Da wir knapp unter einer Laterne standen, konnte ich Joker nun voll und ganz sehen. Ich sah jede noch so kleine Narbe in seinem sonst makellosen Gesicht, sowie zwei weitere Tattoos an seiner rechten Schläfe, einen Stern und schräg unter seinem linken Auge, ein ℑ. Auch die Schrift „Damaged“ konnte ich nun deutlich als tätowiert identifizieren. Wäre er nicht so ein grausamer Mensch gewesen, hätte er gar nicht schlecht ausgesehen.
„Was interessiert dich das?“Ich blinzelte ein paar Mal. Es war Nacht, nur circa zwölf Grad und ich lief in Top und Shorts herum. Außerdem hatte ich für mehrere Stunden im kalten Sand gelegen. Er begann seinen silbernen Blazer auszuziehen. Sein dunkelrotes Hemd kam somit komplett zum Vorschein.
„Hier.“ Er hielt ihn mir hin.
Skeptisch sah ich Joker an, nahm den Blazer aber schließlich entgegen und streifte ihn mir über. Seine Wärme überzog meinen Oberkörper und ein kleines Stück meiner Beine in Sekunden. Ich wollte das Gefühl ausblenden, doch konnte ich es nicht lang. Also nahm ich es einfach so hin wie es war. Ich drehte mich um, ohne mich von ihm zu verabschieden, geschweige denn zu bedanken. Wieso sollte ich es auch tun? Er hatte einen Menschen getötet. Meinen Simón.
Joker drehte sich um und lief zurück zu seinem Wagen. Auch ich machte mich wieder auf den Weg. Das Brummen des Motors durchbrach die Stille, die mich umgab wie ein schwarzer Schatten. Kurze Zeit später fuhr er an mir vorbei und verschwand in der Nacht.
Mir schwirrten tausend Fragen im Kopf herum, doch nun kam noch eine dazu: Warum ließ Joker mich gehen?Die Tränen, die mittlerweile schon wieder getrocknet waren, wurden von frischen eingeholt. Nun, da Joker endgültig weg war, ließ ich meinen Gefühlen wieder freien Lauf.
Ich hing definitiv noch an Simón. Das wusste ich auch vorher schon, doch jetzt war es für einfach alles zu spät. Wenn ich gewusst hätte, dass so etwas passieren würde, hätte ich alles anders gemacht.
Ich setzte mich an den Straßenrand, um eine kleine Pause zu machen. Ich war schon weit gekommen. Nach dieser Pause würde es noch eine halbe Stunde dauern, bis ich zu Hause war. Wenn ich schnell lief. Trotz meines starken Bedürfnisses auf Toilette zu müssen, trank ich noch einen Schluck Wasser, bevor ich mich aufrichtete und meinen Weg wieder aufnahm.
Der Mond, der mich bis dahin begleitet hatte, wurde von dicken Regenwolken verdeckt. Kurze Zeit später fing es an zu regnen. Und zwar, so wie es hier üblich war, nicht wenig.
„Toll. Ganz, ganz toll!“
Ich schloss den Blazer vor meiner Brust und verschränkte die Arme, damit er wenigstens für einen Augenblick geschlossen war. Weit über mir hörte ich ein Grummeln.
Gewitter.Als wäre ich nicht schon gestresst genug gewesen, musste ich nun auch noch vor dem sich anbahnenden Gewitter davon laufen. Ich versuchte mich zu beruhigen, indem ich einfach weiter lief. Schon bald würde ich die Innenstadt erreichen und von da aus waren es nur noch zwanzig Minuten. Die mittlerweile immer wieder auftretenden Donner und Blitze ließen mich zusammenschrecken. Ich hatte nichts gegen Gewitter, doch ob ich in meinem Zimmer oder auf der Straße, umgeben von nichts als Büschen, war, machte einen großen Unterschied aus.
Ich glaubte schon fast zu schlafen, als ich unter einer ungefähr dreihundert Meter weit entfernten Straßenlaterne ein Auto erkennen konnte. Die Scheinwerfer waren eingeschaltet, also ging ich davon aus, dass jemand darin saß.
Je näher ich diesem Auto kam, desto besser erkannte ich, wessen es war. Es war das von Joker. Wir befanden uns auf einer geraden Straße, ohne Abzweigungen oder Ähnlichem. Ich konnte also umdrehen und weglaufen, mich links in den Schlot werfen, oder mich der Situation stellen und riskieren, dass er mich schließlich doch entführte.Kurz bevor ich mich neben dem Wagen befand, öffnete er die Tür und trat auf die andere Seite, um die Beifahrertür zu öffnen.
„Steig ein.“, sagte er mit tiefer Stimme. Ich sah ihn an. „Eher nicht, danke.“, traute ich mich zu antworten. „Das war keine Bitte. Du steigst jetzt in den Wagen.“
Seine Worte waren kaum hörbar. Ich schüttelte den Kopf und trat einige Schritte nach links, bis ich an ein Gebüsch hinter mir stieß. Die kleinen Spitzen der Blätter bohrten sich in meine kalte Haut.
„Sofort.“ Joker drehte sich noch weiter zu mir und begann auf mich zuzulaufen. Ich wollte nicht, dass er mich jemals wieder berührte. Also lief ich vorne um den Wagen herum, zur geöffneten Beifahrertür. Er starrte mich unentwegt an.
Schließlich setzte mich auf den Beifahrersitz.
Joker setzte sich neben mich und startete den Motor. Schnell drehte ich mich zum Fenster und schaute gen Himmel. Ich konnte spüren, dass ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. „Ich fahre dich nach Hause. Ob du willst oder nicht.“
Ich nickte. Zu schwach, um mich mit ihm auseinander setzen zu können. Die Wärme des Autos hüllte mich ein und ließ mich noch müder werden.
„Wo muss ich lang?“, fragte er, zurück auf dem rechten Fahrstreifen angekommen.
Ich durfte ihm nicht meine richtige Adresse nennen, sonst hätte ich auf ewig Angst, er könnte dort, wann immer er wollte, aufkreuzen.
„Geradeaus über die Brücke, dann an der Kreuzung bei der Kirche links, sofort rechts und hinter der nächsten Kreuzung die zweite Straße links. Nummer sechs.“ Ich schnallte mich an.
Mit geschlossenen Augen saß ich da und hoffte, meine Nachbarschaft zu erblicken, sobald ich sie wieder öffnete.
„Ist dir noch sehr kalt?“, fragte Joker. Ich muss wohl noch gezittert haben, obwohl es in seinem Auto, im Gegensatz zu draußen, angenehm warm war. Ohne eine Antwort zu geben, spürte ich trotzdem, dass die Luft noch wärmer wurde.
Für einen Augenblick öffnete ich meine Augen und sah, dass er die Heizung auf die höchste Stufe gedreht hatte. Um ehrlich zu sein, verstand ich keine von Jokers Taten. Nicht einmal ansatzweise.
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Ende des 1. Kapitels
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She saw Beauty in his Darkness
Fanfiction„Dreh' dich um.", bekam ich von einer tiefen Männerstimme gesagt. Ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen und gab ein Stoßgebet von mir, bis ich mich umdrehte und vor dem Mann stand. Durch die schlechten Lichtverhältnisse konnte ich ihn kaum...