Kapitel 22 Kein Ende in Sicht

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Sherlock


Nachdenklich sitze ich anmeinem Schreibtisch, als mein Chef in mein Büro kommt und sichdirekt vor mich stellt. Er sieht gestresst aus, seine Haare sindzerzaust und sein Anzug ist zerknittert. An seiner Stirn bildet sichein einzelner Tropfen Schweiß.

„Sherlock", beginnter, während er versucht seine Haare mit seiner Hand zu glätten,„Ich habe schlechte Neuigkeiten. Wir haben ein weiteres Opfer."

„So schnell?", frageich erschrocken. Ich hatte gehofft, ich hätte mehr Zeit.

„Ja, es ist eine jungeFrau. Sie wurde auch im Park ermordet. Am besten fahren Sie sofortlos und begutachten den Tatort."

„Natürlich",antworte ich, stehe eilig auf und nehme beim Hinausgehen meinenMantel vom Haken. Mein Chef folgt mir und erklärt mir im Gehen nochein paar Deteils. Als ich an der Tür nach draußen angelangt bin,meint er noch: „Sherlock?"

„Ja, Chef?" Fragendziehe ich eine Augenbraue hoch.

„Fangen Sie diesenMistkerl, bevor wir alle tot sind."

Ich nicke und verlassedie Polizeistation. Beim Gehen ziehe ich meinen Mantel an und suchein den Taschen nach meinem Autoschlüssel. Mit einem Aufblinken derLichter signalisiert mir mein Golf, dass er offen ist. Ich bin mirsicher, dass diese alte Klapperkiste bald auseinander brechen wird,aber bis es so weit ist... Bis zum Park sind es mit dem Auto nurzwanzig Minuten und so bin ich im Park, bevor die Spurensicherungfertig ist. Langsam nähere ich mir der abgesteckten Stelle undschaue vorsichtig zwischen den Zweigen eines Busches hindurch. Dortliegt blutüberströmt eine junge Frau. Ihre braunen Locken verdeckennur zur Hälfte ihren verzweifelten Gesichtsausdruck und die leeren,toten, noch vor Schreck geweiteten, blauen Augen. Ihr Hals istaufgeschlitzt und auf ihrer Brust hat sich ein dunkelroter Fleckgebildet. Auf ihrem Mantel wurde offensichtlich irgendein blutigerGegenstand abgewischt. Es ist schon verstörend, wie sie da liegt. Ineiner rubinroten Pfütze aus ihrem eigenen Blut mit diesemGesichtsausdruck der absoluten Hilflosigkeit. Ich komme nicht umhinzu vermuten, dass es genau das ist, was der Mörder erreichen wollte.Für ihn ist es wahrscheinlich ein Kunstwerk. Dass der zweite Mord soschnell auf den Ersten erfolgt ist, bedeutet nichts Gutes. ImGegenteil. Es bedeutet, dass wir zwischen den Morden nur einen tagZeit haben. Wenn überhaupt... Kalt läuft es mir den Rückenherunter. Bei diesem Fall hatte ich schon von Anfang an ein ganzmieses Gefühl.

Ich fahre zusammen mitder Leiche in die Gerichtsmedizin. Ich warte, bis ein Mann im weißenKittel zu mir kommt. Er hat blonde Locken und grüngraue Augen. Ichschätze ihn auf Mitte Dreißig. Förmlich nickend gibt er mir dieHand und sagt: „Hallo, Herr Müller. Ich bin Doktor Witter. Siewollen sicher etwas über Ihre Leiche erfahren, nehme ich an?"

Ich nicke: „Ja. Ichglaube, wir hatten auch gestern schon telefoniert." Er kommentiertdiese Aussage mit einem kurzen Nicken. Offensichtlich nickt er gerne.

„Also", setze ichwieder an, „Was können Sie mir denn über meine Leicheerzählen?"

„Es handelt sich umeine Frau. Sie war ungefähr 27 Jahre alt. Ihr wurde der Halsdurchschnitten und das Herz durchstochen. Wir nehmen an, dass dieMordwaffe ein Messer war. Im Vergleich zu dem Mann gestern, sieht sienicht so schlimm aus."

Ich notiere mir alles aufmeinem Block, aber das mache ich nur zur Show. Ich habe noch nieetwas vergessen. Deshalb bin ich ja auch so gut in meinem Job. Ichbedanke mich und fahre zurück zur Polizeistation, um herauszufinden,wer die Frau war. Wie ich es doch liebe, die Familien zuinformieren...


„Guten Tag", begrüßeich den jungen Mann, der mir die Tür geeöffnet hat und halte ihmmeine Dienstmarke entgegen, „Ich bin von der Kriminalpolizei. Darfich reinkommen?"

Erschrocken macht ereinen Sprung zur Seite, sodass ich eintreten kann.

„Ist was passiert? Gehtes meiner Tochter gut? Geht es Michelle gut?", fragt er michaufgelöst.

„Bitte setzen Siesich."

Er setzt sich.

„Darf ich annehmen,dass Sie der Ehemann von Michelle Schuhster sind?"

Der Mann nickt langsam:„Ja, genau. Ich bin Frank Schuhster. Bitte sagen Sie mir, was losist!"

„Ich muss Ihnen leidermitteilen, dass Ihre Frau heute Morgen ermordet worden ist. Es tutmir sehr Leid." Das ist das Schlimmste überhaupt an meinem Job.Ich hasse es.

Entsetzt schaut mich derMann an. „Das das ist nicht Ihr E-ernst...", stottert er leiseund vergräbt sein Gesicht in seinen Händen. Ich lasse ihm kurzseinen Freiraum und schweige. Nach einiger Zeit schaut er auf. Inseinem Augen sehe ich glitzernde Tränen. Schluckend fragt er mich:„Wer war es? Wer würde Michelle umbringen?" Sein Gesichtausdruckwandelt sich von traurig zu wütend. „Sie war so ein guter Mensch!Oh Gott! Wir haben eine Tochter! Sie ist erst fünf! Soll sie jetztohne Mutter aufwachsen?! Was soll ich ohne Michelle denn jetztmachen? Sie müssen diesen Mistkerl schnappen! Er muss bezahlen fürdas, was er getan hat!", schreit er durch das Wohnzimmer. Ich kannnichts tun. Ich kann ihn nur betroffen und mitleidig anschauen. Amschlimmsten ist, dass ich jetzt mit meinem Fragenkatalog fortfahrenmuss.

„Es tut mir wirklichsehr Leid, Herr Schuhster. Natürlich setzen wir alles daran, denMörder zu finden. Können Sie uns vielleicht Hinweise geben?"

„Hinweise?" Er gucktmich an, als wäre ich geistesgestört.

„Hatte MichelleFeinde?"

„Feinde?" Ich hassees, wenn Leute meine Fragen wiederholen.

„Ich meine, gibt esjemanden, der ein problem mit Ihrer Frau hatte oder einen Grund, sieumzubringen?"

„Nein!", schreit er,„Sie war ein herzensguter Mensch. Jeder mochte sie. Sie hatte keineFeinde."

„Ok", sage ich undstehe auf, „Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie michbitte an." Während ich das sage, drücke ich ihm meineVisitenkarte in die Hand. Ich verabschiede mich und verlasse dieWohnung. Meine Stimmung ist im Keller. Ich hole eine Zigaretteheraus, zünde sie an und nehme einen tiefen Zug. Langsam stoße ichden Rauch wieder aus und schließe die Augen. Was für einbeschissener Tag!

Am liebsten würde ichjetzt zu Alice Blake fahren, aber mein Chef bringt michwahrscheinlich um, wenn ich schon wieder bei Alexander Blakeaufkreuze. Schade eigentlich, aber es ergibt sich bestimmt nochmaleine Möglichkeit sie zu sehen. Zumindest hoffe ich das.

Rising EvilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt