Darkness over London

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20. September 1891
London wurde von einem Monsun heimgesucht. Das Regenwasser bannte sich seinen Weg durch die Strassen und Gassen. Der Vollmond wurde gänzlich von den Wolken verschleiert. Eine sanfte Nebeldecke hatte sich angelegt. Als der Blitz durch den nächtlichen Himmel zuckte, erhellte er kurz eine Gestalt, die sich an der Ecke eines Hauses befand. Sein Mantel war völlig durchnässt, ebenso wie der grosse Hut und die Schuhe. In seinen, von schwarzen Handschuhen umhüllten, Händen hielt er eine, mindestens 20 Zentimeter lange, spitze Kupfernadel und einen kleinen Hammer.
An dem länglichen Stab triefte Blut, das auf den Boden tropfte und mit dem Wasser davongespült wurde. Immer wieder, immer wieder, immer wieder...
Seine rechte Hand umklammerte den Knauf, die Türe stand offen. Die Gestalt betrat das dunkle Zimmer. Der Blitz erhellte den Raum, sodass er die junge Frau sehen konnte, die sich ängstlich an die Wand gedrängt hatte. Sie zitterte am ganzen Leib und wimmerte leise. Die Gestalt kam auf sie zu. „Was...was wollen Sie...ich..." doch weiter kam sie nicht. Die verhüllte Gestalt packte sie auf einmal so fest, dass sie laut aufschrie. Sie wurde auf deinen Stuhl dirigiert, wo er ihre Hände hinter ihrem Rücken fesselte. Die Frau sah ängstlich zu ihm hinauf. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, denn dieses war verhüllt. „Bitte..." stammelte sie. „Ich...ich..."
Er hielt ihr die Hand vor dem Mund, sodass sie nicht mehr reden konnte. Schnell nahm er den zweiten Stofffetzen und band ihn um ihren Mund. Seine Hand wanderte zu ihrer Stirne und drückte zu, sodass ihr Kopf sich in den Nacken legte. Die junge Frau mit den blonden langen Haaren war so starr vor Angst, dass sie ihm keinen Widerstand leistete. Ein Grinsen legte sich auf die Lippen des Mannes als er den länglichen Stab in seine rechte Hand und den Hammer in die andere nahm.
Der Stab näherte sich ihrem Auge. Ein dumpfer Schlag erklang und ein Schrei hallte durch die Nacht...

Ein Blatt nach dem anderen wanderte von Ciels Hand auf den Schreibtisch. Heute Morgen erhielt er einen Brief mit dem königlichen Siegel. Das Schreiben bat den jungen Earl um Hilfe bei einem ihm äusserst rätselhaften und grausamen Fall unter den Männer und auch Frauen Opfer waren.
Sebastian, der neben ihm am Schreibtisch stand spürte Ciels Anspannung deutlich. Der junge Earl schmiss die Blätter auf den Tisch und lehnte sich nachdenklich zurück in den Sessel. „Ich habe noch nie in meinem Leben von dieser Tötungsmethode gehört. Laut dem Bericht Scotland Yards wurde bei den Opfern am Hinterkopf ein Loch entdeckt. Die Schädelplatte um dieses Loch herum ist brüchig. Ein Schlag und der ganze Kopf ist dahin."
„Junger Herr, das hört sich sehr nach einem Besucht bei Undertaker an. Er müsste bereits schon mehr wissen als wir."
Ciel erhob sich. „Das gleich wollte ich auch sagen." Er wollte gerade aus dem Zimmer gehen, als der Butler seine Hand ergriff. Ciel hielt den Atem an und blickte zurück. Sebastian näherte sich dem Jungen und legte ihm einen Arm um die Taille. Er bückte zu ihm herab, sodass seine Lippen nah an Ciel Ohren waren. „Junger Herr..." Ciels Nackenhaare stellten sich auf und eine Gänsehaut jagte ihm über die Arme. Der Butler drückte ihn an sich. „Auf dem Weg zu Undertaker, rate ich Euch in meiner Nähe zu bleiben." Jetzt sah Ciel überrascht zu ihm hoch. „Warum?"
„Seit langem spüre ich die Anwesenheit eines anderen Dämons in der Stadt. Zwar ein deutlich schwächerer, aber Ihr könntet trotzdem nichts gegen ihn unternehmen."
„Und du bist dir sicher, dass es sich nicht um Ai Nakamura handelt?"
Sebastian hob eine Augenbraue. „Ai ist viel mächtiger als dieser Dämon. Junger Herr, ich täusche mich nie." Das wusste Ciel natürlich. Auf seinem Butler war immer Verlass. „Nun gut, dann beschütze mich."
Sebastian lächelte. „Jawohl, junger Herr."

„Schon wieder ein Opfer" grummelte Abberline und sah sich das Dokument an. Lord Arthur Randall stand daneben. „Haben Sie die Vorgehensweise des Mordes schon herausgefunden?"
„Nein, noch nicht. Wir wissen nur von dem Loch, das sich im Hinterkopf dieser jungen Frau, und auch an allen anderen Opfern, befand. Earl Phantomhive wurde bereits informiert. Sicherlich weiss er schon mehr darüber als wir..." Randall knirschte mit den Zähnen. „Dieser Bengel! Mit seinem Butler stellt er Scotland Yard immer wieder in den Schatten."
„Wenn dadurch die Fälle gelöst werden...immerhin geht es um das Wohlergehen der Menschen hier in London, die momentan in Angst und Schrecken leben. Ich bin mir ganz sicher, dass Ciel Phantomhive auch dieses Mal erfolgreich sein wird."

Undertaker sah auf, als es plötzlich heftig an seiner Türe klopfte. „Ah, das muss der junge Earl sein, ich habe ihn nämlich schon erwartet" sagte er und stellte den Messbecher mit Tee ab um die Türe zu öffnen.
„Willkommen in meinem bescheidenen Heim" grinste der Bestatter, als er wie erwartet, den jungen Earl mit seinem Butler sah. Ciel nahm seinen Hut ab und betrat Undertakers Laden. Doch kaum war er drin, blieb er plötzlich stehen. Sein Blick, völlig überrascht auf die zwei Personen die sich ebenfalls in Undertakers Laden befanden. „Was...was macht ihr denn hier?!" rief er leicht aufgebracht.
„Na das hat mir gerade noch gefehlt. Der Dämon und sein Hund" zischte William, während Ai lächelnd die Hand erhob und ihm zuwinkte. „Mein lieber Earl, beruhigt Euch doch" kicherte Undertaker und setzte sich wieder auf den Sarg. „Die beiden sind schliesslich nicht ohne Grund hier."
„Ach ja?" entgegnete Ciel, während Sebastian ihm den Mantel abnahm. „Das musst du mir genauer erklären."
Undertaker nahm sich einen Knochenkeks und begann daran zu knabbern. „Sie sind aus dem gleichen Grund hierhergekommen wie Ihr."
Ciels Augen weiteten sich. „Wegen des Falls..."
„Ganz recht" unterbrach ihn William, der im nächsten Moment seine Brille zu Recht rückte. „Dank diesem Mörder sind unsere Listen der Todeskandidaten voll, wir kommen mit unserem Personalmangel nicht voran. Deshalb habe ich mich bereit erklärt in diesem Fall mitzuwirken. Zudem passt es wunderbar in den Lernplan, nicht wahr, Miss Nakamura?" der Shinigami sah zu seiner Schülerin herab, die einmal mit dem Kopf nickte. „Das gefällt mir zwar nicht so, aber wenn mein Mentor meint, ich könne daraus meine Vorteile erziehen, dann darf ich mich nicht beklagen."
Sebastian legte seinen Kopf etwas schief. „Ist es nicht ein wenig gefährlich?"
William warf ihm einen eiskalten Blick zu. „Nicht, wenn ich bei ihr bin!"
Der Shinigami unterstrich seine Worte noch ordentlich, in dem er seine Hand auf Ais Schulter legte, was sie leicht erröten liess.
Undertaker liess ein leichtes seufzen erklingen. „Wenn ihr nun fertig seid, können wir uns endlich dem Fall widmen."
Ciel Phantomhive wandte sich ihm zu. „Interessant. Ein Fall in dem die Shinigami uns ihre Hilfe anbieten. Umso besser, dann kommen wir schneller voran. Also Undertaker, sicherlich hast du dir die Leichen der Opfer schon angesehen. Welche Schlüsse konntest du daraus ziehen?"
Für eine Weile sagte keiner mehr etwas. Eine merkwürdige Stille hatte sich ausgebreitet. Doch Undertakers Grinsen stellte den Jungen auf die Probe.
„Gar keine" sagte der Bestatter auf einmal, was Ciel ihn verdutzt ansehen liess. Undertaker kicherte. „Ich habe nichts herausgefunden. Es war diese junge Dame, die auf Mr. Spears Anordnung Recherche geführt hatte." Er deutete auf Ai, die seelenruhig dasass. Sebastian und Ciel blickten verwundert auf das weisshaarige Mädchen. „Du...?"
„Dabei kam sie in mein Laden um sich die Leichen anzusehen. Erstaunlich wie schnell sie die Todesursache herausgefunden hat."
Das junge Mädchen stand auf und schritt auf den Sarg zu, der sich in der Mitte befand. Sie schob den Deckel so, dass der Kopf des Opfers zu sehen war. Ihre schlanken Finger hoben die Lider des einen Auges. „Seht ihr das?"
Sofort näherten sich die Beteiligten und warfen einen Blick auf das erhobene Lid. „Oberhalb der Augenhöhle befindet sich ein Loch. Die erste Einstichstelle. Als ich das gesehen habe, wusste ich sofort wie der Täter vorging. Bei uns im 21. Jahrhundert nennen wir das Lobotomie."
„Lobotomie?" Ciel sah sie fragend an. Ai nickte einmal. „Dabei wird ein langer, spitzer Stab in die Augenhöhle eingeführt. Mit einem leichten Hammerschlag wird es ins Gehirn befördert und...tja, hier haben wir das Ergebnis. Was für mich immer noch ein Rätsel darstellt ist die Vorgehensweise des Täters. Wisst Ihr, eine Lobotomie dient dazu die Psyche, also die Persönlichkeit des Menschen zu verändern..." Sie hielt inne, als sie Ciels verwirrten Gesichtsausdruck sah. Nicht nur er, auch William und Sebastian sahen sie fragend an. Das weisshaarige Mädchen seufzte und sass sich wieder an ihrem Platz hin. „Die allererste Lobotomie wurde 1936, also lange nach dieser Zeit hier durchgeführt, was ein weiteres Rätsel darstellt. Ein gewisser Antonio Egas Moniz entwickelte die erste grobe Technik der grausamen Operation, wurde aber später vom amerikanischen Psychiater Walter Freeman vereinfacht. Patienten mit psychischen Problemen, Depressionen und anderen Dingen kamen zu ihm und liessen sich von ihm Lobotomisieren. Bei einer Lobotomie werden die Nervenfasern in den Stirnlappen des Gehirns durchschnitten. Danach ist der Patient wie betäubt und nimmt nichts mehr richtig wahr. Freeman genoss eine Zeit lang den Erfolg den er damit hatte. Als er diese Vorgehensweise auch bei Kindern einsetzte, endete seine Karriere. 1970 wurde die Lobotomie abgeschafft. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden mehr als 100 000 Menschen auf der ganzen Welt lobotomisiert."
Traurig über diese Geschichte, senkte sich Ais Blick. Woher sie das alles wusste? Es war das letzte Thema in der Schule gewesen, bevor sie hier ins 19. Jahrhundert gelang.
„Grausam" erklang Ciels Stimme und er blickte auf die tote Frau im Sarg.
William richtete seine Brille. „Eine Ausgezeichnete Recherche, Miss Nakamura." Ai sah zu ihm auf. Sie war ganz überrascht, denn ein Lob hatte sie beim besten Willen nicht erwartet. Schon gar nicht in dieser angespannten Atmosphäre. Aber anscheinend liess selbst dieser Fall, William kalt. Dennoch wurde das Mädchen leicht verlegen. „D...danke..."
„Moment mal..." warf Sebastian plötzlich ein. „Du sagtest, eine Lobotomie sei eine Operation bei der die Persönlichkeit der Menschen verändert wird. Aber das kann man bei unserem Fall hier wohl nicht behaupten. Die Opfer sind alle tot." Ai blickte zu ihm auf. Der Butler betrachtete die Leiche etwas genauer. „Genau das ist ja das Problem. Wir haben es hier mit einer primitiveren Form der Lobotomie zu tun. Man dürfte es gar nicht mehr so bezeichnen. Der Täter bringt die Leute um. Aber genau dieses Rätsel müssen wir ja lösen. Welches Motiv besitzt der- oder diejenige? Wie können wir vorgehen und welche Hinweise besitzen wir?"
Ai dachte angestrengt nach. Dieser Fall war äusserst schwierig. Viel zu kompliziert für ihr junges Hirn, aber William wollte sie dabei haben. Sie durfte ihn nicht ein weiteres Mal enttäuschen.
William war sehr zufrieden mit der Arbeit, die seine Schülerin in diesem Fall gemeistert hatte. „Vielleicht habe ich mich getäuscht" dachte er und rückte seine Brille zu Recht. „Vielleicht zeigt Ai dieses Mal ihr wahres Potenzial."
Ciel Phantomhive lief auf und ab. „Wir wissen, wie der Mörder seine Opfer zur Strecke bringt und wir kennen nun die Waffen die er einsetzt. Die Toten stammen aus jeder gesellschaftlichen Schicht, das heisst Arme und Reiche sind darunter. Ausserdem werden die Morde in der Nacht durchgeführt. Das sind verdammt wenig Anhaltspunkte. Wie viele wurden bis jetzt umgebracht, Undertaker?"
Der Bestatter hatte sich etwas zurückgezogen von der Unterhaltung. Nun sah er auf. „40 Opfer. 25 davon sind männlich."
„Sebastian. Das sind sehr wenig Hinweise die wir besitzen, aber kannst du etwas damit anfangen?" fragte Ciel.
Der Butler schien zu überlegen. „Ich werde mich zu aller erst in der Psychiatrie, die sich am Ende von East London befindet, begeben und mich dort umsehen. Vielleicht bekomme ich noch mehr Hinweise. Schliesslich muss es eine Person sein, die gut mit diesen Werkzeugen umgehen kann und anatomische Kenntnisse besitzt."
Ai sah William an. „Und was werden wir machen?"
Der junge Shinigami sah ernst in die Runde hinein. Etwas ging ihm durch den Kopf. Etwas sehr riskantes...
„Wir werden auf das nächste Opfer warten!"
Ai traute ihren Ohren nicht. „Was?"
Doch William liess sich nicht von den erschrockenen Gesichtern beirren. „Sie haben ganz richtig gehört, Miss Nakamura und nun überlegen Sie genau warum?" Er blickte ihr direkt in die Augen. Ai starrte ihn fassungslos an. Doch als William seinen Blick nicht abwandte, schluckte sie heftig.
„Das..." fing sie an. „...Das ist..."
„Die Opfer werden so oder so sterben. Sie dürfen sich nicht von Gefühlen leiten lassen. Wir erledigen unsere Arbeit nüchtern, sachlich und emotionslos. Gleichzeitig ist es die Chance..."
Ai wandte sich ab. „Sie meinen die Cinematographischen Aufzeichnungen...sie enthalten die Bilder des Täters, kurz bevor er das Leben des Opfers auslöscht. Wenn wir einen Blick in die Erinnerungen reinwerfen, können wir den Täter identifizieren."
„Sehr gut, Miss Nakamura." William sah zu Ciel. „Wir besorgen Euch eine genaue Beschreibung des Täters."
Ciel nickte. „In Ordnung. Wohlmöglich dauert es nicht mehr lange, bis er wieder zuschlägt."
Undertaker grinste und begann zu kichern. „Dämon, Shinigami und Mensch machen gemeinsame Sache. Das wird interessant...sehr interessant!"

Lucifers daughter (A Black Butler Story)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt