie an.
"Warum versuchst du nicht, mit ihr zu Träumen? Vielleicht kannst due sie beruhigen." sagte Nina und sah in Rians blasses Gesicht hinunter.
Ich starrte Nina an. "Geh. Leg dich schlafen, Bruderherz. Nikki und ich wachen über...Elizabeth."
Noch immer verdutzt von Ninas Vorschlag ging ich in mein Zimmer und begann zu Träumen.

Sie wandte mir den Rücken zu. Sie trug ein leuchtendes, weißes Kleid. Auf ihren Schulterblättern prankten die Tattoo-Flügel eines Vogels. Dazwischen loderten Flammen.
Sie schluchzte. Wir waren auf der Lichtung und sie kniete vor einem Grab.
"Rian. " sagte ich leise. Sie drehte mir leicht den Kopf zu. "Was willst du?"
"Ich möchte dir helfen. Dich trösten."
Sie wandte sich wieder dem Grab zu.
Sandy Montéz' Grab.
Rian weinte. Ihre Schultern bebten. Die Tattoo-Flügel bewegten sich auf und ab.
Ich setzte mich neben sie. "Weißt du noch, was deine Mutter zuletzt zu dir sagte?"
"Ich solle fliehen und niemandem trauen. Ich soll weglaufen. Sie gab mir...." Rian schluchzte. "Sie gab mir ihren Verlobungsring. den sie von Papa geschenkt bekommen hat."
Sie lehnte sich an meine Schulter und weinte. Und ich hatte keine Ahnung, wie man mit weinenden Mädchen, die teils Ghost Girl und teils Phönix (ihr Schulter-Tattoo war sehr hilfreich, aber in der Realität existierte es noch nicht) waren umging. Na toll, Nina. Wo hast du mich da nur reingeritten?!

"Mit Papa meinst du aber nicht den Kerl, der am Tor stand, oder?"
Rian schnaubte. Sie hatte sich so weit beruhigt und hatte sich nun am meine Brust gekuschelt.
Verboten, verboten, verboten.
"Natürlich nicht. Conor..." Rian sah sich um. "Er war mein...Stiefvater. Mein Papa starb vor drei Jahren. Er war Polizist und wurde bei einem Einsatz....tödlich verwundet. Mama gings nicht gut. Sie schaffte fast nichts mehr. Conor war ihr Physiotherapeut. Keine Ahnung, warum sie da hingegangen ist. Aber...lud sie irgendwann zum Essen ein. Immer öfter...und dann...zog er zu uns...einen Monat später haben sie geheiratet und wir sind umgezogen....Er benahm sich komisch. Mir gegenüber."
"Rian? Wollen wir gehen?"
Sie sah zu mir hoch. "Wohin? Was wollen wir da?"
"Zum Bach."
Ich erhob mich. Sie blieb sitzen.

Rian

Was sollte ich am Bach, kurz nach dem Tod meiner Mutter? Conor hatte mein Leben in kleine, winzige Fetzen gerissen und Klebeband würde es auch nicht zu dem machen, das es einst war. Warum hatte Papa an diesem Freitag zum Dienst gemusst? Hätte er freigehabt, wäre alles noch gut. Dann wäre Conor nicht da....obwohl, eventuell schon. Wenn Mama zur Physio gegangen wäre. Und sie ihn da getroffen hätte. Und er sie irgendwie...verführt hätte...
Warum dachte ich darüber nach?
"Rian?" fragte Darryl.
"Ja?"
"Meinst du, du bist so weit, das du aufwachen kannst? Ohne Nikki oder Nina anzugreifen?"
"Habe ich sie angegriffen?" fragte ich erschrocken?
"Nun ja..." Darryl fuhr sich verlegen durchs Haar. "Nikki hat blaue Flecke und eine blutige Lippe von dir kassiert."

"Oh nein! Das...tut mir leid, das...das wollte ich nicht, wieso...?"
"Rian. Nikki hat dir mit einer Vase eins übergebraten. Sie meinte, du wärst komplett ausgeflippt. Und na ja."
"Schlafe ich deshalb?"
"Ja. Die Ärzte haben sich um mich gekümmert."
Ich stand auf. "Ich muss weg, Darryl. Weit weg. Wo Conor mich nicht vermutet. Nur da bin ich sicher."
"Du wirst nur beim großen Phönix und seiner Gemahlin sicher sein." sagte Darryl.
"Ich muss dahin. Ich muss... weg von hier. Wer weiß, was Conor als nächstes macht. Er weiß, das ich hier bin. Ich kann hier nicht länger bleiben."

Liu, Nina und Nikki saßen am Bett. Darryl hatte sich seeehr weit zu mir hinunter gebeugt. Ich erkannte ein paar dunkelblaue Punkte in seinen ansonsten hellblauen Augen. Und weil ich ihn nicht sofort erkannte, erntete er eine Ohrfeige von mir. Darryl grinste. Liu, Nikki und Nina lachten ihn aus.
"Mein Gott, erschreck mich nicht so!"
"Ich glaube, du hast ihr den Herzinfarkt ihres Lebens beschert, Bruderherz." lachte Nina.
"Oh ja!" sagte ich. "Bitte. Bitte, bitte, tu das nie wieder."
"Oh, an deine Ohrfeigen kann ich mich gewöhnen." sagte Darryl.
"Und was bringt es dir?"
"Ohrfeigen eines Phönix." sagte er erheitert und wickelte sich eine hellblonde Haarsträhne um seinen Finger.
"Ich hab Hunger."
Darryl lachte. "Du bist das erste Mädchen, das ich kennenlerne, das zugibt, Hunger zu haben."
"Wieso? Sagt die Stadtmatratze nicht, das sie Hunger hat?" fragte ich und dachte an Darryls blonde Freundin.
Nina und Nikki prusteten wieder los.
"Meinst du Charlene?" fragte Darryl stirn runzelnd. "Sie ist keine Stadtmatratze."
"Sie sieht aus und benimmt sich wie eine." sagte ich Schulterzuckend.
"Charlene ist keine Stadtmatratze." sagte Darryl erneut.
Ich zuckte wieder mit den Schultern. "Ich kenn sie nicht. Ist mir egal. Soll so bleiben."



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