Kapitel 19

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Sie ließen die Ruinen hinter sich und kehrten auf die offene Ebene zurück. Der Fluss sprudelte nun direkt neben ihnen und folgte scheinbar dem Verlauf der Straße, die das Tal auf ganzer Länge Durchschnitt. Obwohl sie die Außenbezirke der antiken Stadt lange hinter sich gelassen hatten, ragten immer wieder einzelne Stehlen oder Gebäudereste aus dem hohen Gras auf, das links und rechts der Straße wucherte. Seltsamerweise war der Weg jedoch kaum bewachsen, fast so , als würde ihn jemand absichtlich frei halten... oder als würde sich die Natur noch nicht trauen ihn zurück zu erobern. Genauso wie die Stadt selbst, in der kaum etwas wuchs...

Hier weiter draußen am Fluss jedoch wucherte das Gras üppig bis fast in Kopfhöhe und beschattete den Weg so weit, das die sengende Hitze etwas gedämpft wurde. Das nahe Wasser tat sein Übriges um die Luft abzukühlen und so kamen sie gut voran, bis zu einer Stelle, wo der Fluss einen großen Bogen beschrieb um dem Verlauf des Tals in seiner Mitte zu folgen. Durch den Bogen entstand eine große Halbinsel, auf der schließlich die ersten Gebäude in Sicht kamen.

Erik hatte bisher nur ein paar Mal ein Nomaden-Dorf der Gejarn gesehen. Die Tiermenschen lebten nicht in festen Städten oder Ortschaften, sondern beanspruchten meist ein gewisses Revier für sich, über das sich, je nach Größe, ein paar dutzend bis sogar hunderte verschiedene Lagerplätze verteilten. In Laufe von Monaten oder auch Jahren wanderte ein Clan zwischen diesen Lagern hin und her und nahm dabei meist alles mit, was nicht Niet und Nagelfest war. Und das war bei den Gejarn wenig. Manchmal errichteten sie an bestimmten heiligen Orten oder auch nur an ihren bevorzugten Lagern kleinere Steinbauten, die jedoch ebenfalls nur sporadisch bewohnt und dann bis zur Rückkehr des Clans sich selbst überlassen wurden. Erik hatte jedoch noch nie von einer so großen Siedlung gehört. Er schätzte, dass sich auf der Halbinsel auf der anderen Flussseite mindestens hundert Hütten und Zelte aneinander reihten. Für Clan-Verhältnisse, war dieser Ort schon fast eine Stadt.

Eine Reihe Säulen, die man wohl aus den Ruinen herangeschafft hatte, überspannten den Fluss dort, wo der Weg dem sie folgten im Wasser mündete. Noch ehe sie jedoch nahe genug kamen um den Strom zu überqueren, geriet das Gras um sie herum mit einem Mal in Bewegung.

Cyrus reagierte als erster und wirbelte herum, doch ohne eine Waffe blieb ihm auch nur übrig, zuzusehen, wie sich eine Gestalt geistergleich und ohne einen Laut zwischen den Halmen hindurch auf den Weg schob. Zwei weitere folgten, dann drei auf der anderen Seite und noch einmal vier in ihrem Rücken. Bewaffnet waren sie alle mit einfachen Speeren oder Bögen, die sie jedoch entspannt in der Hand trugen. Ihre Kleidung bestand aus einfachen Tuniken aus Stoff oder Tierhäuten, unter denen gelbliches Fell schimmerte. Löwen... Das war also Mharis Clan, dachte Erik.

Mhari begrüßte die Männer mit einer Geste und einigen Worten, die Erik nicht verstand und sie antworteten ebenfalls, manche beugten sogar respektvoll den Kopf vor ihr.

,, Was sagen sie ?" , fragte er an Cyrus gewandt, der seine Artgenossen mit einem seltsamen Ausdruck musterte.

,, Ihr habt uns nicht gesagt, das ihr eine Älteste seid..." , meinte der Wolf nur und beantwortete damit gleichzeitig seine Frage.

,, Nein. Und ich glaube nicht, das es eine Rolle gespielt hätte, oder?" Aber es erklärte, wieso sieunbedingt seine Hilfe gewollt hatte. Die Bande, die einen Clan untereinander verbanden waren stark, aber selbst wenn sich seine Angehörigen wie Verwandte behandelten, ihre Ältesten waren für sie alle Mütter und Väter... und so verstanden sie sich auch. Sie hatten ihn in Vara nicht bloß gebeten, ihre Clanbrüder und Schwestern zu retten... diese Leute waren ihre Familie, in jeder Hinsicht, bis auf die Blutsbande. Aus dem Dorf kamen mittlerweile immer mehr Schaulustige angelaufen, balancierten über die Brücke aus uralten Säulen. Ein paar Kinder tauchten zwischen den Grashalmen auf und sammelten sich um die Löwin, die einem jungen Mädchen lachend durch die Haare wuschelte. Und Erik fand, das sie in diesem einen Augenblick zum ersten Mal tatsächlich... glücklich wirkte, seit er sie kannte. Jene dunkle Nacht vor einigen Tagen schien vergessen und als sie sich wieder zu ihnen umdrehte, lächelte sie tatsächlich. Manche der Gejarn begrüßten sie mit derselben Grußformel, di er schon von den Wächtern gehört hatte, andere mit kürzeren Worten, aber langsam wurde Erik klar, dass sie alle etwas gemeinsam hatten. Ein paar Worte, die sich nicht änderten. Fast, als würden sie einen Namen darstellen. Aber Mhari lautete er ganz sicher nicht. Cali Madroni... das klang nicht einmal nach Clansprache, ehr so, als hätte jemand eine verzerrte Form der Sprache des alten Volkes verwendet.

Erik - Die UnsterblichenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt