Kapitel 6

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Misstrauisch schlägt Alice die Augen auf. Es ist warm und sie liegt auf etwas Weichem. Es fühlt sich gut an. Zu gut, um wahr zu sein. Sie starrt auf eine weiße Decke. Weiß? Seit wann gibt es im Keller Licht? Sie dreht den Kopf. Neben ihr liegt ein Mann. Ein laut schnarchender Mann. Alexander Blake. Jetzt erinnert Alice sich.

Ein Blick auf den Wecker, der auf dem Nachttisch steht, verrät ihr, dass es sechs Uhr morgens ist. Sie beschließt aufzustehen. Vorsichtig, weil sie Alexander nicht aufwecken will, schlägt sie ihre Decke zur Seite und steht vorsichtig auf. Im Spiegel vor sich sieht sie eine junge Frau mit zerzausten Haaren und einem schwarzen, sehr knappen Spitzennachthemd. Alice gräbt ihre nackten Zehen in den weichen Teppich und fährt sich mit den Fingern durch die Haare. Dann geht sie zur Tür. Möglichst sanft drückt sie die Klinke herunter. Die Tür geht nicht auf.

„Echt jetzt?!", stöhnt sie und setzt sich frustriert vor die Tür.

Offensichtlich war sie zu laut, denn Alexander steht plötzlich vor ihr und schaut sie fragend an.

„Ich komme nicht raus", meint Alice trocken.

„Das sehe ich", entgegnet Alexander, „statt hier herum zu schimpfen, könntest du mich einfach nach dem Schlüssel fragen."

„Dürfte ich bitte den Schlüssel haben?", fragt Alice mit zuckersüßerStimme.

Kopfschüttelnd schließt Alex auf.

Bevor sie den Raum verlässt, stockt Alice: „Warum schließt du dieTür überhaupt ab, wenn es nicht dazu dient, mich einzusperren?"

„Es geht nicht darum, dass ich nicht will, dass du nicht heraus kommst. Ich will nicht, dass jemand herein kommt."

Irritiert schaut sie ihn an.

„Ich habe Feinde", erklärt Alexander, „Schließlich bin ich einrelativ mächtiger Mann."

„Aha",sagt sie noch, dann geht Alice aus dem Zimmer.

Sie steht in einem ungefähr zwanzig Meter langem Flur mit einigen Türen. Sie würde später herausfinden, was sich dahinter befindet. Alice geht auf die große Marmortreppe zu. Als sie heruntergeht, streifen ihre Finger das goldene Treppengeländer.

Sie verläuft sich nur vier Mal bis sie die Küche gefunden hat. Eine Frau im Dienstmädchenoutfit steht am Herd und scheint ein herhaftes Frühstück vorzubereiten.

„Guten Morgen, Frau Blake", begrüßt sie Alice fröhlich.

Alice nickt ihr zu und setzt sich auf einen der Barhocker, die um einen kleinen, hohen Tisch herumstehen. Ihr ist es recht, schon „Frau Blake" genannt zu werden. So hat sie mehr Distanz zu ihren Eltern.

„Möchten Sie schon etwas frühstücken?", fragt die Frau.

„Ich hätte gerne einen Kaffee."

„Normal?"

„Wie geht denn nicht normal?"

„Latte Macchiato, Cappuccino, Espresso... Alles, was Sie möchten."

„Was um alles in der Welt ist das alles?"

Die Frau sieht sie kritisch an: „Sie wissen es wirklich nicht, oder?"

„Nein, aber ich hätte jetzt gerne einen Kaffee. Schwarz."

Wortlos geht die Frau zur Kaffeemaschine, die ein riesiger, silberner Kasten ist. Mit großen Augen schaut Alice zu, wie ihr Kaffee gemacht wird. Nach fünf Minuten Getöse stellt die Frau ihr eine kleine Tasse Kaffee hin.

„Wie heißen Sie eigentlich?", fragt Alice während sie ihren Kaffee schlürft.

„Inga, ich bin hier als Köchin eingestellt."

Damit ist das Gespräch wieder beendet.

Irgendwann kommt Alexander in die Küche. Ein gemurmeltes „Guten Morgen" geht durch die Küche. Er trägt einen dunklen Anzug und hat eine Aktentasche unterm Arm. Inga stellt ihm einen Kaffee „to go" hin und er nimmt ihn und verschwindet wieder aus der Küche.

Erst spät am Abend kommt er wieder. Alice hat den Tag genutzt, das Haus zu erkunden und das Personal kennen zu lernen. In ihrem Hinterkopf manifestiert sich weiterhin ihr Racheplan.

Nur noch vier Wochen bis zur Hochzeit.


Die 28 Tage verlaufen alle nach dem gleichen Prinzip. Alice steht um sechs Uhr auf, Alexander geht um halb sieben zur Arbeit und kommt abends um zehn Uhr wieder. Alice vertreibt sich die Tage mit Lesen, Einkaufen, weil sie ja keine Anziehsachen besitzt, aber vor allem damit, an ihrem Racheplan zu arbeiten.

Der 21. Juni kommt schneller als gedacht.

Rising EvilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt