Williams Past

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 Ai rannte durch den Korridor der Abteilung und achtete nicht auf die Shinigami, die sie unabsichtlich anrempelte. Sie wischte sich die Tränen weg, doch es kamen immer mehr.
„Wieso zum Teufel muss ich es auf diese Art und Weise und vor allem in einer solchen Situation erfahren? William hatte mich bereits nach der Geburt auf dem Gewissen."
Als sie auf einmal schnelle Schritte hören konnte, blickte sie kurz nach hinten und konnte ihren Meister erkennen. Sofort legte sie an Tempo zu, doch William war ihr dicht auf den Fersen.
Als sie wieder nach vorne blickte, rannte sie geradeswegs in Kaoris Arme, die sie überrascht ansah. „Ai...was...was zum...was ist denn los?"
Doch das weisshaarige Mädchen war nicht imstande irgendetwas zu sagen. Ängstlich sah sie sie an, riss sich los und rempelte Ronald an, bevor sie weiterrannte.
„Hey! Ai warte?!" rief der schwarz-blonde Shinigami und als William an ihm vorbeirannte, schüttelte er nur verwirrt den Kopf.
„Was geht den hier ab?" fragte Grell und kratzte sich am Hinterkopf.
„Habt ihr...habt ihr Ais Blick gesehen?" fragte Kaori und sah den beiden hinterher. „Das...so habe ich sie noch nie..."

Verwirrt blickte das Mädchen hin und her, als sie schliesslich Williams Appartement entdeckte und geradeswegs darauf zusteuerte. Doch kaum war sie in der Wohnung, wurde sie von William überwältigt. Mit einem kleinen Aufschrei ihrerseits landeten beide zu Boden. Die Türe knallte zu.
Sie konnte sich kein Zentimeter bewegen, stattdessen spürte sie sein ganzes Gewicht. „La...Lassen Sie das" rief sie und versuchte sich zu befreien, doch William dachte nicht daran sie loszulassen
„Erst bringst du mich dazu, dich durch die halbe Abteilung zu jagen" sagte er und keuchte leise. „Und jetzt rebellierst du..." Er packte ihre Handgelenke und drückte diese zu Boden, während seine Lippen zu ihrem Ohr wanderten
„Ich weiss wie hart das für dich ist" raunte er ihr zu. „Auch ich habe Überwindung gebraucht, dir diese Geschichte zu erzählen."
Ai keuchte heftig, doch sie hatte aufgehört sich zu bewegen.
„Ich bitte dich darum mir zuzuhören. Schliesslich wolltest du doch mehr über deine Vergangenheit erfahren. Die Wahrheit ist hart, dennoch..." sagte er und richtete sich auf, kniete aber immer noch über ihr.
„...nach all dem was passiert ist, hast du es, im positivem Sinne, verdient."
Er stand auf, richtete sich die Brille und streckte ihr die die Hand entgegen. Ai starrte ihn an. Zögerlich nahm sie seine Hand und wurde im nächsten Moment an seine Brust hochgezogen. Sofort schlang er seinen rechten Arm um ihre Taille, während seine andere Hand ihr Kinn anhob, sodass sie ihm geradeswegs in die Augen sehen konnte.
Völlig überwältigt von seiner Berührung, rührte sie sich nicht.
„Ich habe mich überwunden" sagte er leise. „Jetzt musst auch du bereit dafür sein, Ai."
Das Mädchen kniff die Augen zusammen und die letzten Tränen benetzen ihre Wangen, die William gleich darauf sanft wegwischte. Er schwieg, während Ai sich mental auf seine Worte vorbereitet.
„Und nun, hör mir bitte ganz genau zu..."

06.06.1995

Der Regen prasselte auf ihn herab. Sein nasses Haar klebte an seiner Stirne und Schläfe.
Sein Gesichtsausdruck...emotionslos...hart...
Seine rechte Hand umklammerte die Baumschere so fest, dass er leicht zitterte.Das herzzerreissende Geschrei des Säuglings liess ihn vollkommen kalt.
„Du hast mir alles genommen" dachte William und hob seine Todessense.
„Mein Leben...Meine Liebe..."
Er zielte auf ihr Herz. Die kleine Ai weinte bitterlich und streckte ihm ihre Arme entgegen. Ein rotes und ein grünes Auge blickten ihn an. Ihr schwacher, zierlicher Körper war nass und blutüberströmt.
Kein Tuch hielt sie warm. Ihre Lippen waren bereits blau geworden.
„Willst du das wirklich tun, junger William?"
Der Shinigami brauchte nicht aufzusehen um zu wissen, dass Undertaker einige Meter vor ihm stand.
„Ich darf sie nicht am leben lassen!" rief William, kämpfte innerlich jedoch mit sich selber.
„Ich habe den Auftrag bekommen und ich werde ihn ausführen..."
Undertaker begann zu lachen und richtete sich die Brille.
„Worauf wartest du dann noch?"
Der Blitz zuckte durch den Himmel, gefolgt vom ohrenbetäubenden Donner.
„Gib es zu, du machst das mehr für dich als für die Ehre der Shinigami. Aber sieh sie dir doch mal genauer an" sagte der Bestatter. „Sie befindet sich noch keine Stunde in der grausamen Aussenwelt, getrennt von ihrer Mutter, ohne jede Chance zu überleben."
Williams Blick wanderte zur schlecht durchtrennten Nabelschnur des kleinen Babys.
„Wenn du noch länger zögerst, wird sie qualvoll sterben..." setzte Undertaker fort und streckte seine Hand aus um einige Regentropfen aufzufangen.
„Der Wind, der Regen und die Kälte werden sie umbringen..." er hob seinen Finger und zeigte auf ihn.
„Es sei denn...du kannst es nicht."
Williams Hände zitterten. Sein Gesicht wurde immer wie zorniger und ihr Geschrei liess sein Herz vor Wut rasen. Warum? Warum zögerte er...?
Undertaker grinste triumphierend, als William sich plötzlich abwandte und schwach auf die Knie sank.
Seine weit aufgerissenen Augen starrten ins Leere, während seine Hand die Death Scythe immer noch fest umklammert hielt.
Undertaker kam auf den Säugling zu, kniete sich nieder, nahm ein Tuch hervor und bettete die kleine Ai in seine Arme.
„Du wirst diese Entscheidung nicht bereuen, William" sagte er und wandte sich ab, überliess dem jungen, noch unerfahrenen Shinigami der Verzweiflung und dem innerlichen Kampf...


„Undertaker verriet mir nicht, wohin er dich gebracht hatte" sagte William. Während Ai nun auf der Couch sass, stand William am Fenster und starrte nachdenklich hinaus. „Er hatte dich beschützt. Und hätte ein Shinigami deine Spur entdeckt, hätte er sich um die ungebetenen Gäste gekümmert."
Ai sass auf der Couch und hatte die Arme um sich gelegt. Die ganze Zeit über hatte sie geschwiegen und nur seinen Worten gelauscht.
„Undertaker?" flüsterte sie ungläubig. Sie blickte zu ihm, doch er schien in Gedanken versunken zu sein. „Warum Undertaker?"
William richtete sich die Brille. „Undertaker hat väterliche Gefühle für dich. Für ihn, bist du wie eine Tochter und er trug freiwillig die Verantwortung für dich. Er wollte auch für dich da sein, aber es war leider nicht immer möglich gewesen, deshalb reiste er mindestens ein Mal im Jahr in die Zukunft, immer an deinem Geburtstag, um ein paar Fotos von dir zu machen, die er mir schliesslich zeigte."
Ai sah ihn auf einmal so verdutzt an, dass er leicht rot um die Nase wurde. Räuspernd richtete er sich die Brille. „Nun ja, er zeigte sie mir gegen meinen Willen...Als er dich versteckt hatte, trat er vor dem Direktor um uns allen mitzuteilen, dass er über dein Leben stehen würde. Ich war nicht der einzige, der in dem Moment Zorn empfand. Die Shinigami starteten unendlich viele Versuche dich zu finden und zu eliminieren, scheiterten jedoch kläglich."
Ai schluckte hart. Ohne es so empfinden zu wollen, waren seine Worte wie viele kleine Ohrfeigen. Doch sie blieb ruhig. Sie konnte nichts sagen.
„Einzig und allein ich hielt mich noch im Hintergrund auf mit dem Ziel, dich eines Tages als erster zu finden und zu töten."
„William!" rief Ai plötzlich und war auf den Beinen. „Ich kann es nicht mehr hören! Ich kann nicht mehr." Tränen standen ihr wieder in den Augen.
„Du tust mir weh, William."
Der Shinigami drehte sich um und sah wieder das kleine Mädchen, das man alles genommen hat. Die Liebe der Eltern, die Kindheit, die Lebensfreude.
Er kam auf sie zu, doch Ai wich zurück, was dazu führte, dass er sofort stehen blieb.
„Ai, hör mir doch bis zum Ende zu" sagte er sanft. „Ich will dich nicht belügen um dich zu verschonen. Du musst die ganze Wahrheit erfahren" Mit diesen Worten streckte er seine Hand aus.
„Bitte, Ai, komm zu mir. Ich will nicht, dass du Angst vor mir hast."
Ai sah ihn nicht an, fürchtete sich auf einmal vor ihrem Geliebten. Obwohl sie im Hinterkopf wusste, dass es völlig absurd war Angst zu haben. William liebte sie.
Er wagte es nicht ihr näher zu kommen, deshalb liess er sich auf seine Couch nieder und legte die Hände ineinander.
„Du fragst dich sicher wie ausgerechnet ich dich finden konnte" fuhr er unaufgefordert fort. „Es war dein dämonischer Duft, den ich mir nach unserer ersten Begegnung eingeprägt habe."

„Warum zögern Sie, Mr. Spears? Sie haben Ai Nakamura gefunden, wissen Sie was das bedeutet? Wir können die Herrschaft der Unterwelt beenden. Wenn Ai Nakamura nicht mehr existiert, brauchen wir auch keine Angst mehr zu haben, dass unser Shinigami Blut verunreinigt wird" sagte der Direktor und lächelte triumphierend. William blickte mit emotionslosem Gesichtsausdruck zurück. „Ich weiss es beim besten Willen nicht, warum ich zögere, Mr. Tyler" sprach er leise und es war die reine Wahrheit. Endlich, nach all den Jahren des Suchens, hatte er Ai wieder gefunden. Doch warum zögerte er abermals? Diese Frage konnte er selbst nicht beantworten.
„Nun, vielleicht kann ich diese Frage beantworten. Es ist Miyuku Nakamura, nicht wahr?"
William schwieg, was Ethan Tyler seufzten liess.
„Sie müssen diese Frau vergessen, Mr. Spears. Miyuku ist eine abtrünnige Shinigami. Sie wird nie wieder zu Ihnen zurückkehren. Wenn ich Sie losschicke, erwarte ich eigentlich von Ihnen, dass Sie den Auftrag ohne unschlüssig zu sein ausführen. Luzifers Tochter muss getötet werden, dass wissen Sie ganz genau, egal ob es die Tochter Ihrer damaligen guten Freundin war."
William sagte kein Wort. Es war ihm Leid andauernd diese Kommentare zu hören. Er richtete sich die Brille.
„Verstanden!"


Der sanfte Windhauch liess die Blätter davon wehen. William stand vor einem kleinen Häuschen, weit ausserhalb des Dorfes Ito, im 21. Jahrhundert.
Seine Uhr zeigte 08:00. Die rechte Hand umklammerte die Todessense und er hatte sich für die Menschenwelt unerkannt gemacht.
Sein Herz schlug schnell und unregelmässig. Heute war der 06.06.2012.
Ihr 16. Geburtstag.
Auf der Veranda des kleinen Häuschens sass eine schwarze Katze und schien auf etwas zu warten. Er wollte gerade einen Schritt aufs Haus zugehen, als sich die Türe auf einmal öffnete und ein Mädchen mit langen weissen Haaren heraus schritt. Sofort hielt William inne und starrte sie mit grossen Augen an.
War sie es tatsächlich? Ai Nakamura?
Das Mädchen trug ein kurzes, schulterfreies Sommerkleid mit abgedruckten Rosen und einer Schleife auf der Brust. In ihren Händen trug sie jeweils eine Schale mit Milch und Futter.
„Chiyu...wo warst du denn letzte Nacht, ich war so besorgt" rief sie vorwurfsvoll und stellte die Schalen vor der Katze ab, die sich sofort über das Mahl hermachte. „Na na na, nicht so schnell, sonst kriegst du wieder Bauchschmerzen und ich habe kein Geld für weitere Besuche beim Tierarzt" fügte sie noch hinzu und streichelte sie sanft.
William hatte nicht ein einziges Mal geblinzelt, seit sie aus dem Haus war.
Blutjung und...
Er wich ein Schritt zurück. Das Mädchen war aufgestanden und blickte genau in seine Richtung. Der Wind spielte mit ihren Haaren.
Seine Finger wurden auf einmal kraftlos und seine Death Scythe fiel auf den weichen Boden.
...wunderschön~
Obwohl sie ihn nicht sehen konnte, hatte er das Gefühl sie könne direkt in sein Herz blicken. Ihre Augen, die noch nichts Böses gesehen hatten, verloren sich in der Ferne.
Ein sanftes Lächeln zierte auf einmal ihr hübsches Gesicht und er wandte sich sofort ab. Warum zum Teufel, schlug sein Herz so schnell. Sie war ein Dämon! Nichts weiter als eine abscheuliche Kreatur.
Das hatte er nicht erwartet. Seine Hand legte sich auf seine Brust und als er sich wieder umdrehte, stand er vor einer leeren Veranda.
Sollte er reingehen? Das Haus betreten um im nächsten Moment ein Blutbad anzurichten?
Nein!
Er konnte nicht. Wieder sagte ihm eine Stimme, dass dies falsch war.
„Ai...Nakamura..." sagte er leise. Und sein Herz schlug Purzelbäume als er ihren Namen nannte.
„Nein, ich kann nicht!"
Schnell hob er seine Todessense und begann zu rennen.
Weg von diesem Ort
Weg von ihr...


„Ich wusste es schon damals, Ai..." sagte er leise und sah sie wieder an.
„Was haben Sie schon gewusst?" fragte Ai und ihre Stimme zitterte. So schnell, dass sie es kaum sehen konnte, stand William auf und zog sie an sich. Schlang seine Arme so fest um sie, dass ihre Bemühungen sich zu befreien, sinnlos waren.
„Ich wusste schon damals, dass du mich eines Tages beherrschen würdest. Und ich behielt Recht. Obwohl ich versucht hatte dich mit Strenge und Kälte in Ketten zu legen. Schlussendlich warst du es, die die mich in Ketten schloss." Er spürte ihr Herz wild schlagen und presste seine Lippen zusammen. Er wollte ihr nicht weh tun, das war gewiss nicht sein Ziel gewesen, aber was hätte er tun sollen? Sie weiterhin belügen, als ob nichts wäre? Nein, das wäre ihr gegenüber unfair gewesen...
„Hin und her gerissen von dem Wunsch mich zu rächen und von den Gefühlen die mich vollkommen unter Druck setzen, entschloss ich mich dazu es hinter mir zu bringen...und den Rest der Geschichte kennst du bereits."
Mit jedem Wort drückte er sie mehr an sich, hatte grosse Angst sie würde sich plötzlich einfach von ihm abwenden und gehen. Das wollte er nicht. Ai gehörte an seiner Seite...ohne sie würde ein Teil von ihm fehlen.
„Und jetzt bin ich froh, dass du lebst und an meiner Seite bist." Er nahm ihre kalte Hand und hielt sie fest. „Undertaker hatte Recht. Jetzt bereue ich nichts mehr, ausser die Nacht in der ich deine Seele nehmen wollte. Hätte der blutrote Mond nicht geschienen, du wärst nicht mehr am Leben gewesen."
Seine Stimme wurde leiser. „Undertaker hatte über dich gewacht. Sechzehn Jahre lang, bevor er dich schliesslich meiner Obhut überliess. Etwa 6 Tage nachdem ich dich bei uns aufgenommen habe, hatten wir ein Gespräch gehabt."

Undertaker sass gemütlich in seiner Stube mit der Keksurne in seinen Händen und einem Lächeln auf den Lippen.
„Und wie geht es ihr?"
Der Aufsichtsbeamte richtete sich die Brille und sah ihn eiskalt an.
„So weit, so gut" antwortete er knapp.
„Earl Phantomhive hat mir bereits erzählt, dass sie bei den Shinigami aufgenommen wurde und Sie nun ihr Meister und Mentor sind."
„Bedauerlicherweise, ja!"
„Aber aber, William" kicherte er. „Seien Sie doch nicht so kalt!"
„Sie ist mehr Dämon als Shinigami!" zischte er und runzelte die Stirne. „Ausserdem tollpatschig, unpünktlich und extrem scheu. Alles muss ich ihr aus der Nase ziehen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie schwer von Begriff ist!"
Undertaker schnalzte mit der Zunge. „Na na na..." tadelte er. „Seien Sie nicht so hart, Sie verschrecken das arme Kind noch."
William zeigte mit seiner Death Scythe leicht auf ihn. „Sie bringen es auf den Punkt. Sie ist wirklich noch ein Kind."
Der Bestatter kicherte und hob den Finger.
„Aber hübsch, nicht wahr?"
Darauf antwortete der Shinigami nicht, sondern sah einfach nur weg, was Undertaker grinsen liess. „Das haben Sie wohl nicht erwartet."
„Es interessiert mich keineswegs" zischte William, doch seine Wangen hatten einen hauchfeinen Rotton angenommen, den Undertaker nicht übersah.
„All diese kleinen Dinge wie Unpünktlichkeit, Tollpatschigkeit oder Schüchternheit machen sie doch nur sympathisch. Konnten Sie denn wirklich nichts Positives an ihr finden?" fragte er und trieb den jungen Shinigami so langsam in die Enge.
William schwieg einige Sekunden.
„Fleiss" sagte er dann schliesslich. „Sie ist sehr fleissig."
Undertaker nickte. „Fangen Sie doch einfach an sie in aller Ruhe zu ermahnen, wenn ihre Tollpatschigkeit Sie wirklich so nervt."
William sah ihn nicht an.
„Ai ist klug und hübsch. Passen Sie auf, dass sie Ihnen nicht den Kopf verdreht" lachte er auf einmal los, was William zwei Adern auf der Stirne kreuzen liess.
„Wenn sie es nicht bereits getan hat" fügte der Bestatter noch vergnügt hinzu und stellte seine Keksurne ab.
„Ich kann sie also getrost in Ihre Hände geben. Passen Sie gut auf sie auf und Sie werden vielleicht mit einer neuen Liebe belohnt..."


Ai starrte ihn mit rotem Gesicht an.
„Wa...was?!" stotterte sie und William lockerte seinen Griff etwas, behielt sie jedoch in seine Arme.
„Ich habe das Gefühl, dass er gewusst hatte, dass wir, beziehungsweise, dass ich dir nicht wiederstehen kann" sein Blick wanderte von ihren Augen, hinunter zum Schlüsselbein bevor er wieder wegsah, sich ganz löste, hinsetzte und die Hände ineinander legte. Zögerlich sass sich das weisshaarige Mädchen neben ihn.
„Also stand Undertaker wirklich die ganze Zeit hinter mir... mein ganzes Leben lang?"
William nickte. „Ja...Aber was ihn dazu gebracht hatte, das weiss ich nicht."
„Und wo ist meine Mutter? Warum bin ich nicht bei ihr?" fragte das Mädchen und sah ihn mit grossen erwartungsvollen Augen an.
Statt eine ganz normale Antwort zu geben, nahm William das Lebensbuch und schlug die letzte Seite auf. Sofort wurden ihre Augen gross, als sie ein reingemaltes, goldenes Lesezeichen des Todes erkennen konnte.
„Undertaker selber gravierte dieses Lesezeichen ein, sodass wir nicht herausfinden konnten, wo sich Miyuku aufhielt und in welcher Lage sie sich befand. Das goldene Lesezeichen hindert uns die Person aufzuspüren. Mit welchen Hintergedanken Undertaker gearbeitet hatte, kann ich dir nicht sagen. Ich weiss nicht einmal ob deine Mutter überhaupt noch lebt, aber vielleicht ist das auch gut so." Seine Stimme wurde leise. „Wenn ich genau wissen würde, dass sie lebt...ich würde sie aufspüren und zur Rede stellen."
Wie nachdenklich er klang. Ai fühlte sich überhaupt nicht wohl bei seinen Worten. Liebte William sie wirklich...oder sah er in ihr ein Ersatz? Ein Ersatz der Miyuku sogar noch sehr ähnlich sah.
Als ob William ihre Geistesgüter lesen konnte, schüttelte er den Kopf und legte seine Hand sofort auf ihre. „Vergiss diesen Gedanken auf der Stelle, Ai!" sagte er mit Nachdruck in der Stimme und sah sie fest an. Ai erschrak sich so heftig, dass sie nicht wagte ein Wort zu sagen. Er näherte sich ihrem Gesicht ohne den Augenkontakt abzubrechen. Ai schluckte.
„Du bist nicht Miyuku, egal wie ähnlich du ihr siehst" flüsterte er und streichelte ihre Wange. „Du bist Ai...meine Ai."
Das Mädchen wandte ihren Kopf plötzlich ab und starrte auf das goldene Lesezeichen des Todes. Wie von alleine, blätterten ihre Finger die Seiten, bis sie zum Anfang des Buches kam. Darauf abgebildet, eine junge Frau mit langen Haaren, kristallklaren Augen, umrahmt von einer ovalen Brille, und einem sanften Lächeln auf den Lippen. Ai schluckte. Sie war wirklich sehr schön. Kein Wunder hatte sich William damals in sie verliebt.
„Und sie wollte wirklich nur Freundschaft?" fragte das Mädchen leise und starrte immer noch auf das Bild. William jedoch nahm ihr das Buch weg, was sie überrascht aufblicken liess. Sofort legte der junge Shinigami seine Hand an ihre Taille, während die andere zu ihrem Oberschenkel wanderte. „Senpai!" rief sie geschockt.
„William!" raunte er ihr zu.
„Mein Name ist William."
Mit diesen Worten beugte er sich herab, legte zärtlich seine Lippen auf ihre, bevor er sie mit grosser Leidenschaft zu küssen begann, während er sie sachte auf die Couch drückte, sodass er auf sie lag.
Der junge Shinigami schloss seine Augen und spielte genüsslich mit ihren Lippen, liess sich einfach von seinen Gefühlen leiten. Das Mädchen hatte es aufgegeben sich irgendwie gegen ihn zu wehren, er war sowieso stärker als sie. Ihre Arme waren um ihn geschlungen, während sie den Kuss ebenso zärtlich erwiderte. Ein leises seufzen ihrerseits, brachte William dazu seine Augen zu öffnen. Doch Ai hielt sie geschlossen. Sie genoss es mit allen Sinnen. Er spürte ihre Finger, die seinem Rücken entlang strichen...ganz langsam...immer weiter...nach unten...
Plötzlich hörte er auf und sah sie mit geweiteten Augen an. Da war etwas...etwas hatte ihn durchzuckt, wie ein kurzer Stromschlag...
Ai sah ihn fragend an. Sein Blick wanderte von ihren geteilten Lippen, die so einladend aussahen hinab zu ihrem Hals...
Er schluckte, als sein Blick noch weiter nach unten glitt, bis zu ihrem Dekolleté und schliesslich an ihren Brüsten hängen blieb.
Es war ihm schon damals aufgefallen...Ais Körper wirkte sehr verlockend auf ihn...
„William?"
Ihre zarte Stimme liess ihn wieder zur Besinnung kommen und er sah sie wieder an. Kurz leckte er sich über die Lippen, richtete die Brille und richtete sich langsam wieder auf, sah einfach nur weg.
Da war etwas...er konnte es nicht richtig beschreiben...ein Bedürfnis, dass weitaus übers Küssen oder leichtes Berühren ging. Schon damals in der Halloweennacht bekam er das Verlangen sie zu verführen, konnte sich aber im richtigen Augenblick noch zurückhalten.
„Verzeih" sagte er leise und fasste sich wieder. Er würde sich später Gedanken darüber machen.
„Ich wollte dir eigentlich noch etwas geben..." Mit diesen Worten stand er auf und schritt auf den Schreibtisch zu. Ai sah ihm kurz verwundert hinterher, bevor sie sich schliesslich ebenfalls erhob um ihm zu folgen. Der Shinigami Mentor öffnete den Schreibtischschrank und holte das schön verzierte Kästchen hervor. Ais Augen wurden grösster. „Das ist doch die kleine Truhe, die ich damals so schön fand" dachte sie.
„Als du dich noch im Dienste des Earls befandst, war ich jeden Tag gekommen um dich zu beobachten, es war ja schliesslich meine Aufgabe gewesen, dass du nichts tätest, was uns Shinigami noch mehr Arbeit hätte auftischen können. An dem Abend, als ich dir eine Nachricht hinterlassen hatte, verlorst du dein Satin-Haarband." Er nahm den kleinen Schlüssel, den er immer sorgfältig bei sich trug, hervor und öffnete die kleine Kiste. Heraus nahm er das besagte schwarze Haarband. Ais Mund stand leicht offen, angesichts des Glöckchens, das sich nun daran befand.
„Ich bewahre es schon so lange auf" sagte er und kam auf sie zu. Bei jedem Schritt schellte das Glöckchen leise.
„Deine Mutter trug ein ähnliches Band um den Hals" Er ging hinter ihrem Rücken, nahm ihr das Haar nach vorne und legte ihr das Glöckchen um den Hals, bevor er es hinten zu einer hübschen Schleifen band.
Sachte berührte Ai die goldene Kugel. William schlang seine Arme um sie und drückte ihr einen sanften Kuss auf den Nacken, worauf sie leicht erzitterte.
„Ich habe es selbst gemacht...etwa ein Monat nachdem ich dich hier aufgenommen habe."
„Ein Monat nachdem du mich aufgenommen hast?"
Sie drehte sich um und ihre Wangen hatten sich rot gefärbt. „Aber William, da hattest du mich doch noch immer so kalt behandelt?" sagte sie leise und legte die Hände auf seine Brust. Der Shinigami seufzte schmerzlich.
„Ich hatte Angst gehabt, dass meine Gefühle für dich grösser werden würden. Du weisst wie ich zu der Liebe stehe. Ich habe versucht solche Empfindungen zu verdrängen, aber du hast mich geschwächt."
Endlich traute sich das Mädchen in seine Augen zu blicken, die ganz zärtlich auf sie herabsahen.
„Wie lange empfindest du schon etwas für mich?"
Sanft strich er ihr über die Wange, hinab zu ihrem Hals. „Ich kann dir diese Frage nicht genau beantworten Ai. Vielleicht war es eine Hass-Liebe, vielleicht waren es Illusionen meiner Gefühle, ich weiss es nicht. Aber jetzt ist mir vollkommen bewusst, dass du das liebste für mich bist, dass ich nicht ohne dich kann. Ich weiss noch ganz genau, wie du meine Tagesabläufe, meine Pausen, meine Nächte durcheinander gebracht hast, weil ich die ganze Zeit an dich gedacht habe!"
Abermals drückte er sie an sich. Ihr Herz schlug Rekord.
„Aber jetzt akzeptiere ich es. Jetzt bist du bei mir und ich kann deine Nähe spüren. Das ist alles was ich will. Dich bei mir haben" Und bevor sie etwas sagen konnte, küsste der Shinigami sie abermals sanft. Sein Liebender Griff...so stark...so besitzergreifend!
„All die Tage, an denen du nichts weiter als meine Schülerin warst" dachte William. „Du hattest mich gequält, mich in die Enge getrieben. Erst als ich erfuhr, dass du mich liebst, öffnete sich mein Herz. Und das nur für dich!"


Was war das?
Was war das für eine Szene die sich vor ihren Augen geboten hatte?
Seit wann gingen Ai und William so vertraut miteinander um?
Seit wann war William so einfühlsam?
Alice Stuart hatte alles mitbekommen, doch sie konnte keinen Reim auf Williams Verhalten finden. Der Shinigami war wie ausgewechselt gewesen.
Und Ai war keines Wegs eingeschüchtert oder hatte Angst vor ihm gehabt.
Im Gegenteil...
„Kann es sein?" dachte sie, während sie sich immer noch hinter dem Regal aufhielt. „Haben Miss Nakamura und Mr. Spears ein Verhältnis, dass über die normale Meister-Schüler Beziehung geht?"
Sie formte ihre Hände zu Fäusten.
Eifersucht!
Zorn!
Hass!
„So weit werde ich es nicht kommen lassen...!"

William und Ai wussten nicht, dass das Drama ihrer verbotenen Liebe in diesem Moment erst richtig begann...  

Lucifers daughter (A Black Butler Story)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt