19. Kapitel. Bewegung

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Amber lief gerade den Trampelpfad entlang, der zurück ins Lager führte. Sie dachte über Prinz William nach. Er passte wirklich gut zu Selina. Er akzeptierte das Tier in ihr und gab ihr dafür genügend Freiraum. Er kümmerte sich um sie und war für sie da, wenn sie ihn brauchte. Als sie Selina neulich holen wollte, um mit ihr die Garde kennen zu lernen, hatte sie gesehen, dass sie geweint hatte und er sie im Arm hielt. Sie passten gut zusammen. Allerdings war das auch bei Nathaniel und Avina der Fall. Sie gab ihm den sicheren Halt, den er brauchte. Es erstaunte sie, wie gut sie miteinander harmonierten. Plötzlich trat ein Schatten vor ihr auf den Pfad.
Sie blieb stehen und sah die Gestalt an, der der Schatten gehörte. Es war ein Mann, das konnte sie gegen das Sonnenlicht leicht erkennen, allerdings war sein Gesicht von einer Kapuze verdeckt. Sie wich ein paar Schritte zurück. Obwohl sie nicht zu sehen waren, konnte sie die Waffen riechen, die er überall versteckt hatte. Sie waren schlecht gereinigt und an ihnen heftete noch der Geruch von Blut. Er hockte sich hin und streckte den Arm aus. Er wollte scheinbar nicht so bedrohlich wirken. Irgendetwas in ihr gab ihr einen Ruck und sie trat vorsichtig nach vorne und schnüffelte an seiner Hand. Sein eigener Geruch kam ihr bekannt vor, doch diesen Gedanken warf sie rasch beiseite. Wahrscheinlich hatte die ihn in der Vergangenheit schon einmal gerochen. Er streckte die Hand noch weiter aus und streichelte ihre Wolfsschnauze. Ganz vorsichtig und immer bereit sie sofort zurück zu ziehen, falls Amber es sich anders überlegte und angriff. Die Berührungen jagten kleine Schauer durch ihren Körper. Sie zog sich zurück, aber irgendetwas sagte ihr, dass diese Berührung noch nicht die letzte war. Sie lief um ihn herum und auf einem Umweg zurück ins Lager.

Auch die anderen Gestaltwandler kamen zurück und sie ritten weiter sobald sie vollzählig waren. Keiner wollte noch eine Nacht im dunklen Wald zu verbringen, deshalb trieben alle ihre Pferde an.
Dennoch stand der Mond bereits hoch am Himmel, als sie im Lager ankamen.
"Das sind ja nicht besonders viele.", meinte Damian.
"Deshalb brauchen sie ja auch unsere Hilfe.", seufzte sein fast schwarzhaariger Zwilling. Dann kam jemand aus dem Lager auf sie zu. Die Person hielt ein Kind an der Hand und offensichtlich etwas älter.
"Raphael!", rief Selina freudig auf und alle zuckten zusammen. Sie sahen zu, wie die Gestaltwandlerin vom Pferd sprang, auf die beiden zu rannte und das Kind ganz fest in den Arm nahm. Sie gingen näher und konnten nun die Gesichter der beiden sehen. Ein älterer Mann mit großen kräftigen Händen und einem sanften Lächeln, das auf Selina und dem Kind ruhte.
Das Kind war ungefähr fünf Jahre alt und hatte dunkles Haar. Es war offensichtlich ein Junge und er hieß wahrscheinlich Raphael.
Der Junge löste sich aus Selinas Umarmung und sah sie ernst an. Seine Augen. Seine Augen sind wie Selinas. Damian war sprachlos. Entweder war das ihr Bruder oder ihr Sohn. Aber sie wäre viel zu jung gewesen, wenn man vom Alter des Jungen ausging. Ungefähr vierzehn. Das war dann doch zu jung nach Damians Meinung. Den anderen schien es nicht anders zu gehen. Allen außer William, Nathaniel und Avina.
"Äh, Selina?", begann Grim. "Ist das dein ..."
"Er ist mein Cousin. Wenn du das fragen wolltest dann ja.", sagte sie kalt.
"Warum hast du so lange gebraucht?", fragte der Junge.
"Wir mussten uns um etwas wichtiges kümmern." Sie ließ ihren Blick in der Runde schweifen. Er war eindringlich und ruhte vor allem auf Amber, Nathaniel, Avina und William. Dann sah sie zu dem alten Mann und ihr Lächeln wurde warm.
"Ich danke dir von ganzem Herzen, Garett. Ich weiß nicht ob ich das jemals wieder gut machen kann."
"Brauchst du nicht Kleine. Der Junge hat mir in der Schmiede wirklich geholfen.", antwortete der Alte.
Selina stand auf und umarmte ihn.
Garett lachte leise.
"Ist ja gut Kleine. Du kannst mich loslassen." Sie ließ ihn los. Ihr Ausdruck veränderte sich, als sie wieder zum Lager sah. Er wurde hart und kalt. Sie drängte Raphael hinter sich und starrte auf die Person die sich ihnen näherte.
"Na endlich!", schrie die Person ihnen entgegen.

Selina legte eine Hand auf ihren Schwertknauf. Ihr Instinkt riet ihr dazu.
Chris kam auf sie zu.
"Ich dachte, ihr seid alle zusammen durchgebrannt."
"Glaubst du, wir fliehen vor unserer Pflicht?", knurrte sie und starrte ihn feindseelig an.
"Was? Nein! Als ich dann Raphael gesehen habe, wusste ich, dass ihr wiederkommt."
"Wir haben uns Unterstützung geholt.", schaltete sich William ein.
"Lasst uns Zelte aufsuchen und schlafen gehen. Die letzten Tage und Nächte waren hart.", sagte Nathaniel.
"Natürlich, wir haben noch einige Zelte frei.", antwortete Chris und führte sie ins Lager.
Selina ging mit Raphael in ein Zelt. Es war ziemlich klein, aber sie passten trotzdem hinein. Schnell breitete sie eine Decke aus und legte eine als Kissen an das eine Ende. Raphael legte sich darauf und sie breitete noch eine aus um sie beide zuzudecken. Sie schloss die Augen und zog Raphael an sich.
"Selina? Bist du noch wach?", fragte Wills Stimme. Sie grummelte zustimmend und öffnete die Augen.
Will trat herein und setzte sich an ihre Seite.
"Wir müssen morgen zu viert reden. Nur du, ich, Nathaniel und Avina. Wir müssen noch etwas besprechen." Sie nickte müde. Er wollte gerade wieder aufstehen und gehen, als sie ihm anbot hier zu schlafen.
Er lächelte schief.
"Wenn du das willst."
Sie schlug die Decke zurück und er legte sich zu ihr.

Am nächsten Morgen schliefen sie aus. Sie hatten es alle bitternötig.
Die letzten Tage waren anstrengend gewesen. Selina kuschelte sich enger an den warmen Körper, der neben ihr lag. Ihr Kopf lag auf seiner Brust und hob und senkte sich, während er gleichmäßig atmete. Sie war schon seit einer Weile wach. Genauer gesagt, seitdem Raphael sich gerührt hatte. Er bewegte sich nicht viel im Schlaf, wahrscheinlich ist er kurz wach geworden, um sich auf die andere Seite zu drehen. Sie gähnte leise und bemerkte, wie Will sie enger an sich zog. Sie lächelte und strich ihm vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht. Seine Atmung veränderte sich ein wenig.
"Du bist wach. Ich habe es bemerkt.", murmelte sie grinsend.
Er schlug die Augen auf.
"Erwischt."
"Wir müssten mal aufstehen und uns um das Lager kümmern. Es wird Herbst, außerdem wollten wir noch mit Nathaniel und Avina reden.", seufzte sie.
"Musstest du mich daran erinnern? Es ist noch ziemlich früh. Ich wollte noch ein wenig mit dir liegen bleiben."
"Können wir doch."
Avina und Nathaniel waren schon unterwegs, deshalb konnten sie noch ein wenig liegen bleiben, ohne aufgescheucht zu werden. Und das taten sie auch.

Larwenia 4 - Son Of Fear And ElementsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt