26.Kapitel. Abgesoffen

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Einige Wölfe liefen immer voraus, denn sie waren etwas schneller und ausdauernder, als Nathaniels Pferd. Sie hielten Ausschau nach Gefahren, doch kehrten bisher immer ohne Meldungen zurück.
"Wir erreichen bald Sidian.", sagte Selina plötzlich und Nathaniel nickte. Von dort aus war es nicht mehr weit bis zum Schloss.
"Wir sollten einen Bogen um die Stadt machen, die Brücken werden sicher bewacht."
"Aber wie sollen wir dann auf die andere Seite kommen?", fragte Selina und Nathaniel meinte:
"Das sollten wir mit einem kleinen Zauber hinkriegen."
"Okay na dann."
Nathaniel trieb Kassiopeia zum Galopp an.
Auch die Wölfe liefen schneller und so kamen sie gegen Sonnenuntergang etwa einen Kilometer südlich von Sidian an.
Nathaniel sah sich kurz um und stieg dann vom Pferd.
"Wir sollten die Nacht hier verbringen. Ich habe keine Lust, mich bei Dunkelheit durch Nebel voller Dämonen zu kämpfen."
Selina nickte.
"Da hast du recht."
Amber zog sich ihre Kleidung aus dem Rucksack und verwandelte sich hinter einen Busch. Dann kam sie zurück und meinte:
"Ich gehe Feuerholz suchen." Eigentlich hoffte sie, Kyle wieder zu treffen und lief in den Wald.
Nathaniel zündete solange mit ein paar Ästen vom Busch ein kleines Feuer an, während sich ein Teil der Wölfe auf die Jagd machten. Selina saß eine Weile da und starrte ins Feuer.
Plötzlich bebte der Boden unter ihr, als würde ein Riese darauf entlang stapfen und ein Bär preschte aus dem Unterholz. Er war doppelt so groß wie ein normaler Bär und hatte dämonentypische rote Augen. Das Riesenvieh blieb stehen und brüllte.
Die restlichen Wölfe ergriffen instinktiv die Flucht, während Selina panisch schrie:
"Wie sollen wir das Ding töten?!?"
Nathaniel schüttelte den Kopf. Er glaubte nicht, dass das möglich war und schrie:
"Lauf!"
Damit rannte er auch selbst los Richtung Klippe.
"Wenn wir da rüber kommen, dürften wir ihn los werden!"
"Dann zauber schon deine Brücke!", brüllte sie und Nathaniel duckte sich unter einen Prankenhieb weg.
"Jaja, lass mich nachdenken!"
Er konnte schließlich keine stabile Brücke zaubern, sonst könnte dieser Dämon hinterher.
Doch dazu blieb ihm keine Zeit, denn sie waren nurnoch wenige Meter von der Schlucht entfernt.
Das Einzige, was ihm einfiel war, ein paar große Steine aus dem Fluss zu heben. Sie mussten darüber springen und das war eine ziemlich wacklige und glitschige Angelegenheit.
Erleichtert landeten die beiden auf der anderen Seite und Selina keuchte: "Verdammt, was besseres ist dir nicht eingefallen?"
Nathaniel wollte antworten, doch jemand kam ihm zuvor.
"Er war nie ein großer Denker."
Die beiden drehten sich erschrocken um und dort stand Rose.
"Dir haben wir also diesen Dämonen zu verdanken."
"Klar, ihr habt ein paar getötet, da hab ich mir einen Neuen besorgt." Nathaniel fluchte innerlich.
Das konnte doch nicht war sein.
Schnell rappelten sie sich auf, doch Nathaniel wurde von dem Phanter zu Boden gerissen, während Rose auf Selina los ging. Rose hielt einen ziemlich langen Dolch in der Hand, welcher auch Selina einschüchterte. Sie wich ein wenig zurück und plötzlich preschte Rose vor. Selina, die nun zu nah an der Kante stand, verlor das Gleichgewicht. Sie rutschte mit den Hinterbeinen weg und versuchte noch, sich mit den Vorderbeinen irgendwo festzuhalten. Rose rammte ihr den Dolch in die Schulter, wodurch sie sich automatisch nach hinten bäumte und die Klippen hinunterfiel.
"Nein!"
Nathaniel schubste den Panther von sich herunter und hechtete zur Klippe. Er sah über den Rand, doch konnte Selinas Wolfsgestalt nirgendwo im Fluss entdecken. Rose nutzte den Moment in dem er abgelenkt war und schlug ihn den Knauf ihres Dolchs auf den Hinterkopf.
Er sackte bewusstlos zu Boden und Rose zog ihn auf den Rücken ihres Dämons und flog Richtung Schloß.

Selina tauchte hustend auf. Ihr Fell zog sie weiter nach unten, weshalb sie ihre Wolfsgestalt ablegte. Krampfhaft versuchte sie sich irgendwo festzuhalten, doch die Strömung war zu stark. Sie riss sie mit sich, zog sie immer wieder unter Wasser. Minuten wurden zu gefühlten Stunden. Der Fluss zog sie gnadenlos immer weiter mit sich. Wieder einmal tauchte sie auf und wurde jedoch anschließend unter Wasser gezogen. Ihr Körper protestierte. Ihre Lungen brannten.

Die Kraft sich dieses Mal an die Oberfläche zu kämpfen hatte sie nicht mehr. Obendrein kam noch die Wunde, die sie an ihrer Schulter hatte. Blut floss stetig aus ihr heraus. Das alles schwächte sie. Der Fluss riss sie immer weiter und weiter. Sie hatte jegliche Hoffnung aufgegeben. Ihr Körper konnte nicht mehr. Sie hörte auf, sich zu wehren und gab sich damit dem Tod hin. Ihre Freunde mussten ohne sie weiter machen. Avina, Nathaniel, Raphael und Will. Wenn sie nicht unter Wasser gewesen wäre, würden ihr jetzt die Tränen kommen. Sie würde sie alle nie wiedersehen. Sie hatte ihr Versprechen gegenüber Raphael nicht halten können, dieses Mal kam sie nicht zurück. William würde sich hoffentlich um ihn kümmern, bis er alt genug war, um auf sich selbst aufzupassen. Jetzt, wo der Tod in greifbarer Nähe war, wusste sie, dass sie ihre Eltern bald wiedersehen würde. Sie gab sich endgültig dem Fluss hin und ließ sich in dessen Tiefen ziehen. Ihr Körper schmerzte und noch immer floss Blut aus ihrer Wunde. Es dauerte nicht mehr lange, bis sie bewusstlos wurde, denn ihre Lungen brannten und bald würde sie nach Luft schnappen. Nur würde ihr Körper keine Luft bekommen. Jetzt da sie im tieferen Teil des Flusses war, wurde Dreck aufgewirbelt und drang in ihre Augen, Nase und Ohren. Sie drückte ihre Augen zu und endlose Dunkelheit empfing sie. Die Kälte spürte sie kaum noch. Sie konnte ihrem Körper nicht mehr bewegen, weshalb sie immer wieder gegen Steine und sonstige Dinge im Fluss prallte. Sie gab auf.

Plötzlich erschien das Gesicht ihrer Mutter. Sie sah sie streng an.
"Du darfst noch nicht aufgeben. Noch ist deine Aufgabe nicht erfüllt. Du musst leben. Ich will nicht, dass du jetzt schon zu uns kommst. Lebe noch länger als dein Vater und ich. Lebe und werde alt. Heirate und bekomme Kinder. Du darfst jetzt nicht aufgeben!" Bilder drangen in ihren Kopf. Bilder von einer Hochzeit. Bilder von ihr und einem kleinen Mädchen auf dem Schoß. Die Kleine hatte ihre Haare und blaugrüne Augen. Wills Augen. Die Augen die sie so sehr liebte. Allein dieses Bild gab ihr einen Ruck. Neue Energie floss durch ihren Körper.
"Lebe!", drang noch einmal die Stimme ihrer Mutter zu ihr durch, bevor ihr Gesicht mitsamt den Bildern verblasste.

Selina nutzte die wenige Energie, die in ihr strömte und schwamm nach oben. Meter für Meter. Der Fluss zog sie immer weiter mit sich, doch sie hatte nur ein Ziel, jetzt da ihr Überlebenswille wiedergekehrt war. Die Oberfläche. Jeder Schwimmzug war ein Kraftakt. Jede Sekunde ein Wettlauf gegen den Tod.
Plötzlich durchstieß ihr Kopf etwas und kühler Wind wehte in ihr Gesicht. Sie holte tief Luft und öffnete die Augen. Einige Meter von ihr entfernt war das Ufer. Das Wasser in ihren Lungen brachte sie zum Husten. Das Gefühl war unerträglich. Schnell schwamm sie zum Ufer, als sie spürte, dass sie ihre Kräfte wieder verließen. Ihre Finger krallten sich in das schlammige Flussufer und sie zog sich weiter hustend an Land. Als nur noch ihre Füße im Wasser waren, brach sie zusammen.

Larwenia 4 - Son Of Fear And ElementsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt