Kapitel 2

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Die Räder des Karrens kullerten über einige Steine hinweg, die aus dem Bett des ausgetretenen Feldwegs ragten, dem sie folgten. Der Friedhof und der Tempel waren bereits hinter ihnen im Dunkeln verschwunden. Hecken rahmten den Pfad ein, der einen gewundenen Hügel hinab in Richtung der Stadt führte, die in der Tiefe schimmerte. Vara war eine der größten Siedlungen in den Herzlanden, auch wenn sie im Vergleich zu manch anderer Stadt im Kaiserreich eher klein war. Die weiß getünchten Fassaden der Häuser schimmerten rosa im Mondlicht und die zahlreichen Kanäle und Wasserläufe, welche Vara durchzogen hatten die Farbe von frischem Blut angenommen. Straßenlaternen flackerten verloren im dunkel, nur begleitet von Licht, das noch hinter einigen Fenstern brannte und dem ewigen Schein aus den großen Fenstern der Universitätshallen. Jene lagen fast am anderen Ende der Stadt auf einem großen Hügel, so dass die Bauten alles überragten, wie es anderorts eine Burg tun mochte. Die großen Bibliotheken schliefen nie. Immer waren auch nachts noch einige gelehrte unterwegs um das Tagewerk ihrer Kollegen zu Ende zu führen oder Bücher und Schriftrollen wieder an ihren Platz zurück zu bringen. Die hohen Kupferdächer spiegelten den Mond wieder und vermutlich hatten sich auch einige der Astronomen heute in den Planetariums-Hallen eingefunden um das Schauspiel zu begutachten. Die meisten Gebäude waren erst vor grade einmal sechzig Jahren entstanden, als der Kaiser befahl, ein Zentrum des Lernens und des Wissens für das gesamte Reich zu finden und zu gründen. Warum seine Wahl ausgerechnet auf Vara gefallen war, würde wohl niemand je ganz verstehen, doch aus dem verschlafenen Provinznest war seitdem genau das geworden. Mittlerweile kamen gelehrte aus allen Winkeln des Canton-Imperiums hierher und auch von weiter fort aus den freien Königreichen. Selbst einen Wanderdichter aus Laos hatte man hier schon begrüßen können, auch wenn der Mann nur kurz geblieben war. Wohl auch, weil die Gelehrten ihn mit Fragen über seine Heimat bestürmten, obwohl der arme Kerl wohl nichts weiter gesucht hatte, als eine ruhige Unterkunft.

Um die Stadt herum lagen große Felder, die jetzt am Beginn des Herbstes voll mit goldenen Ähren standen. Angeblich konnte man von hier bis zum Erdschlund gelangen, ohne einmal etwas anderes zu sehen, als gelbe Halme, die sich im Wind wiegten. Die Herzlande, die Vara kontrollierte, bildeten die sprichwörtliche Kornkammer des Imperiums, eine, die ein ständig wachsendes Heer und die Eroberungszüge von Caius Vorgängern hatte versorgen müssen. Und so waren vielerorts die Wälder, die dieses Land ursprünglich bedeckten zurück gedrängt worden um Platz für Ackerland zu schaffen. Etwas, das sich besonders die Gejarn nicht hatten gefallen lassen. Ihre Clans und Nomadendörfer gab es in den Herzlanden bereits lange bevor das Kaiserreich sich aus der Asche der alten Welt erhoben hatte. Zwischen ihnen und den Bauern kam es immer wieder zu kleinen Konflikten und auch blutigen Überfällen beider Seiten aufeinander. In Gedanken sah Erik zu seinem schweigenden Begleiter. Insgeheim fragte er sich, ob der Wolf, den er damals mit einem Pfeil im Bein gefunden hatte, nicht bei einem Überfall auf einen Farmer verletzt worden war.

Schweigend setzten sie ihren Weg durch die Felder fort, bis schließlich eines der Nebentore Varas in Sicht kam. Die Mauern ragten glatt und abweisend in den Himmel, hoch und leicht nach hinten versetzt , je höher sie wurden, um die Gebäude dahinter vor Beschuss von den umliegenden Hügeln aus abzuschirmen. Wie Erik bereits zuvor vermutet hatte, war das Tor zwar offen, wurde jedoch bewacht. Das schwere, doppelte Fallgatter wirkte wie Zähne in einem schmalen Maul aus grauem Stein. Zwei Wachhäuschen waren davor aufgebaut und vor jedem stand ein Mann in schwerer Plattenrüstung. Jeder der Männer trug das Sternenwappen Varas eingeprägt auf seiner Rüstung und in weißer Farbe auf dem Schild. Ein Speer und ein Kurzschwert vervollständigten ihre Ausrüstung. Obwohl Vara eine vergleichsweise kleine Siedlung war, unterhielt der Patrizier eine beachtliche Schutztruppe, alles in allem fast vierhundert Mann. Erik wusste, das mit denen nicht gut Kirschen essen war. Die vielen jungen Leute die mit dem Aufschwung Varas in die Stadt strömten, betranken sich auch einmal und randalierten in den Straßen, doch sollten sie dabei das Pech haben, der Stadtwache unangenehm aufzufallen, endete das meist blutig. Varas Patrizier war ein Mann, der auf Ordnung pochte...

Erik - Die UnsterblichenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt