Kapitel 4

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Irgendwann ist „morgen", denn Schritte kommen die Treppe hinab und ihre Mutter öffnet die Tür.

„Komm!"

Langsam steht Alice auf und folgt ihr. Die Treppe hinauf, ins Wohnzimmer. Goldenes Sonnenlicht strahlt durch die Fenster in den Raum. Alice blinzelt. Sie hat schon ewig keine Sonne mehr gesehen.

„Mach ja keinen Ärger. Und jetzt setz dich an den Küchentisch. Es gibt Brötchen und Orangensaft", meint ihr Vater.

Alice lässt sich das nicht zweimal sagen. Sie hat schon ewig nichts vernünftiges mehr gegessen. Das Frühstück verläuft schweigsam. Alice greift nach der Zeitung und tatsächlich hält sie keiner auf. Es ist der 24. Mai 2016. Das heißt,  Alice ist mittlerweile zwanzigJahre alt. Im Oktober würde sie einundzwanzig werden. Interessiert liest sie die ganze Zeitung.  Als sie fertig ist, nimmt ihre Mutter sie mit nach oben. Alice darf duschen und ihre Mutter gibt ihr einen schwarzen Rock und dazu ein schwarz weißes Top. Mit ihren dunkelbraunen, welligen Haaren sieht das Outfit eher unspektakulär aus. Unsanft drückt ihre Mutter sie auf den Stuhl vor dem Schminktisch. Früher hatte Alice den gleichen, gesunden Hautton wieihre Mutter, aber durch die Jahre im Keller ist ihre Haut nun sehr bleich. Ihre Mutter scheint das bedacht zu haben, denn sie hat extra hellere Schminke gekauft. Nach einer Viertelstunde sieht Alice schon fast wieder wie ein normaler Mensch aus. Ihre Augenringe sind überdeckt, ihr ungesunder Hautton mit Make-up verändert, die eingefallenen Wangen mit Rouge aufgehübscht, die Wimpern getuschtund die Lippen mit rotem Lippenstift überzogen. Ein bisschen Puder, damit ihr Gesicht nicht glänzt. Sie bekommt sogar schwarzen Nagellack auf die Fingernägel. Ihre Haare werden zu einem Dutt zusammengebunden. Zum Schluss noch Deo und Parfum, silberner Schmuck und schlichte, schwarze Ballerinas. Kritisch betrachtet Alice ihr Spiegelbild. Sie ist nicht beeindruckt von dem, was sie sieht. Kommentarlos führt ihre Mutter sie die Treppe hinab. Als sie unten ankommen, klingelt es.

„Gerade rechtzeitig", meint ihre Mutter erleichtert.

In der Tür steht ein großer Mann. Er hat hellbraune Haare und eiskalte, blaue Augen. Er trägt einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine dunkle Krawatte. Zur Begrüßung nickt er Alice zu, wobei sich sein ernster Gesichtsausdruck nicht verändert.

„Guten Tag, Herr und Frau Tok. Alice, wenn Sie mich nun begleiten würden."

Wortlos folgt Alice ihm nach draußen. Vor ihrem Haus steht ein schwarzer Mercedes. Er hält ihr die Beifahrertür auf und Alice steigt ein. Danach setzt er sich auf den Fahrersitz und startet den Motor. Während er losfährt, meint er: „Hallo Alice. Ich bin Alexander Blake." Seine Stimme klingt tonlos und es sind keine Emotionen in ihr erkennbar.

„Ich muss mich ja offensichtlich nicht mehr vorstellen", bemerkt Alice trocken.

Als Quittung bekommt sie ein kurzes, kaltes Lachen.

„Ich glaube, du gefällst mir, Alice."

„Sind wir jetzt schon beim Du?"

„Allerdings. Wir sind ja auch schon fast beim gleichen Nachnahmen."

„Na dann, freut es mich deine Bekanntschaft zu machen, Alex."

„Die Freude ist ganz meinerseits."

„Bekomme ich einen Verlobungsring?"

„Für die kurze Zeit bis unserer Hochzeit?"

„Dann eben nicht."

„Wenn du einen haben möchtest, bekommst du einen. Ist wahrscheinlich auch besser so. Wegen der Presse."

„Perfekt."

Und Alice meint wirklich perfekt. Es fügt sich alles so, wie sie es möchte. Sie schaut aus dem Fenster und ist dabei fast schon entspannt.

Rising EvilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt