Kapitel 1

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Der Wind brachte verzerrten Gesang mit sich. Ein hoher, trauriger Laut, der von der kleinen Kapelle über dem Friedhof her hallte. Erik sah hinauf zu dem rechteckigen Steinbau, dessen zwei große gen Himmel ragten. Lichtstrahlen fluteten aus den hohen, mit Bildern von Heiligen, Unsterblichen und Göttern dekorierten, Fenstern hinaus auf die Wiese. Der flackernde Schein von tausend Kerzen verlieh diesen Sagengestalten fast etwas lebendiges, als würden sie sich langsam bewegen.

Die einzige Lichtquelle jedoch, die sie hier hatten waren die zwei Laternen, die unter ihm in der Grube leuchteten, ihr doch soweit heruntergedreht, das es grade ausreichte den Grund aus aufgewühltem Erdreich zu erhellen. Das... und der große, rote Mond über ihnen, dessen Licht kaum ausreichte, die Dunkelheit zu erhellen, obwohl das Gestirn voll am Himmel stand. Dämonenmond nannte der Volksmund dieses Phänomen, das sich jedes Jahr im letzten Tag des Sommers zeigte. Erik musste zugeben, dass der fahle Schein etwas Beunruhigendes hatte, aber weder stellte es ein Portal zur Geisterwelt da, noch musste man sich davor fürchten. Die Gelehrten am Planetarium Varas hatten schon lange erkannt, dass es lediglich ein natürliches Phänomen war, genau wie die wiederkehrenden Sonnenfinsternisse zu Beginn des Frühjahrs. Doch die unwissenden fürchteten das Licht und flüchteten sich in dieser Nacht in ihre Häuser und die Tempel, obwohl die Luft warm und angenehm war und eine laue Nacht versprach. Erik konnte es nur recht sein, bedeutete es doch schließlich auch, dass sie kaum jemand bei ihrem Tun stören würde. Niemand wagte sich unter dem Dämonenmond auf einen Friedhof. Nun mit Ausnahme von ihnen natürlich. Erneut fuhr der Spaten ins noch lockere Erdreich herab und die zweite Gestalt in der Grube beförderte eine Ladung Dreck nach oben, die Erik beinahe an der Schulter getroffen hätte. Ein paar Klumpen verfingen sich in seinen braunen Haaren und er wischte sie mit einem Grinsen weg. Das Grab war frisch, noch keinen Tag alt und so ging die Arbeit schnell von statten. Neben ihm hatte sich bereits ein erstaunlich großer Erdhügel aufgetürmt und bald würden sie ihr Ziel erreicht haben.

,, Kommt schon, wir wollen hier schließlich nicht die ganze Nacht herum sitzen." , meinte Erik an die Gestalt in der Grube gerichtet. ,, Bevor die Leute aus der Kirche kommen, will ich hier weg sein."

,, Du sitzt herum." , kam die Antwort in einem sarkastischen Tonfall. ,, Ich buddle. Und ehrlich gesagt weiß ich gar nicht wieso ich mich darauf schon wieder eingelassen habe. Wenn man uns entdeckt, hängen wir beide. Und meine Leute haben schon einen genügend schlechten Ruf bei eurem Volk, ohne dass man uns auch noch für Grabräuber hält."

,, Ich würde es wirklich nicht Grabräuberei nennen." Erik förderte eine dünne Tonpfeife aus der Tasche seines blauen Mantels hervor und begann sie sich zu Stopfen. ,, Und seit wann haben Gejarn Moral ?"

Das Licht einer der Laternen fiel auf das Gesicht des zweiten Mannes, das von dichtem, schwarzem Pelz besetzt war. Augen wie Kohle, die in der Dunkelheit dennoch zu glühen schienen, sahen ihn entgeistert an. Bei Tag hätte eines davon grün geschimmert, während das andere genau so dunkel geblieben wäre, wie jetzt. Die Spitzen Ohren waren aufgerichtet, die Schnauze verzog sich. Für manche Menschen war es schwer die Mimik eines Gejarn zu lesen. Erik jedoch hatte sich mittlerweile daran gewöhnt und so überraschte es ihn nicht, dass ein Lächeln auf die Züge seines Begleiters trat. Eines, allerdings, das selbst wenn es so ehrlich gemeint war, wie jetzt, geeignet war, Kinder zu erschrecken.

,, Wer behauptet, mein Volk hätte keine Moral ? Sie unterscheidet sich lediglich von eurer."

,, Das will ich meinen. Man sagt auch ihr esst eure toten und tragt die Haut eurer Feinde."

Der Wolf seufzte tief, während er erneut eine Ladung Erde genau an Erik vorbei warf. ,, Nur zu Information, ich habe nie die Haut meiner Feinde getragen."

Erik - Die UnsterblichenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt