Kapitel 12

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Rian

Ich rannte, so schnell ich konnte. Ich rannte blindlings, und querfeldein. Der Wind trieb mir Tränen in die Augen. Alle sagten mir, ich solle laufen. Taumelnd blieb ich stehen. Sie waren kurz darauf tot. Ich sah zurück.
Ich hörte, wie Pferdehufe auf dumpfen Boden aufschlugen.
Und dann hörte ich sein Schreien, in das sich das geschrei eines Mädchen vermischte.
"Darryl!"
Ich lief los. Ich wusste nicht mehr, wo ich herkam, aus welcher Richtung.
"Da ist sie! Los, kreist sie ein!"
In nur gefühlten drei Sekunden war ich von mehreren schwarzen Reitern umzingelt. Ein sehr großer Reiter stieg ab und kam auf mich zu.
"Na komm, kleiner Phönix. Wir wollen dir nichts tun."
Ich wich zurück. Ein anderer Reiter hielt mich fest, bis der Große sein Pferd zu uns geführt hatte. Er setzte mich vorne auf sein Pferd und stieg dahinter auf.
Es war ein sehr großes Pferd.
"Du wirst nicht von Gulliver springen, wenn wir losreiten, kleiner Phönix." sagte der Große.
"Warum?" fragte ich mit zittriger, hoher Stimme.
"Weil ich noch da bin." Er griff mit seinen Armen um mich herum und drückte sie eng gegen meine Seiten.
Die Reiter ritten los, bis wir an der Stelle ankamen, an der sie uns umzingelt hatten.
Darryl kniete auf dem Boden und hatte ein blondes Mädchen im Arm. Beide schluchzten.
"Hey. Ben! Wir haben die Kleine!" rief einer der reiter hinter uns. Darryl sah auf.
"Ich habe dir gesagt, du sollst weglaufen!" brüllte er wütend. Ich zuckte zusammen. Der Große stieg ab und hob mich von Gullivers Rücken.
"Stress im Pradies?"
"Im Paradies bin ich schon lange nicht mehr." sagte ich. Der Große schubste mich hinüber zu einer Kutsche. Eher gesagt einem Käfig auf Rädern.
"Du gehst da rein. Wir bringen dich zum großen Phönix."
"Von wem habt ihr diesen Auftrag?" fragte Darryl und stand schwankend auf. Die Vorderseite seines Sweatshirts war voller Blut.
"Nein! Darryl!" kiekste ich und wollte zu ihm laufen. Der Große hielt mich fest und bugsierte mich in den Käfig auf Rädern.
"Wir haben deinem Freund nichts getan." sagte er grimmig.
"Er blutet!" kreischte ich.
"Nicht er. Seine Schwester." Der Anführer nahm den Helm ab.

Darryl

Ich wusste, das Liu ein Arschloch war. Ich wusste, das er gewalt liebte. Aber ich hatte nie geglaubt, das er der Feind war. Rians Frage, ob man ihm trauen konnte, war anscheinend berechtigt.
Rian klammerte sich an die Gitterstäbe ihres Käfiges und sah entsetzt Liu an.
"Jaimie hat mir den befehl gegeben, sie zu suchen. Ich bin euch gefolgt. Dann habe ich mit meinen Eltern besprochen, wann und wo wir am besten zuschlagen können?"
"Deine Eltern sind tot." sagte ich mit tauben Lippen.
Liu schüttelte mit einem psychopathischen Grinsen den Kopf. "Nein. Ihr habt sie kennengelernt. Oder auch nicht." Er kicherte. "Puschi und Carlotta sind ihre Haustiere. Meine Eltern sind gute Schauspieler, nicht wahr? Übrigens, eigentlich heißen sie Robert und Claire. Und sind natürlich nicht über 200 Jahre alt."
Rians Gesicht war eine einzige, versteinte, geschockte Maske.
"Ich kenne dich, Darryl. Du hast eine Schwäche für Blondinen und deine Schwestern. Das ist viel zu schwach."
"Was ist mit Nikki?" fragte ich und sah zu Nina hinab, die ihre blutige Hand umklammerte.
"Sie ist schon auf dem Weg zum Palast. Bei dir braucht man immer nur eine, dann gibst du nach." sagte Liu munter.
"Warum Nina? warum musstest du Mistkerl das Nina antun?"
Liu winkte ab. "Nina hat mir vertraut. Deshalb war sie einfacher rumzubekommen als Nikki."
"Du elender -"
"Carlotta könnt ihr behalten. Oh, und dieses Verbandszeug auch." Liu warf einen Erste-Hilfe-Koffer vor meine Füße.
"Wir haben ja alles, was wir wollten." Er ging hinüber zum Käfig und strich über Rians Wange. Rian riss sich los und funkelte ihn wütend an. "Fass mich nicht an!"
"Natürlich nicht, Ghost Girl. Du musst ja rein und jungfräulich bleiben. Conor sagte, du wärst noch Jungfrau."
Rian schlug mit ihrer Faust in sein Gesicht. Liu taumelte ein paar Schritte zurück und lachte sich kaputt.  "Ja, Rian. Ich kenne Conor. Und weißt du, es hat sehr viel Spaß gemacht, zusammen deine -"
"Sei still, Liu. Du hast sie doch. Das ist alles. Du musst sie nicht noch terrorisieren." fauchte ich.
"Dann wird es aber lustiger. Aber du hast Recht. Vernünftig, wie immer. Glück gehabt, kleiner Phönix." sagte Liu vergnügt. "Los, Männer. Auf gehts. Wir haben wertvolle Ware, die schnell zum Palast muss." Liu stieg auf sein Pferd, wendete und ritt los. Die Ritter. Reiter folgten ihm. Rian sah zwischen den hinteren Gitterstäben durch. Sie weinte. "Darryl!"
"Rian." murmelte ich.
Und dann waren sie weg, als hätte die Nacht sie verschluckt.

Ghost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt