18.Kapitel. Trauer

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Im Gegensatz zu den anderen, konnte Nathaniel nicht schlafen. Er fühlte sich so extrem schuldig. Es war nicht nur wegen Tristan. Eigentlich gar nicht wegen Tristan. Er hatte den Typ praktisch nicht gekannt. Ganz anders war es bei Kyle. Der war praktisch sein Bruder und er hatte ihn töten müssen, um andere zu schützen. Das war das letzte was er gewollt hatte. "Ich muss das endlich beenden.", dachte er laut und setzte sich auf.
"Das wirst du nicht tun.", hörte er eine Stimme bestimmt sagen.
Nathaniel drehte sich überrascht um. "Was werde ich nicht tun?"
"Dich zu ihnen teleportieren. Allein hast du keine Chance."
"Avina, das muss beendet werden."
"Aber nicht von dir", meinte sie und Nathaniel sah sie an.
"Wieso nicht?"
"Denk daran warum sie uns verfolgen, sie wollen dich doch nur zu ihm bringen. Willst du ihnen den Wunsch erfüllen?"
Nathaniel seufzte.
"Na gut, ich mach es nicht."
Die Sonne ging langsam auf.
"Dann lass uns die anderen wecken und dann endlich weiterreiten.", fügte er noch hinzu. Avina nickte und die beiden weckten die wenigen, die richtig geschlafen hatten.
Die Stimmung war komplett am Boden.

Selina setzte sich auf das Pferd und trieb es an. Sie hatte schlecht geschlafen. Zum einen, weil ihre Seite geschmerzt hatte und zum anderen, aus Angst nochmal angegriffen zu werden und noch jemanden zu verlieren. Sie ritt neben Robin, die den Kopf hängen ließ.
"Alles okay?", fragte sie vorsichtig.
"Na klar, weils ja auch so okay ist, einen Freund zu verlieren. Mir gehts super.", sagte sie sarkastisch. Selina wusste nicht, was sie daraufhin antworten sollte und schwieg lieber.
Sie ritten eine Weile so weiter, bis sie plötzlich ein Gewicht auf ihrer Schulter spürte. Vorsichtig sah sie hin. Aiden starrte sie neugierig an und beugte seinen Oberkörper nach vorne.
Seine Krallen bohrten sich in ihre Schulter, um den nötigen Halt zu finden und nicht herunter zu fallen. Der weiße Falke sah auf ihre Hand. Sie blickte auf ihre Hand hinab und wusste sofort worauf der Raubvogel aus war. Sie hielt etwas Trockenfleisch in der rechten Hand. Da sie im Moment im Schritt ritten, um den Pferden eine Pause zu gönnen, ließ sie die Zügel los und brach etwas von dem Trockenfleisch ab. Ganz langsam hob sie die Hand mit dem Stückchen Fleisch für Aiden an, um ihn nicht zu erschrecken. Kaum war das Fleisch in seiner Reichweite, riss er es ihr aus der Hand und schlang es hinunter. Ihre Hand war immernoch erhoben, als er sich wieder vorbeugte, um noch mehr zu bekommen. Sie hob die Hand weiter an und berührte ihn sanft am Fuß. Der Falke knabberte leicht an ihren Fingern. Vorsichtig hob sie ihre Hand noch ein wenig höher, um seine Brust zu kraulen. Erst nahm sein Körper Kampfhaltung an, doch als sie sich nicht weiter bewegte, entspannte er sich wieder und ließ sie gewähren.
Sie kraulte vorsichtig die verletzliche Brust des Vogels und beobachtete seine Reaktion. Er schloss nach einer Weile die Augen und schlug sie erst wieder auf, als es hieß, dass sie die Pferde nun wieder etwas im Galopp laufen lassen sollten.
Seufzend griff sie nach den Zügeln und trieb das Tier an. Aiden flatterte von ihrer Schulter und flog über die Gruppe hinweg.
Will ließ sein Pferd neben ihrem laufen und meinte schelmisch:
"Aber nicht, dass du mich jetzt ersetzt.
Diese Schulter war mein Platz und den werde ich immer einnehmen, wenn ich in der anderen Gestalt bin."
Sie lachte. Es stimmte, auf dieser Schulter hatte er früher immer gesessen, als er noch in einen Raben verwandelt war.
Er lächelte und sie verfielen in ein angenehmes Schweigen.
Irgendwann am frühen Nachmittag, beschloß Laniel eine etwas größere Pause zu machen und führte sie an einen Bach. Sie tränkten die Pferde und legten dann ein paar Decken aus.
Tristans Pferd hatten sie zu einem Lasttier umgemodelt. Seine Zügel waren an Logans Sattel befestigt. Er sah ebenso betrübt aus, wie alle anderen aus der Gruppe, die ihnen als Hilfe zugewiesen wurden.
Selina steuerte gerade auf ein Gebüsch zu als Braniel sie aufhielt. Nicht nur sie, sondern auch Amber und Grim, die ebenfalls Bäume oder Sträucher ansteuerten.
"Es wäre besser, wenn wir uns ab jetzt lieber von den Vorräten ernähren, die wir dabei haben und wir uns nicht mehr trennen würden. Auch nicht, um jagen zu gehen."
Sie starrten ihn an. Er wusste, dass er es mit Raubtieren zu tun hatte und verbot ihnen die Jagd? Grim fauchte aufgebracht und auch Amber knurrte leise. Selina hingegen fixierte ihn. Lange starrte sie ihm in die Augen, die er längst abgewandt hatte.
Scheinbar bemerkte William die angespannte Stimmung der vier und kam auf sie zu. Er war bis eben noch in ein Gespräch mit den Zwillingen vertieft, doch dann hatte er kurz zu Selina geblickt, die eindringlich zu Braniel schaute.
"Alles in Ordnung?", fragte er und brach damit Selinas Augenkontakt ab.
"Ja alles okay.", antwortete Braniel schnell und lief Will entgegen.
'Feigling', dachte Selina, 'etwas sagen und dann nicht einmal zu seinem Wort stehen.'
Sie mochte diesen Typen immer weniger.
"Nein ist es nicht, Will. Er will uns verbieten, jagen zu gehen. Er will nicht, dass wir uns auch nur irgendwie von einander trennen"
"In gewisser Weise ist das ja nachvollziehbar, doch den Raubtieren gleich das Jagen zu verbieten? Das ist etwas übertrieben. Es wäre besser, wenn wir zusammenbleiben würden, aber ich kann euch nichts verbieten." Amber ging rasch auf das Gebüsch zu und Grim verschwand hinter einem Baum.
Will kam zu ihr und flüsterte ihr leise ins Ohr:
"Wie gehts dem riesigen blauen Fleck, der mich gestern daran gehindert hat, dich zu berühren?" Sie könnte sein Schmunzeln hören.
"Dem geht es jetzt besser, nachdem du mich mal eine Weile nicht genervt hast.", sagte sie grinsend und setzte zu Flucht an, doch weit kam sie nicht. Er schlang lachend seine Arme um ihre Taille und hob sie hoch. Sie quitschte kurz auf und klammerte sich an seine Arme.
"Könnt ihr damit aufhören? Wir müssen heute noch weiter kommen."
Will stellte sie wieder auf den Boden ab, ließ sie aber nicht los, während er sich an den Störfaktor wandte.
"Was spricht gegen ein bisschen Spaß in der Pause? Ich wusste nicht, dass wir nach noch nicht einmal fünf Minunten Pause schon weiterreiten wollen. Auf Amber und Grim müssen wir soweit ich weiß, auch noch warten. Also warum unterbrichst du das bisschen Spaß, das wir gerade hatten, wenn wir gerade Zeit dafür haben?", fragte Will.
Braniel wandte sich murrend ab. Selina knurrte leise. Den Mann konnte man nur hassen. Und als ob sie nicht schon genervt genug gewesen wäre, ertönte nicht weit von ihnen entfernt ein nerviger Ton.
Sie drehte den Kopf und starrte Cory an, der an einem Baum gelehnt ein Liedchen pfiff. Er hatte die Augen geschlossen und sah ihren Blick nicht, aber er spürte ihn höchst wahrscheinlich. Nach einer Weile verspannte er sich und öffnete zaghaft ein Auge. Und als er das tat, fauchte Selina ihn an.
"Kannst du das bitte lassen?"
Er hörte augenblicklich auf, ohne irgendwelche Proteste.
Nun drehte sie sich zu Will um, der sie immernoch im Arm hielt. Er lächelte sie an und zog sie enger an sich. Selina legte den Kopf an seine Brust und atmete tief ein und aus. Sie war froh, wenn das alles vorbei war.

Larwenia 4 - Son Of Fear And ElementsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt